Intel: Europa als Entwicklungsland
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/21
Europa ist aus der Sicht von Intel Entwicklungsland - in zweierlei Hinsicht: Zum einen betreibt der Chiphersteller in Europa bereits Forschung und Entwicklung. Zum andern liegt der Umfang der Aktivitäten im Vergleich etwa mit jenem in den USA noch weit zurück und hat sicherlich Entwicklungspotential. Wo dieses Potential in Europa liegt, hat Intel an seinem erstmals in München durchgeführten europäischen Developer Forum (IDF) von letzter Woche aufgezeigt.
In Polen beispielsweise unterhält der Chipriese Labors, die im letzten Jahr immerhin 28 Patente anmelden konnten. Und die Aktivitäten in Russland stehen mit 20 Patenten nur unwesentlich zurück. Zudem hat Intel am Münchner IDF bekanntgegeben, in Zusammenarbeit mit der technischen Universität in Barcelona ein Forschungszentrum für Mikroprozessoren in Spanien aufzubauen.
Als wichtigen Zukunftsmarkt in Europa sieht Intel den Telekommunikationsbereich. In diesem Umfeld will das Chip-Unternehmen stärker Fuss fassen. Durch die Last der Investitionen, die die Telekom-Unternehmen in den letzten Jahren tätigten, haben sie nun einen Bedarf nach günstigen Technologien, damit sie Kosten sparen können und die verbleibenden Mittel in den Ausbau ihrer Infrastrukturen sowie in die Bandbreite ihrer Leitungen investieren können. Gegenwärtig arbeiten die meisten gemäss Intel noch mit kostspieligen proprietären Systemen, und hier will der Prozessormarktführer seine Produkte ins Spiel bringen.
Sean Maloney, General Manager der Intel Communications Group, skizzierte am IDF die Vision des Chipherstellers, wie die Telcos künftig dazu gebracht werden sollen, auf standardisierte Server- und Netzwerktechnologien zu setzen, selbstverständlich mit Intel-Prozessoren als Basis. Telekomfirmen, die heute mehrheitlich mit Unix-Systemen arbeiten, sollen auf die Intel-Platform aufspringen und zwar mit Linux als Betriebssystem - in der Lesart von Intel sind das dann Carrier Grade Servers. IBM und HP beispielsweise haben bereits im ersten Quartal dieses Jahres solche Systeme auf den Markt gebracht. Und mit der Carrier Grade Linux Initiative, der neben Intel klingende Namen wie unter anderem Cisco, IBM, Nokia, Red Hat und Suse angehören, soll ein ehrgeiziges Ziel verfolgt werden: Innerhalb der nächsten zwei Jahre will man Linux als Alternative zu Solaris in diesem Umfeld etablieren.
Gerade bei den Telco-Plänen von Intel spielt auch der 64-Bit-Chip Itanium eine entscheidende Rolle. Zum kommenden Modell des Prozessors namens Itanium 2 präsentierte Intel am IDF in München erstmals Benchmark-Ergebnisse im Vergleich mit Konkurrenz-CPUs. Allerdings wurden sie als Schätzungen präsentiert. So soll ein Itanium-2-System mit 1 GHz Taktrate im Gleitkommavergleich SPECintfp2000base eine IBM-Power4-CPU mit 1,3 GHz um 12 Prozent hinter sich lassen. Eine UltraSPARC-III-Chip mit 1,05 GHz von Sun schlägt der Itanium 2 in dieser Disziplin sogar beinahe mit dem zweifachen Wert. Etwas anders präsentiert sich die Leistung im Integer-Bereich: Hier fällt der Itanium 2 mit einem SPECint2000base-Wert von 700 rund 15 Prozent hinter den IBM-Power4-Prozessor (804) zurück.
Für Intel die Itanium-Muskeln spielen liess am IDF der Hersteller Bull, der den Prototypen eines 16-Weg-Itanium-Servers in einer Demo vorführte, die allerdings aufgrund der vielen Lüftungseinheiten ohrenbetäubend ausfiel. Weiter nahm Fujitsu Siemens das IDF zum Anlass, die Migration seiner Resilient-Telco-Plattform auf Itanium-CPUs bekanntzugeben.
Als weiterer Schwerpunkt war am IDF drahtlose Kommunikation auszumachen. Zum einen gab der Chiphersteller bekannt, in verschiedenen europäischen Ländern Wireless-Produkte auf der Basis von 802.11a auszuliefern, die bekanntlich Datendurchsätze bis 54 Mbps liefern. Die Schweiz gehört hier nicht dazu, gemäss Angaben des Bundesamtes für Kommunikation kann allenfalls 2003 mit einer Zulassung gerechnet werden.
An einer Live-Demo gab Intels Chief Technology Officer Pat Gelsinger zudem einen Vorgeschmack auf die nächste Generation der drahtlosen Kommunikation, Ultra Wide Band, die Datendurchsätze bis zu 100 Mbps über die Luft bieten wird. In einer Testanordnung, bei der Sende- und Empfangsgeräte allerdings nur wenige Meter von einander entfernt waren, konnte dies Leistung erzielt werden.
Das letzte Highlight am Anlass waren die Mobilprozessoren des Chipriesen. Der für diese Geschäftseinheit verantwortliche Anand Chandrasekher konnte zum ersten Mal den kommenden, unter dem Codenamen "Banias" bekannten Mobil-Chip vorführen. Der Chip soll im ersten Quartal des nächsten Jahres auf den Markt kommen. Als weiteres Detail wurde bekanntgegeben, dass 75 Millionen Transistoren auf "Banias" untergebracht sein werden (beim Mobile Pentium 4 sind es 55 Millionen). Mit welchem Takt die von Grund auf neu entwickelte CPU arbeiten wird, ist indes noch nicht klar.
Unter dem Strich blieben am europäischen IDF in München die grossen Knaller zwar aus, trotzdem schaffte es Intel, einen Einblick zu geben, welchen Stellenwert der alte Kontinent beim Chipriesen geniesst.