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100-Zoll-Screen - Nackenstarre inklusive
Quelle: SITM

Asus Airvision M1

100-Zoll-Screen - Nackenstarre inklusive

Die Brille Airvision M1 von Asus ist konzeptionell zwar spannend, allerdings längst noch nicht ausgereift.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2025/06

     

Mit dem Launch der Airvision M1 lanciert Asus gleich auch eine neue Produktkategorie. Das Gerät ist, wie man beim ersten Betrachten vermuten könnte, aber keine Augmented-­Reality-Brille (AR-Brille), sondern ein tragbares Display im Brillen-Format. In anderen Worten: Bei der Airvision M1 geht’s nicht darum, virtuelle Inhalte in die echte Welt zu projizieren – sie ist ein (fast) regulärer PC-Screen, der auf der Nase statt auf dem Schreibtisch sitzt. Gut sein soll ein solches Nasen-Display für verschiedene Anwendungsfälle: Zum einen für die Arbeit, denn laut dem Hersteller lassen sich aussergewöhnlich schlaue Bildschirm-Setups für maximale Produktivität einrichten. Die Abschottung und die damit einhergehende Immersion sollen obendrein helfen. Weiter kann das Display, das exklusiv für den Nutzer sichtbar ist, ein Vorteil in Sachen Privacy sein, denn damit kann niemand im Zug von hinten oder von der Seite in die Geschäftsgeheimnisse reinschielen.

Der zweite Use Case der Brille ist selbstverständlich Unterhaltung respektive Medienkonsum (Gaming, Filme etc.). Einmal mehr wird die Immersion dank dem simulierten 100-Zoll-Display angepriesen, weiter hat Asus selbst mit dem ROG Ally einen Handheld-­Gaming-PC im Angebot, mit dem sich die Airvision M1 optimal kombinieren lassen soll.


Die Brille sei ein «Fenster zu einer grösseren Welt» und habe einen «massiven Bildschirm», so Asus vollmundig. Für den vorliegenden Test haben wir das Gerät an unsere Arbeits-Laptops und das ROG Ally angeschlossen und geprüft, ob Asus auch halten kann, was versprochen wird.

Specs & Lieferumfang

Die Spezifikationen klingen beim Lesen auf den ersten Blick nicht schlecht, wenn auch nicht berauschend: Die Brille kommt mit je einem Micro OLED Display pro Auge in Full HD (1920 x 1080 Pixel). Die Bildwiederholrate liegt bei moderaten 72 Hz, das Field of View beträgt 38 Grad und die Helligkeit wird mit 1100 Nits angegeben. Angeschlossen wird die Airvision per USB-C, ein kabelloser Betrieb ist nicht möglich. Dafür spart sich Asus so einen Akku, womit ein recht niedriges Gewicht von 87 Gramm erreicht wird. Verbaut sind ausserdem ein Helligkeitssensor, ein Tragesensor, ein Mikrofon mit Noise Cancelling und zwei Lautsprecher in den Bügeln. Im linken Bügel findet sich ausserdem ein Touchpad-Streifen, mit dem auf einfache Settings zugegriffen werden kann.

In der Box liegen neben der Brille und dem Verbindungskabel ein Etui, ein Aufsatz zum Verdunkeln, ein Brillenputztuch sowie eine austauschbare Halterung für die Nase. Dazu gibt’s zusätzlich einsetzbare Gläser, die man sich beim Optiker zurechtschleifen lassen kann, falls man die Sehkorrektur benötigt.


Auffällig ist beim Unboxing als Erstes die mittelmässige Verarbeitung. Das ganze Gerät ist aus Kunststoff und fühlt sich etwas wackelig an. Die matt gehaltene, schwarze Oberfläche ist ausserdem anfällig auf kleine Kratzer und ähnliche äussere Einwirkung.
Von Asus empfohlen und für den gesamten Funktionsumfang vorausgesetzt ist die zugehörige Software namens Asus Airvision, die für Windows 10 und 11 verfügbar ist. Mit dieser lässt sich die Brille auch einigermassen benutzerfreundlich einrichten.

Der Screen: Gross ist nur die Beschreibung

ugutehalten muss man Asus, dass die Farben und die Helligkeit recht beeindruckend sind. Und beides wird nochmal deutlich besser, wenn der Aufsatz zum Verdunkeln angebracht wird, der die transparente Sicht auf die Aussenwelt stark reduziert. Diesbezüglich hat sich Asus nicht lumpen lassen.

Das Problem des Screens ist für uns aber, dass er trotz allen Marketing-Versprechen alles andere als gross ist. Denn die tatsächliche Grösse eines Screens ist natürlich massgeblich dadurch bestimmt, wie weit man von ihm weg sitzt.


Asus spricht von den erwähnten (simulierten) 100 Zoll Bilddiagonale, die Distanz zum Screen lässt sich in den Einstellungen konfigurieren. Doch unter etwa 2,3 Meter Abstand macht einem das Field of View (FoV) von 38 Grad dann einen Strich durch die Rechnung und die äusseren Ränder des Screens werden abgeschnitten. Per Kopfbewegungen kann man dann zwar auf dem Screen hin und her schauen, den ganzen 16:9-Screen sieht man aber nur über der erwähnten Distanz von rund zwei Metern.

Wir haben im Test nachgemessen, was das für die Arbeit heisst: Regulär sitzt der Tester mit etwa 55 Zentimeter Abstand vor einem üblichen 24-Zöller für die tägliche Arbeit. Und dank der Tatsache, dass das Bild der Airvision transparent ist, können wir so lange von unserem 24-Zöller wegrücken, bis das Bild der Brille der Grösse unseres physischen Screens entspricht. Die Distanz, die wir dann zum 24-Zoll-Bildschirm messen: Knapp einen Meter. Kurz: Die tatsächliche Bildgrösse (respektive der FoV-Ausschnitt) der Brille entspricht einem 24-Zöller, von dem man einen Meter weit weg sitzt. Doch aus einem Meter Distanz liest sich Text im Web mit normaler Zoom-Stufe auf 24 Zoll schlecht. So auch bei der Airvision M1. Hierbei von einem gros­sen Screen zu sprechen, ist schlicht unangemessen.

Bis zur Nackenstarre

Das «Pflaster» für das kleine FoV ist die erwähnte Möglichkeit, per Kopfbewegung auf dem fix vor dem Gesicht schwebenden Screen umherzusehen. Alternativ können via Software kreative Multi-Screen-Set­ups erstellt und gespeichert werden, die als im Raum fixierte Screens (der AR-Touch der Airvision) sichtbar sind.

Diese Möglichkeit wird im Marketingmaterial als riesige Leinwand bestehend aus zahlreichen Screens vor dem Nutzer gezeigt, in Tat und Wahrheit sieht man aber nur den erwähnten Ausschnitt davon (siehe Bild unten). Und statt – wie bei physischen Multi-Screen-Setups – die Augen bewegen zu können, um umherzusehen, muss man mit der Brille den Kopf drehen. Das ist auf Dauer ähnlich ineffizient und kräfteraubend, wie wenn man einen Tag per Touchscreen statt mit der Maus arbeiten würde. Und in unseren Augen (bzw. für unseren Nacken) daher schlicht nicht praktikabel.


Erschwerend kommt hinzu, dass wir das Bild nie so richtig scharf kriegen. Dank der Möglichkeit, den Augenabstand individuell einstellen zu können, bringen wir das Bild in der Mitte des Screens zwar recht scharf hin, gegen die Ränder wird’s aber immer unscharf. Damit heisst es: reinzoomen und Kopf drehen. Etwas aus dem Augenwinkel zu fokussieren, ist nicht wirklich möglich.

Der einzige Use Case: Mediengenuss. Aber…

Im Gegensatz zur Arbeit, wo man den Inhalt nebeneinander liegender Excel-Zellen lesen können muss, sind grössere Abstände zum Screen praktikabler, wenn es um Medienkonsum geht (TV im Wohnzimmer, Youtube-Videos auf dem Handy etc.). Und genau hier punktet die Air­vision M1. Um sich beispielsweise auf dem Sofa oder im Zug gemütlich (und wirklich privat) einen Film zu Gemüte zu führen, ist die Asus-Brille fantastisch geeignet.


Ein paar Wermutstropfen gibt’s aber auch hier: Die Lautsprecher machen wirklich keinen Spass, haben natürlich null Bass und scherbeln etwas. Und – Stichwort: Privacy – sie sind für den Sitznachbar schon bei mittlerer Lautstärke gut hörbar. Wer echten Mediengenuss oder Privacy will, kombiniert die Airvision M1 mit In-Ear-Stöpseln. Erschwerend kommt die Bildwiederholrate dazu. Wenn man actionreiche Szenen schauen oder Videospiele spielen will, sind 72 Hz ehrlicherweise keine Erleuchtung.

Performance als Flaschenhals

Ein weiteres Problem zeigt sich in Sachen Performance. Auf unserem regulären Arbeits-Thinkpad sind besonders die erwähnten virtuellen Multi-Screen-Setups faktisch unbrauchbar. Der Grund: Beim Umherschauen wabern die Screens stark rum. Ein Vergleich zu den scheinbar festgenagelten virtuellen Elementen auf der Apple Vision Pro oder der aktuellen Oculus Quest wäre hier aufgrund des riesigen Unterschieds nicht einmal im Entferntesten angemessen. Der Effekt ist zwar weniger schlimm, wenn die Brille an ein Gerät mit besserer GPU, in unserem Fall dem ROG Ally, angeschlossen wird. Aber auch hier ist das Fazit ernüchternd, die Oberfläche ruckelt immer noch recht stark herum, wenn der Kopf bewegt wird. Das ist etwas anstrengend, bei einem Testnutzer wurde in Folge gar leichter Schwindel registriert. Auf Dauer sind Kopfschmerzen und eine leichte VR-Übelkeit manchmal die Folge.


Auf das Performance-Problem wird man von der Software übrigens immer mal wieder aufmerksam gemacht. Schon ab wenigen parallel laufenden Anwendungen meldet sich die Brille, dass man doch bitte Anwendungen schliessen oder ungenutzte virtuelle Screens deaktivieren soll, denn die Systemressourcen seien überlastet.

Flaschenhals #2: Ports

Die Airvision M1 braucht spezifische USB-C-Ports, konkret: einen Thundebolt-4-Anschluss beziehungsweise einen USB-C-Port mit DP Alt Mode. Das heisst auch, dass wir die Brille mit unserem Gaming-Powerhouse mit USB-C 3.2 Gen1 (traurige Ironie: es ist ein Asus-Motherboard) nicht einmal nutzen konnten. Das endgültige Fazit, was die Asus’ Airvision M1 mit genügend Leistung dahinter zu zeigen vermag, fehlt damit leider.

Das eigentliche Problem an dieser Tatsache ist aber, dass man bei vielen Geräten, die einen solchen Port haben – zahlreichen Laptops, alle Handys oder ROG Ally –, nur einen einzigen davon vorfindet. Die Airvision zu nutzen und das Gerät gleichzeitig zu laden, ist ohne zusätzlichen Hub also nicht möglich. Das wiederum erschwert einen der besten Use Cases, die Nutzung unterwegs, erheblich. Trotz Stromsparmodus fordert der zusätzliche Stromverbrauch seinen Preis.


Der Gipfel ist schliesslich, dass es die Airvision-Software nicht erlaubt, den Screen des Quellgerätes während der Nutzung auszuschalten. Das gelingt ironischerweise nur, wenn man die App deaktiviert und die Brille als normalen Zweit-Screen nutzt. Dann kann man via Windows das Display des Quellgerätes deaktivieren, dafür fehlen dann wiederum alle Funktionen der App. Der Screen eines Android-Handys kann, weil hier wirklich nur gespiegelt wird, bei der Nutzung gar nicht ausgeschaltet werden.

Vielleicht die nächste Generation

Wir würden die Airvision M1 wirklich gerne mögen, ehrlich. Denn rein konzeptionell ist das Produkt spannend. Empfehlen können wir sie aber leider ausdrücklich nicht.
Für einen Bruchteil des Preises wäre der durch verschiedenste Faktoren eingeschränkte Nutzen vielleicht noch zu rechtfertigen. Die happigen 699 Franken sind Stand heute aber ganz klar besser in (wirklich) grosse, mobile oder besonders Privacy-freundliche Display-Lösungen investiert.

Es scheint, als ob Asus bei der Entwicklung viele Sachen gleichzeitig erreichen wollte, aber nichts davon sauber umgesetzt hat. Die Brille will alles können und kriegt gleichzeitig nichts davon richtig gut hin. Die Hardware ist nicht fertig gedacht, was in wirklichen Deal-­Breakern resultiert, wie etwa, dass das Nutzen und das Laden des Quellgerätes oft nicht parallel möglich ist. Dazu kommt, dass die Software langsam ist, Bugs und Kinderkrankheiten hat und schlicht nicht fertig ist. Dass etwa ein Modus fehlt, in dem der Screen des Laptops ausgeschaltet werden kann, ist schwer zu verstehen.


Die Idee hinter dem Gerät ist nach wie vor nicht schlecht. Es braucht aber wohl noch eine nächste oder übernächste Generation, bis wir über eine ernsthafte Alternative zu klassischeren Screen-Konzepten sprechen können. (win)


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