Die ERP-Anwender haben eine echte Wahl

Die ERP-Studie von i2S und InfoWeek zeigt unter anderem klar, welches die wichtigsten Zufriedenheitsfaktoren sind.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/13

     

Die ERP-Zufriedenheitsstudie des Zürcher Beratungsunternehmens i2s Consulting und von Infoweek/IT Reseller wird in diesem Jahr bereits zum dritten Mal durchgeführt. Die Studie hat in dieser Zeit einiges bewegt. Der Markt ist transparenter geworden und einige Anbieter haben auf die Kritikpunkte reagiert. Der Erfolg zeigt sich auch daran, dass inzwischen Deutschland und Österreich die Studie übernommen haben. InfoWeek hat Eric Scherer, den Initiator und Leiter der Studie, über die bisherigen Erfahrungen und den heutigen ERP-Markt befragt.







InfoWeek: Was war der ursprüngliche Anlass, die ERP-Zufriedenheitsstudie durchzuführen?


Eric Scherer: In den letzten Jahren sind ERP-Software-Systeme zur «Commodity» geworden. Sie gleichen sich untereinander immer mehr. Nahezu alle Systeme haben eine langjährige Geschichte und einen breiten, vielleicht sogar zu breiten Funktionsumfang. Mit dem Aufkommen der Datenbanktechnologie vor nunmehr über 15 Jahren sind sie sich auch technologisch immer ähnlicher geworden. Eine enge Abhängigkeit von der Hardware-Plattform – früher ein wichtiges K.O.-Kriterium – gibt es heute nicht mehr. Damit gewinnt die Dienstleistungsqualität zur Differenzierung immer mehr an Bedeutung. Hier aber erfährt der Anwender nur Widersprüchliches: Auf der einen Seite die ständigen Success-Stories der Anbieter, auf der anderen Seite das Gerede vom fast schon zwanghaften Scheitern solcher Projekte auf Stammtisch-Niveau.





Was sind die wichtigsten Erkenntnisse der bisherigen Studien?


Die wichtigste Erkenntnis ist wohl, dass der Markt wesentlich bunter ist, als man das immer wieder angenommen hat. Im ersten Durchführungsjahr hat InfoWeek damals treffend in einer Karikatur den «Schweizer Software-Zoo» vorgestellt. Das hat die Sache sicher getroffen, wenn man unter Zoo kein Chaos, sondern Artenvielfalt und breite Auswahl versteht. Wir haben heute über 250 Anbieter und Entwicklungspartner allein für die Schweiz auf unserer Liste – und die Anwender sind mehrheitlich zufrieden. Der Notenschnitt lag in allen Studien bei «gut». Die Anwender haben also eine echte Wahl.





Was sind aus Ihrer Sicht wichtige Auswahlkriterien, auf die man achten sollte?


Für die Höhe der Kundenzufriedenheit scheint klar die Kundennähe verantwortlich zu sein. Lokale Nähe ist dabei ebenso wichtig, wie Nähe zur Branche des Anwenders. Gerade hier zeigt sich die Stärke des Schweizer Anbietermarktes: Beide Kriterien lassen sich in der Regel problemlos von mehreren Anbietern erfüllen. Technologie dagegen spielt nur eine untergeordnete Rolle. Was die beste Technologie für ein ERP-System ist, kann ohnehin kaum jemand beurteilen – sicher nicht einfach nur «webbasiert». Stark überschätzt wird auch immer wieder der Mythos vom Investitionsschutz. Investitionsschutz bezieht sich immer auf den Software-Code, die Installation im eigenen Unternehmen und die Qualität der Daten. Gerade die Datenqualität wird von vielen aber vergessen. Letztlich wichtig ist, dass man einen Anbieter als Partner hat, der den Anwender auch noch in fünf Jahren als wichtigen Kunden betrachtet.





Die ERP-Zufriedenheitsstudie ist eine Studie von vielen. Was ist das besondere daran?


Leider gibt es heute zu viele Studien am Markt, und die meisten davon sind eher schlecht als recht. Das besondere an der ERP-Zufriedenheitsstudie sehe ich vor allem in ihrer Kontinuität und Professionalität. Die Studie läuft mittlerweile im dritten Jahr. Neben der Schweiz haben sich inzwischen auch Deutschland und Österreich angeschlossen. In der Türkei läuft dieses Jahr ein Pilot, und in den Niederlanden sind wir mit Partnern im Gespräch. In allen Ländern wird nach derselben Methodik vorgegangen und dieselben Fragen gestellt. Bis jetzt haben wir Daten von über 3'500 Unternehmen gesammelt. Seit diesem Jahr haben wir zudem einen wissenschaftlichen Beirat, dem führende ERP-Spezialisten angehören, unter anderem von der ETH Zürich, der RWTH Aachen und der Wirtschaftsuniversität Wien.
Auch wenn unsere Ergebnisse oft nicht jedem gefallen, so sind sie doch bestens abgesichert und von zahlreichen Experten begutachtet worden, bevor sie publiziert werden. Schlecht recherchierte Daten wie etwa offensichtlich falsche Marktanteile können uns kaum unterlaufen.





Dennoch wurde die Studie immer wieder angegriffen. Wieso?


Natürlich sind unsere Ergebnisse gerade für jene Anbieter, die von ihren Anwendern im Vergleich keine gute Bewertungen bekommen, problematisch. So etwas kann sich schnell im Verkauf auswirken. Dann werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Studie und ihre Ergebnisse zu verunglimpfen. Ich kann Anbieter verstehen, wenn sie mit schlechten Ergebnissen unzufrieden sind. Doch bin ich der Meinung, dass unsere Ergebnisse die Wirklichkeit des Tagesgeschäfts sehr gut wiedergeben.





Was würden Sie Anbietern in dieser Situation raten?


Es ist sinnvoll, sich intensiv mit den Ergebnissen auseinanderzusetzen. Mit den über 25 verschiedenen Zufriedenheitskriterien zeichnen wir ein sehr gutes Bild der Praxis. Einzelne Anbieter, die keine sehr guten Bewertungen hatten, haben unsere Studie ernstgenommen. So hat z.B. ein Schweizer Anbieter die Ergebnisse im Rahmen einer Reihe von Kundentagen intensiv mit den eigenen Kunden diskutiert und dann gemeinsam ein Massnahmenpaket zur Verbesserung geschnürt. Die Studienergebnisse des Folgejahres gaben allen recht: Die Zufriedenheit der eigenen Kunden konnte durch gezielte Massnahmen verbessert werden. Das schönste daran: Der Anbieter hat so auch einige neue Kunden gewinnen können.



Ein Kritikpunkt war, dass Systeme wie Oracle, SAP Business One oder Semiramis nicht in ihrer Studie auftauchen. Wie stehen Sie dazu?

Dies ist eine Dauerkritik, die kürzlich in Österreich sogar in einem Editorial einer renommierten Computerzeitschrift erhoben wurde. Die Antwort ist einfach: In unserer Studie tauchen nur Systeme auf, die auch wirklich über eine etablierte Installationsbasis verfügen. Gerade die genannten Anbieter sind entweder noch relative «Newcomer» oder sie verfügen einfach über ein Marketingbudget, dass noch immer deutlich grösser ist als die echte Installationsbasis. Die erzeugte Wahrnehmung übertrifft dann die Realität schnell um ein Vielfaches. Wir sind natürlich daran interessiert, auch hier Daten zu gewinnen, aber das kann durchaus noch ein paar Jahre dauern.





Ihre Studie macht den KMU-Markt zum Schwerpunkt. Was lässt sich hier sagen?


Eines der interessantesten Erlebnisse war, dass unsere langjährigen «Frontrunner», etwa Tosca und Proffix, vor unserer Studie fast unbekannt waren. Die Namen wurden so gut wie nie in einer Zeitschrift erwähnt. Die Studie zeigt jedoch, dass gerade für KMU als Anwender auch KMU als Anbieter eine wichtige Rolle spielen. Gleichzeitig zeigen unsere Daten zwei andere Dinge: KMU sind in Bezug auf ihre Prozesse beinahe so komplex wie Grossunternehmen. Es reicht also nicht, einfach nur ein Grosssystem auf KMU-Grösse zu schrumpfen. Gleichzeitig sitzen gerade KMU in Bezug auf ERP-Software in einer Kostenschere. Vergleichsweise hohe Investitionskosten müssen auf relativ wenig Anwender verteilt werden. Das steigert aber auch die Qualität der Projekte, da die Selbstkontrolle besser läuft. Ich selber bin der Meinung, dass gerade in Bezug auf Projektorganisation und Projektplanung auch Grossunternehmen einiges bei KMU lernen könnten. Doch da bin ich wohl ein einsamer Rufer.





Eine letzte Frage: Was wünschen
Sie dem Markt?


Im Moment leben wir ja mit einem Investitionsstau und ich glaube, dass auch der Schock der E-Business-Blase bei vielen Entscheidern und Geschäftsleitungen noch immer nicht verdaut ist. Man ist noch immer misstrauisch. Ich selbst bin der Überzeugung, dass ERP-Investitionen ein wichtiger Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit sind und gerade in der Schweiz beim Wettlauf um die Globalisierung helfen können. Ich wünsche mir, dass die Anwenderunternehmen wieder mehr Vertrauen in die Anbieter gewinnen und dass sich die Anbieter auch ernsthaft um dieses Vertrauen bemühen. Der Markt ist insgesamt besser als sein Ruf, und die Verbesserungspotentiale liegen klar auf der Hand.




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