Customer Relationship Management: Der Kunde ist Kaiser

Hinter CRM versteckt sich ein dschungelhafter Markt von Lösungen zur Pflege der Kundenbeziehungen – wichtiger ist aber die zugrundeliegende Geschäftsphilosophie.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2000/42

     

E-Business hat einen entscheidenden Nachteil: Der direkte Kontakt zum Kunden entfällt. Statt dem Verkaufsgespräch, in dem das Verkaufspersonal persönlich auf die individuellen Wünsche des Käufers eingehen kann, ist in der neuen Wirtschaft die Website zum hauptsächlichen Interface zwischen Anbieter und Abnehmer geworden.



Aber auch im nichtelektronischen Wirtschaftsleben hat sich einiges geändert. War vor nicht allzu langer Zeit Tante Emma in ihrem Dorfladen noch die alleinige Anlaufstelle für sämtliche Kundenbedürfnisse von der Kaufberatung bis zur Mängelrüge, hat der durchschnittliche Einzelkonsument heute bei jeder Firma, von der er etwas gekauft hat, eine Vielzahl von Anlaufstellen. Fürs Order Processing ist jemand anders zuständig als für den Support, und mit der Koordination zwischen den Abteilungen hapert es in manchen Unternehmen bedenklich. Noch komplexer ist das Verhältnis im Business-to-Business-Umfeld, wo auf beiden Seiten nicht Einzelpersonen, sondern ganze Projektteams mit Mitgliedern aus den unterschiedlichsten Unternehmensbereichen von der Geschäftsleitung bis zur Versandabteilung involviert sind.


CRM, der neue Hype?

Customer Relationship Management (CRM) soll, so vermeldet die Software-Industrie, dem Verhältnis zwischen Anbieter und Kunde zum langfristigen Erfolg verhelfen. Der Markt scheint attraktiv zu sein, wie diverse Fusionen und Kooperationen zeigen. So hat ERP-Hersteller PeopleSoft die CRM-Spezialistin Vantive übernommen, und Telecom-Hersteller Nortel hat sich Clarify einverleibt. HP arbeitet für sein CRM-Produkt Front Office mit Broadvision und Rubric zusammen. Nach wie vor gibt es aber einen klaren Leader: Siebel Systems hat die Kategorie CRM erfunden und beherrschte 1999 den Markt mit einem Umsatz von 600 Millionen Dollar, gefolgt von Oracle (219 Mio.), PeopleSoft (160 Mio.) und Clarify (157 Mio.).





Was ist CRM?

So vielfältig das Softwareangebot auch sein mag - CRM ist eigentlich keine neue Softwarekategorie, sondern eine grundlegende strategische Ausrichtung eines Unternehmens. Die Meta Group definierte den Begriff 1999 wie folgt: "CRM ist eine Geschäftsphilosophie zur Optimierung der Kundenidentifizierung, der Kundenbestandssicherung sowie des Kundenwertes. Die Umsetzung dieser Philosophie erfolgt durch die Automatisierung aller horizontal integrierter Geschäftsprozesse, die über eine Vielzahl von Kommunikationskanälen die 'Customer Touch Points' Vertrieb, Marketing und Kundenservice involvieren." Auf den Punkt gebracht:




• CRM hat eine proaktive, langfristige, erfolgreiche Beziehung zwischen Kunde und Unternehmen zum Ziel.





• CRM betrifft das gesamte Unternehmen, alle Mitarbeiter, Abteilungen und alle Geschäftsprozesse.




• CRM lässt sich nicht kurzfristig umsetzen, sondern muss in die langfristige Firmenstrategie eingehen.




• CRM muss folglich von der Geschäftsleitung initiiert und getragen werden.




• CRM bezieht sich auf alle Interaktionen mit dem Kunden.




• CRM lässt sich mit technischen Hilfsmitteln umsetzen, erfordert aber weit mehr als die blosse Installation von Software.




• CRM setzt einen radikalen Wandel in der Denkweise des Unternehmens voraus.



Dabei sind zwei Aspekte besonders wichtig: Erstens lässt sich CRM nur dann erfolgreich umsetzen, wenn die Mitarbeiter motiviert sind und sich als Dienstleister am Kunden verstehen. "Beamtentypen", die getreu der Devise "Achtung, Kunde droht mit Bestellung" bloss mürrisch auf Anfragen reagieren, statt aktiv den Kundenkontakt zu suchen, sind pures Gift für eine kundenorientierte Firma. Nur eine CRM-Lösung mit durchdachter Oberfläche, deren Bedienung nach einer fundierten Schulung Spass macht, ist für die Mitarbeitermotivation hilfreich. Die optimale Kundenbetreuung ist nur über eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit zu erreichen. Ebenso wichtig wie die CRM-Software selbst: Ohne entsprechende Kompetenzen kann kein Mitarbeiter seine neue Rolle als Kundenbeziehungs-Manager mit Erfolg übernehmen. Eine kundenorientierte Firma lebt von selbständigem, verantwortungsbewusstem Personal.



Zweitens erfordert CRM eine punktgenaue Synchronisation der Unternehmensfunktionen. Die Praktiken und das Mitarbeiterwissen im Call Center müssen zum Beispiel mit der aktuellen Marketingkampagne im Einklang stehen. Es dient dem Firmenimage kaum, wenn die Telefonisten nichts von der laufenden Aktion wissen.



Davon betroffen sind nicht nur die Front-Office-Stellen, die direkt mit dem Kunden kommunizieren, sondern auch Abteilungen im Backoffice wie Lagerbewirtschaftung und Spedition, deren Verhalten sich ebenfalls stark auf die Kundenzufriedenheit auswirkt. Das schönste E-Commerce-System mit Verfügbarkeitsabfrage und One-Click-Ordering bringt nichts, wenn die Spedition schläft und die bestellte Ware erst nach Tagen ausliefert.


Beziehungsmarketing ist Trumpf

Im kundenorientierten Unternehmen ändert sich auch die Marketing-Philosophie: Statt sich an den Produkten des Unternehmens zu orientieren, befasst man sich mit der Beziehung zum Kunden. Sie muss durch geeignete Massnahmen, die von der CRM-Software unterstützt werden, während des gesamten Kundenbeziehungszyklus abgedeckt werden - vom potentiellen (Lead) über den tatsächlichen Interessenten (Prospect) bis zum Käufer (Customer), der in der Folge zum Stammkunden (Repeat Customer) werden soll. Ein wesentlicher Aspekt von CRM ist somit, das gesamte Wissen über den Kunden und die Kontakte mit ihm stets allen Beteiligten in sofort erfassbarer Form zugänglich zu halten. Gute Kontakte eines Verkäufers zum potentiellen Kunden ("ich kenne in der Firma den Geschäftsleiter vom Segelclub her…") sind völlig nutzlos, wenn die zuständige Projektgruppe nichts davon weiss. Spätestens bei der Pensionierung des Top-Verkäufers geht sein Erfahrungsschatz zudem für die Firma völlig verloren, wenn er nicht zuvor ins CRM-System eingebracht wurde.



Da Kunden, egal ob im B2B- oder B2C-Umfeld, zu guter Letzt immer Menschen sind, spielen individuelle Wünsche und Emotionen eine Hauptrolle. Der Kontakt mit dem Unternehmen muss für jeden Kunden immer möglichst angenehm sein - ohne freundliche, professionelle Bedienung in jeder Phase wird kein Lead zum Repeat Customer. Inkompetenz ("entschuldigen Sie, ich bin nur vom Call Center und weiss das nicht…") ist ebenso schädlich wie unklare Zuständigkeiten ("tut mir leid, ich muss Sie weiterverbindern…"). Ganz schlecht ist schlichte Unfreundlichkeit ("das müssen Sie schriftlich erledigen" im barschen Kasernenton). Merke: Negative Erlebnisse bleiben länger im Gedächtnis als positive!





Multichannel-Betreuung

Im Zeitalter der elektronischen Kommunikation kann der Kontakt zum Kunden über verschiedene Kanäle erfolgen. Die Multichannel-Kundenbeziehung umfasst neben dem persönlichen Beratungs-, Verkaufs- und Supportgespräch Kontakte via Telefon, E-Mail, Fax, Website, Chats und Diskussionsforen sowie WAP und künftige Mobiltechnologien. Eine umfassende CRM-Lösung stellt Schnittstellen und Anwendungen zur Integration all dieser Customer Touch Points zur Verfügung.



Die Dienstleistungsqualität eines Unternehmens muss an allen Touch Points ebenbürtig sein. Besonders hohe Anforderungen stellt der "E-Kunde": Wer übers Internet anfragt oder bestellt, erwartet Highspeed-Bedienung. Eine E-Mail-Anfrage zum Beispiel sollte innert allerhöchstens 24 Stunden beantwortet sein, und auch das ist eigentlich noch zu viel. Ein kundenorientiertes Unternehmen kann es sich demnach nicht leisten, den elektronischen Briefkasten nur gerade einmal am Tag zu leeren.





CRM-Software: Ein buntes Gemisch

Der CRM-Markt setzt sich aus einer ausserordentlich breiten Palette verschiedenartigster Produkte zusammen. Meist handelt es sich um Software, aber auch Call-Center-Hardware gehört zumindest entfernt in den CRM-Dunstkreis. Unter dem CRM-Label segeln Anwendungen und Technologien wie Kontakt- und Terminmanagement, Sales-Force- und Marketing-Automation, Call Center, Mailing- und Kampagnen-Management, Helpdesk- und Supportsysteme, Knowledge Management, Website-Personalisierung, Kundenprofilierung, Business Intelligence, OLAP, Data Mining, Webserver-Logfile-Analyse und manches mehr. Dementsprechend beteiligen sich am CRM-Zirkus Hersteller unterschiedlicher Provenienz: Kontaktmanagement-Spezialisten wie Interact und Frontrange (ehemals Goldmine), ERP-Hersteller wie SAP, PeopleSoft und Oracle, E-Business-Anbieter wie Broadvision, Onyx und Openmarket, Business-Intelligence-Grössen wie SAS und Hyperion sowie Telecom-Firmen wie Nortel oder der Lucent-Spinoff Avaya.



Je nach Gewichtung der Customer Touch Points stehen unterschiedliche Anwendungen im Vordergrund: Von Sales Force Automation und Marketing Automation profitieren alle Unternehmen gleichermassen, egal von der Grösse der Firma und von der Anzahl Kunden, ebenso von softwaregestütztem Support und Service. Typische E-Commerce-Techniken wie Profiling sowie analytische Anwendungen wie Data Mining sind dagegen vor allem für E-Business-orientierte Firmen mit grosser Kundenzahl von Interesse.




Die Diversität der eingesetzten Technologien macht deutlich, dass es keine CRM-Lösung von der Stange geben kann. Allein der CRM-Marktführer Siebel stellt auf seiner "eBusiness Solutions Map" im Landkartenformat buchstäblich Hunderte von Anwendungen vor, die zu einem guten Teil dem CRM-Bereich angehören. Kompetente Beratung, die entweder der Hersteller oder ein unabhängiger CRM-Spezialist liefert, ist unabdingbar.



Aber auch vergleichsweise einfache Kombinationen aus SFA, MA und Supportunterstützung können nicht wie ein Office-Paket in Minutenschnelle installiert und genutzt werden. Der Schweizer Hersteller Team Brendel verkauft seine KMU-orientierte Lösung WinCard CRM grundsätzlich nur zusammen mit Beratung und Schulung; für eine erfolgreiche Implementation rechnet er mit einem Zeitraum von drei Monaten zwischen dem Vorliegen des Detailkonzepts und dem produktiven Einsatz - und das ist eine erstaunlich kurze Zeitspanne.




Kategorien von CRM-Software

Wie eingangs erwähnt, setzt sich Customer Relationship Management aus verschiedensten Anwendungen zusammen. Die wichtigsten Kategorien seien im folgenden kurz skizziert.




Kontakt- und Terminmanagement: Einfache Anwendungen mit einer Hauptfunktion: Sie liefern für jeden Kunden eine komplette Kontakt-History, die allen Mitarbeitern jederzeit Einsicht in die Beziehung des Unternehmens zum Kunden gewährleistet.


Einsatzgebiet: einzelne Benutzer, kleinere Unternehmen

Beispiel: Act! 2000

Preiskategorie: einige Hundert Franken pro Arbeitsplatz




Sales Force Automation, Marketing Automation: Hier handelt es sich um den eigentlichen Kern einer CRM-Gesamtlösung, der sich aus netzwerkorientierten Anwendungen zur Koordination und Standardisierung der Verkaufs- beziehungsweise Marketingaktivitäten zusammensetzt. Neben umfassenden Kontakt- und Terminmanagementfunktionen bieten sie Features wie Planungshilfe und automatische Durchführung von und für Marketing-Kampagnen, Auswertungen wie Kundenkontakte, potentielle und tatsächliche Umsätze pro Verkäufer sowie spezifische Erweiterungen für bestimmte Branchen.

Einsatzgebiet: KMU und Bereiche von Grossunternehmen

Beispiele: SuperOffice, SalesLogix, WinCard CRM

Preiskategorie: einige Tausend Franken pro Arbeitsplatz




Service- und Supportunterstützung: Mit Funktionen wie Wissensdatenbank, automatische Weiterleitung von Anfragen an den geeigneten Mitarbeiter, Zurückverfolgung von Kundenanfragen und Analyse von Antwortzeiten und Effizienz der Bearbeitung von Supportfällen unterstützt diese CRM-Kategorie die Mitarbeiter in Service- und Supportabteilungen. Ein wichtiger Aspekt: Alle Supportkanäle wie Web und Telefon müssen integriert sein; mit Web-orientierten "Self-Service"-Supportdatenbanken können die Supportmitarbeiter von einem Teil der Kundenanfragen entlastet werden.

Einsatzgebiet: Support- und Service-Organisationen in KMU und Grossunternehmen

Beispiele: Siebel Service, FrontRange Heat; als Teil in zahlreichen CRM-Gesamtlösungen enthalten

Preiskategorie: einige Tausend Franken pro Arbeitsplatz




Call Center: Dies ist die zentrale Anlaufstelle zur direkten und effizienten Bearbeitung telefonischer Kundenanfragen wie Bestellungen, Produktauskünften und Reklamationen, die sofort von einem einzelnen Call-Center-Mitarbeiter erledigt werden. Reine Telefon-Call-Centers haben allerdings den Nachteil, dass nur ein Kommunikationskanal berücksichtigt wird. Weitergehende CRM-Anwendungen wie Supportdatenbanken und Ticketing-Systeme zur automatischen Verteilung von eingehenden Anfragen ermöglichen den Aufbau eines Customer Care Center, das sich unabhängig vom gewählten Kontaktmedium um die Kundenanliegen kümmert. Call-Center-Lösungen sind nicht nur für grosse Firmen, sondern auch für KMU erhältlich.

Einsatzgebiet: alle Unternehmen

Beispiele: Hardware und Software von Avaya, Nortel und TPS Labs

Preiskategorie: einige Tausend Franken pro Arbeitsplatz




E-Business: Diverse E-Business-Lösungen haben integrierte CRM-Features wie Profiling, Analyse des Kauf- und Surfverhaltens, Online-Support, Merchandising, Cross- und Upselling. E-Commerce-Anbieter Openmarket erweitert den CRM-Begriff in diesem Zusammenhang zum "Universal Customer Experience Managament". Zusammen mit den analytischen CRM-Anwendungen spricht man hier auch von "E-CRM".

Einsatzgebiet: E-Commerce-orientierte Unternehmen

Beispiele: E-Commerce-Lösungen von Openmarket, Oracle, Siebel, Broadvision, Peoplesoft, SAP u.a.

Preiskategorie: im sechsstelligen Bereich




Analytical CRM: Unter diesem Oberbegriff finden sich Business-Intelligence-Anwendungen, hinter denen Technologien wie Data Mining und OLAP stehen. Eines der Hauptversprechen der Hersteller solcher Produkte: Durch die Analyse der Kundenbeziehungen lässt sich das künftige Verhalten der Kunden voraussagen. So bietet SAS eine Branchenlösung für Telefongesellschaften, mit denen sich per "Churn-Analyse" Kunden identifizieren lassen, die voraussichtlich ihr Abonnement kündigen.
Wie bei der Kundenbetreuung ist es auch für die Analyse wichtig, dass alle Customer Touch Points berücksichtigt werden, und zwar über einen längeren Zeitraum. Dabei fallen Unmengen von Daten an, die sich nur mit einer soliden Data-Warehouse-Infrastruktur bewältigen lassen.

Einsatzgebiet: Unternehmen mit grosser Kundenzahl

Beispiele: Hyperion eCRM Analysis, SAS eDiscovery

Preiskategorie: im sechsstelligen Bereich



Wie die Aufstellung zeigt, überschneiden sich die einzelnen CRM-Kategorien einerseits und sind andererseits auf eine enge Integration mit weiteren Business-Strukturen angewiesen. Eine optimale CRM-Installation muss daher Abteilungsübergreifend zusammen mit allen Verantwortlichen im Unternehmen wie auch dem CRM-Anbieter bis ins Detail geplant und umfassend umgesetzt werden.



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