Frontalangriff auf AGI, Unicible und RTC
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/19
Die Informatiklandschaft der Schweizer Universalbanken wird umgepflügt. Nach Jahren des Permafrosts treten nun neue Anbieter auf den Plan, die zum Frontalangriff auf die behäbigen Gemeinschaftswerke blasen. Es ist dies einerseits der US-Outsourcing-Gigant CSC, der mit SAP als Juniorpartner die sogenannte "Swiss Banking Platform" vermarkten will, eine ursprünglich für die Zuger Kantonalbank entwickelte modulare Gesamtbankenlösung. Auf der anderen Seite sind dies die Zürcher Softwarefirma Avaloq und IT-Dienstleister Telekurs Services, die zunächst für die Bank Linth eine Outsourcing-Lösung auf Basis der Avaloq-Gesamtbankenlösung auf die Beine stellen werden und diese zu einem späteren Zeitpunkt auch anderen Banken anbieten wollen. "Wir stehen kurz vor Vertragsunterzeichnung", bestätigt Telekurs-Sprecher Bernhard Wenger.
"Der Markt ist offen für neue Anbieter", glaubt Thomas Hilgendorff, Business Unit Director bei CSC und für die Swiss Banking Platform verantwortlich. Er spricht damit indirekt die grassierende Unzufriedenheit vieler Banken mit ihren Informatiklieferanten an. Besonders die kleinen und mittleren Retailbanken sind zunehmend frustriert. Für sie ist die Entwicklung und der Betrieb einer eigenen Plattform zu kostspielig, weshalb sie sich bereits vor Jahren zu Gemeinschaftswerken zusammengeschlossen haben.
Doch die Gemeinschaftswerke wie Swisscom IT Service (AGI), RTC und Unicible haben ein Problem: Ihre Lösungen gelten in Fachkreisen als technisch überholt, unflexibel und teuer im Unterhalt. Die Abbildung neuer Produkte ist zum Teil nicht mehr gewährleistet. Kommt hinzu, dass das Aktionariat der Gemeinschaftswerke häufig zerstritten ist. Es gibt so viele Meinungen wie Bankvertreter im Verwaltungsrat. Jeder schaut zuerst für sich. Eine gemeinsame Marschrichtung ist kaum zu erkennen. Klar ist, dass deshalb die Entscheidungsprozesse sehr lang sind.
Manche Bank, die in ein Kooperationsmodell eingebunden ist, schaut sich deshalb nach Alternativen um. Die Kantonalbanken von Nidwalden, Obwalden, Glarus und Appenzell, die dem Verbund von Swisscom IT Services angehören, führen derzeit Gespräche. Ihre Verträge mit Swisscom IT Services laufen im April 2004 aus, danach sind sie offen für Neues. Die gleiche unverblümte Offenheit legen auch die zum Unicible-Verbund zählende Kantonalbanken von Genf, Wallis und Neuenburg an den Tag. Diese sehen sich immer weniger für einen Verbleib im Verbund genötigt, nachdem die federführende Waadtländer Kantonalbank die genannten Institute aus dem Verbund ausgekauft hat. Unzufriedene Banken befinden sich auch im RTC-Verbund, wo die Berner Kantonalbank und die Bernischen Kraftwerke BKW das Sagen haben. Wackelkandidaten dort sind die Kantonalbanken der beiden Basel, die Bank Coop und die Migrosbank.
Eine Ausnahme stellt die kürzlich auf den Namen Finnova umgetaufte Finis dar: Sie ist die einzige Verbundsfirma, die sich die Mühe machte, eine von Grund auf neue Bankenlösung zu entwickeln. Kostenpunkt: über 100 Millionen Franken. Die Lösung soll nun bis Ende Jahr bei den ihr verbliebenen Retailbanken, der Schaffhauser, der Schwyzer und der Urner Kantonalbank, implementiert werden. Auch Finnova will weitere Banken unter Vertrag nehmen und befindet sich nach dem schmerzlichen Ausstieg verschiedener Privatbanken wieder voll auf "Angriffskurs", wie Geschäftsführer Charlie Matter erklärt. Die Firma, die sich als reine Software- und Integrationsanbieterin versteht, befinde sich in Gesprächen mit zwei Rechenzentrumsanbieter, die für ein allfälliges Hosting in Frage kämen.
Das Interesse von CSC, Avaloq/Telekurs und Finnova am Markt für kleinere und mittlere Universalbanken kommt nicht von ungefähr. Laut Rudolf Marty, Bankenprofessor und Geschäftsführer der Beratungsfirma Itopia, werden in der Schweiz allein mit IT-Systemen fürs Bankgeschäft jährlich über 4 Milliarden Franken umgesetzt. Total beziffert er die Ausgaben der Banken in die IT auf über 7 Milliarden pro Jahr. Das ist viel Geld, möglicherweise auch zu viel. Die Banken, die mit rückläufigen bis bestenfalls stagnierenden Erträgen zu kämpfen haben, versuchen an allen Ecken und Enden zu sparen. Der Einsstieg von CSC, Avaloq/Telekurs und Finnova wird den Markt beleben und hoffentlich auch zu tieferen Kosten führen. Wie das Büro Bernet & Partner ausgerechnet hat, gibt es Banken, die bis zu 100'000 Franken pro Mitarbeiter an die IT bezahlen.
Noch reagieren die Gemeinschaftswerke mit betonter Gelassenheit auf die entstehende Konkurrenz. Sie verweisen mit einem gewissen Recht auf ihre langjährige Erfahrung im Servicegeschäft mit Retailbanken, welche den neuen Playern teilweise völlig fehlt. Doch sie wähnen sich in trügerischer Sicherheit. Denn selbst im Banking können Entscheide sehr schnell fallen und Veränderungen sehr schnell herbeigeführt werden. Niemand hat dies besser bewiesen als Avaloq, die in den letzten Monaten eine Ausschreibung nach der anderen gewonnen hat. Sie zählt inzwischen rund 15 Kunden. Durch die Kooperation mit Telekurs könnte die Avaloq-Software einen abermaligen Schub erfahren. Doch genau hier liegt ihr grösstes Problem: Wenn Avaloq weiter so fleissig verkauft, läuft sie Gefahr, zuviel interne Kapazitäten für Integrationsjobs abstellen zu müssen, wodurch die Weiterentwicklung der Plattform leiden würde.
Das Gespann CSC/SAP kennt diese Probleme nicht. Der Betriebssoftwareriese SAP verweist auf über 600 Bankenentwickler am Hauptsitz in Deutschland und im Vergleich zu Avaloq über geradezu unendliche finanzielle Ressourcen. Auch CSC ist mit seinen weltweit fast 100'000 Beschäftigten ein kraftstrotzender Bursche. Doch aller Potenz zum Trotz ist es dem Gespann bisher nicht geglückt, im Schweizer Markt richtig Fuss zu fassen. Die Swiss Banking Platform läuft derzeit nur bei der Zuger Kantonalbank. Da muten Pläne, die Plattform europaweit zu vermarkten, reichlich verwegen an. Und es stellt sich die Frage nach der Verlässlichkeit des Partners SAP, dessen Banking-Software-Angebot beim besten Willen nicht als rund und vollständig bezeichnet werden kann und dessen kürzlich publik gemachte enge Kooperation mit Accenture nicht als Vertrauensbeweis für CSC gewertet werden kann.