Das Ende der Chefsekretärin

Die Zeiten der Sekretärin im klassischen Sinn sind vorbei. Heute sind Leute gefragt, die Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/06

     

Wer kennt nicht das folgende Szenario: "Und nicht vergessen, Chef, heute hat Ihre Frau Geburtstag. Den Blumenstrauss habe ich schon gekauft." Die aus Filmen wohlbekannte Szene zwischen Chef und der hinter ihm her eilenden Sekreätrin ist im Internetzeitalter kaum mehr zu sehen. Denn der Computer kann das heute genau so gut: Die Erinnerungsfunktion von Outlook vergegenwärtigt den Termin "Geburtstag Ehefrau", bei Fleurop wird per Internet der Blumenstrauss bestellt. Dazu bietet der Computer weitere Vorteile: Er will keinen Lohn, ist nie krank und schreit auch nicht nach Kaffee- oder Mittagspause. Warum also eine Chefsekretärin?



Hansruedi Kuster, Leiter Marketing bei SAP Schweiz, hat seit 1995 keine mehr. "E-Mail, offen zugängliche Terminkalender und auch das Handy mit der entsprechenden Combox haben den Vorteil, dass ich praktisch permanent ansprechbar bin. Diese Hilfsmittel sind effizient und kundenfreundlich sofern der Benutzer gut organisiert und diszipliniert arbeitet." Das Berufsbild einer klassischen Sekretärin existiert gemäss Kuster in der Technologie-Branche nicht mehr. Es habe sich stark in Richtung Assistentin gewandelt, die einen Added Value in Form von Wissen über Produkte und Geschäftsprozesse zu bieten hat.




Für Frank Studerus, Managing Director von Studerus Telecom, ist die Koordination mit einer Sekretärin sehr aufwendig - er arbeitet ohne. Mit Mail und Scheduler könne er einen grossen Teil der Sekretariatsarbeit selber erledigen.


Nicht nur auf moderne Hilfsmittel setzen

Auch Alexandre Salzmann, Country Manager Adobe Schweiz, hat keine eigentliche Sekretärin mehr. Er und seine Mitarbeiter nutzen für die allgemein als klassische Sektretariatsarbeiten bezeichneten Aufgaben wie Terminverwaltung, Protokollführung etc. modernste Infrastrukturmittel. Sobald jedoch Fachknow-how gefragt ist, greift er auf "Assistenten mit klar definierten Verantwortungsbereichen" - beispielsweise für Finanzen, Human Resources, Rechtsfragen - zurück: "Mein E-Mail kann keine Projekte übernehmen ....".





Von der Mitarbeiterin zur Mitdenkerin

Dass Tools eine freundliche Person nicht ersetzen können, ist allen klar. Sie sind dafür immer verfügbar. Doch auch die modernsten Hilfsmittel stossen an ihre Grenzen, wenn Entscheidungen getroffen oder Verantwortung übernommen werden muss.



"Tools können gewisse Abläufe und Arbeitsschritte effizienter machen. Eine gute Mitarbeiterin resp. Mitdenkerin kann durch keine Technologie ersetzt werden", so Günter Weimer, General Manager von Microsoft Schweiz. Die Nutzung moderner Tools durch den Vorgesetzten selbst helfe unnötige Doppelspurigkeiten und Leerläufe zu vermeiden; der Einsatz dieser Arbeitsmittel ist nach Weimers Erachten eine Frage der Effizienz. Das Jobprofil seiner Assistentin umschreibt er mit "Mitdenken und Mitplanen".




Für allgemeine administrative Aufgaben steht bei der Software AG der ganzen Firma eine Sekretärin zur Verfügung, die zu etwa 30 Prozent von Geschäftsführerin Michaela Stöckli ausgelastet wird. "Die Sekretärin ist genauer, zuverlässiger und kreativer als die Internet gestützten Software-Tools. Allerdings ist sie nicht immer verfügbar, beispielsweise am Abend oder übers Wochenende", meint Michaela Stöckli.



In seiner Zeit als Geschäftsleiter von Novell Schweiz hatte Adrian Humbel keine Sekretärin. Seit vier Monaten hat der Director Market Development EMEA von Novell eine persönliche Assistentin. Moderne Hilfsmittel könnten seiner Meinung nach schon eine Sekretärin ersetzen, aber "dank der Assistentin ist meine Zeit effizienter eingesetzt, und ich bin kundenfreundlicher erreichbar."



Das Berufsbild hat sich stark geändert: Von der heutigen Sekretärin, sprich Assistentin, wird vor allem verlangt - vom Fachwissen abgesehen - dass sie Verantwortung übernehmen kann, bereit ist, Entscheide zu fällen, mitdenkt und nicht mehr nur Befehle von oben ausführt. Frank Studerus: "Nur für Korrespondenz oder Terminverwaltung braucht man heute keine Sekretärin mehr."



Auch muss zwischen Chef und Sekretärin ein enormes Vertrauen vorhanden sein, gerade wenn mit modernsten Hilfsmitteln gearbeitet wird. Adrian Humbel: "Damit meine Assistentin ihren Job auch wirklich wahrnehmen kann, braucht sie vollen Zugriff auf meine Termine und E-Mails. Zu einer seriösen Terminplanung gehören natürlich auch private Verabredungen, und in meinen Incoming-E-Mails finden sich nicht nur solche von Geschäftspartnern sondern beispielweise auch mal von Bar-Bekannten oder alten Freunden. Da braucht es Vertrauen und professionelles Verständnis."



Auch für Fredi Huber, Marketing Manager Sun Microsystems Schweiz, steht das Vertrauen weit vorne: "Wie das Jobprofil aussieht, hängt sehr stark davon ab, wieviel man delegiert und dies hängt wiederum vom Vertrauen ab. Meine Assistentin hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Aber die Chefsekretärin, die Termine abmacht und Kaffee bringt, hat sicher keine Berechtigung mehr."



Gerade in der schnellebigen Technologie-Branche ist jeder Job zwangsläufig auch Wechseln unterworfen. Beim heutigen Anforderungsprofil der Sekretärin, die eigentlich gar keine mehr ist, sondern zur Assistentin geworden ist, ist es schwierig, Leute zu finden, die nicht nach ein bis zwei Jahren selber Chef werden wollen.



Nochmals Michaela Stöckli: "Wir brauchen heute keine Vorzimmerdrachen mehr, sondern teamfähige und mitdenkende Assistenten/innen. Es ist gefordert, dass diese Mitarbeiter sich selbst einbringen, Entscheidungen treffen, Ideen haben und nicht einfach auf Anweisungen von oben warten."



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