Das Internet ruft aufs Smartphone an
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/07
Rund 450 Technologie- und Infrastrukturanbieter aus der Telekommunikationsbranche trafen sich an der 3GSM World in Cannes zum Stelldichein. An dieser Fachmesse für drahtlose Kommunikation standen dieses Jahr drahtlose Technologien wie UMTS oder GPRS und ihre Anwendungsmöglichkeiten im Zentrum des Interesses. Das Handy, so jedenfalls die Visionen der Technologieanbieter, wird durch Breitband-Netze bald zum Alleskönner: Sogenannte Smartphones integrieren Mobiltelefon, PDA und Multimedia-Abspielgerät. Und wenn auch diese Vorstellungen so neu auch wieder nicht sind, so waren an der 3GSM World diesmal wenigstens konkrete Produkte zu sehen, wenn auch vorerst nur als Prototypen oder Vorserien-Modelle.
Mit dem Einzug des Internets in die Mobilkommunikation müssen auch die Netze das TCP/IP-Protokoll unterstützen. Um Inkompatibilitäten zu vermeiden, wie sie heute zwischen den verschiedenen Mobilnetz-Protokollen auftreten, will Nokia für künftige IP-Funknetze eine offene Architektur für die Basisstationen schaffen und auch anderen Herstellern anbieten. Zudem will sich der finnische Telekommunikationskonzern zusammen mit Siemens Mobile für eine Vereinheitlichung auch bei IP-Funknetzen selbst einsetzen, um einen weltweit gültigen Standard zu erreichen.
Nokia scheint offenbar vom Standardisierungsfieber erfasst worden zu sein. Zusammen mit dem Chiphersteller Texas Instruments (TI) will das Unternehmen eine Referenzplattform für Smartphones etablieren. Diese basiert auf dem OMAP-Chip von TI und verwendet das ursprünglich von Psion entwickelte Symbian OS als Betriebssystem. Dieser Schritt zielt nicht zuletzt auf die Konkurrenz insbesondere durch Microsoft. Der Softwarehersteller aus Redmond hat in Cannes die "Pocket PC Phone Edition" vorgestellt, die Smartphones auf der Basis der Pocket-PC-Plattform ermöglichen soll. Dazu hat Microsoft diese um Telefonie-Funktionen erweitert. Als erstes Gerät wurde der Journada 928 WDA (Wireless Digital Assistant) von Hewlett-Packard vorgestellt. Er kommuniziert über GSM und GPRS und eignet sich sowohl für den drahtlosen Datenaustausch als auch für Sprachkommunikation.
Doch Microsofts Pläne gehen weit über die blosse Entwicklung von Betriebssystemen für drahtlose Kommunikationsgeräte hinaus. Diese sollen als Endgeräte nur einen von vier Pfeilern für eine grossspurig als "drahtloses Ökosystem" angekündigte Initiative eines mobilen Internetzugangs darstellen. Die restlichen drei Stützen für Microsofts Mobilstrategie bilden Server, Dienstleistungen und Entwicklerwerkzeuge. Bei der Umsetzung baut der Softwarekonzern auf Partnerschaften mit Telekommunikationsunternehmen, aber auch mit Hardware-Anbietern wie Intel oder TI.
Mit den zukünftigen breitbandigen Mobilfunknetzen nimmt das "Internet für unterwegs" Gestalt an. Und auch dem mangels Inhalten bislang erfolglosen WAP wird nochmals eine Chance einberäumt. An der 3GSM World wurde hierzu der Minibrowser Wapaka vorgestellt, der auf Java basiert. Zum Einsatz kommt hierbei die Jbed Virtual Machine der Schweizer Firma Esmertec. Diese Java-Engine wartet mit der Besonderheit auf, Applikationen in nativen Code kompilieren zu können, so dass der PDA oder das Smartphone selbst keine Virtual Machine mehr benötigen.
Während sich Wapaka als ressourcenschonender Browser präsentiert, setzen Emblaze und Samsung die Nokia-Werbung vom mobilen Filmgenuss in die Realität um. Sie demonstrierten an der Kommunikationsmesse Live-Videostreaming mit einem Video-tauglichen Handy von Samsung. Dieses benutzt GPRS für die Datenübertragung, während ein spezieller Chip von Emblaze als MPEG-4-Decoder für die Entkomprimierung der Videodaten sorgt. Zudem verfügt das noch namenlose Samsung-Handy über Stereosound. Allerdings ist nicht anzunehmen, dass sich Videostreaming übers Handy als eigentliche Killer-Applikation entpuppen wird, sondern wie vieles andere auch erstmals als reine Demonstration des Möglichen abgestempelt werden muss.
Bald erhältlich wird dagegen Nokias neustes Edel-Handy 8910 sein, das ebenfalls in Cannes vorgestellt wurde. Das 110 Gramm leichte Gerät im schicken Titangehäuse gibt sich mit der Unterstützung von HSCSD, GPRS und Bluetooth auch mit derzeit verfügbaren Technologien äusserst kommunikationsfähig.