Das könne man schon daran sehen, betont der promovierte Wirtschaftsinformatiker, dass viele Unternehmen wie etwa Nokia oder Research in Motion (RIM), die noch vor wenigen Jahren als Benchmark nicht nur in der eigenen Branche galten, heute als Krisen-, wenn nicht gar als Sanierungsfall gelten. Auch dass insbesondere die Führungskräfte und Projektverantwortlichen über einen sehr hohen Arbeitsdruck klagen, ist für ihn kein Zufall. Denn aufgrund der stets vernetzteren Strukturen in den Unternehmen sowie der immer flacher werdenden Hierarchien laufen auf ihren Schreibtischen immer mehr Fäden zusammen. «Daraus resultiert ein erhöhter Koordinierungs- beziehungsweise Managementaufwand», so Kraus.
(Quelle: Swiss IT Magazine)
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Mit Stress leben
Hierüber zu klagen bringt wenig. Davon ist Kraus überzeugt, «denn an dieser Situation wird sich aufgrund der Marktdynamik wenig ändern.» Umso wichtiger sei es, dass die Betroffenen sich – alleine oder mit Unterstützung des Unternehmens – Techniken und Strategien aneignen, um mit dem Stress umzugehen beziehungsweise ihren Arbeitsalltag so zu strukturieren, dass weniger Stress entsteht.
Ähnlich sieht dies Julia Voss, Geschäftsführerin des Hamburger Trainings- und Beratungsunternehmens Voss + Partner. Sie konstatiert gerade im Kontakt mit Technologieunternehmen immer wieder, dass deren mittlere Führungskräfte nicht ausreichend für ihre Funktion qualifiziert sind. «Viele definieren sich immer noch primär über ihr fachliches Know-how mit der Folge, dass sie noch viele Fachaufgaben an sich reissen, statt diese an ihre Mitarbeiter zu delegieren und sich weitgehend auf ihre Führungs- und Steuerungsaufgaben zu konzentrieren.» Hier, so ihre Überzeugung, besteht in vielen Technologieunternehmen noch ein grosser Qualifizierungsbedarf.
Stress reduzieren
Ähnlich verhält es sich bezogen auf die Projektverantwortlichen in den Unternehmen. Hier führt laut Kraus häufig folgender Punkt zum Gefühl des Überlastet-Seins: Oft werden hochkomplexe Projekte noch recht jungen Informatikern oder Technikern übertragen, die keine systematische Projektmanagement-Ausbildung durchlaufen haben. Das heisst: Die Projektverantwortlichen haben noch wenig Routine im Umgang mit den bewährten Projektmanagement-Tools – «sofern sie diese überhaupt kennen». Weit folgenreicher ist aber, dass sie oft noch wenig Praxiserfahrung im Planen, Managen und Steuern von Projekten haben. Die Folge: Sie begehen vielfach bereits in der Startphase der Projekte gravierende Fehler – zum Beispiel bei der Ziel- und Auftragsklärung und bei der Zusammensetzung ihrer Teams. Deshalb werden sie im weiteren Projektverlauf ihres Lebens nicht mehr froh – zum Beispiel, weil aufgrund des unklaren Projektauftrags permanent Konflikte mit den firmeninternen Kunden entstehen. Oder weil wegen der falschen Teamzusammensetzung oder ungenügenden Ausstattung mit personellen Ressourcen das Projekt nicht wie gewünscht voranschreitet. In solchen Situationen geraten junge Projektleiter meist schnell ins Schlingern – auch weil sie aufgrund ihrer noch recht kurzen Betriebszugehörigkeit nicht stark genug in der Organisation verankert sind, um sich ohne Rückendeckung gegen die etablierten Leiter der Fachabteilungen durchzusetzen. «Eigentlich sollte eine systematische Projektmanagement-Ausbildung für die Männer und Frauen, die in Unternehmen strategische oder strategisch relevante Projekte leiten, Pflicht sein», fordert denn auch Kraus.
Selbst-Manager werden
Dass eine fundiertere Aus- und Weiterbildung der Führungskräfte und Projektverantwortlichen in IT-Unternehmen notwendig ist, davon ist auch die Wiener Management-Beraterin Sabine Prohaska überzeugt – jedoch müsse sich auch deren Konzept ändern. Denn bisher läge der Fokus zumeist darauf: Wie führe ich meine Mitarbeiter oder mein Team? Oder: Wie führe oder manage ich ein Projekt? Kaum eine Rolle spiele in den Aus- und Weiterbildungen jedoch das Thema: Wie führe beziehungsweise manage ich mich selbst, wenn ich in einem hochkomplexen und -dynamischen Umfeld arbeite, in dem Hunderte von Einflussfaktoren zu berücksichtigen sind, sehr viele Stakeholder permanent etwas von mir wollen und eine langfristige (Detail-) Planung aufgrund der vielen Unwägbarkeiten kaum möglich ist?
Wer in einem solchen Umfeld überleben möchte, muss nicht nur eine stabile Persönlichkeit, sondern auch ein guter Selbst-Manager sein.
Zum Selbst-Manager-Sein zählt für Prohaska unter anderem, dass die Projektverantwortlichen und Führungskräfte die Techniken verinnerlicht haben, «die eigentlich bereits seit Jahrzehnten in Selbst-Management-Seminaren vermittelt werden.» Drei Dinge sind Prohaska dabei besonders wichtig:
1. Das Prioritäten-Setzen. Je grösser die Zahl der Aufgaben und Herausforderungen ist, umso wichtiger wird es, im Betriebsalltag bei der Planung der eigenen Arbeit und der des Teams zwischen wichtigen und dringlichen Aufgaben zu unterscheiden. Gehört haben dies die meisten Führungskräfte und Projekt-Manager schon oft. Trotzdem haben viele im Ar-beitsalltag damit Probleme. Immer wieder registriere man, dass Führungskräfte und Projekt-Manager in die Dringlichkeitsfalle tappen und bevorzugt die Aufgaben erledigen, die scheinbar brennen – zum Beispiel, weil ein Vorgesetzter sagte: «Ich würde mich freuen, wenn ….» Und die für den Erfolg wirklich wichtigen Aufgaben bleiben liegen.
2. Das Ressourcen-Planen. Auch dieses gewinnt in einem hochdynamischen Umfeld, in dem neben der Zeit der Mitarbeiter auch die eigene Zeit stets knapp ist, an Bedeutung. Denn wenn der Schreibtisch eigentlich permanent von unerledigten Aufgaben überquillt, dann muss eine Führungskraft oder ein Projekt-Manager auch genau unterscheiden können: In welche Aufgabe muss ich mehr Zeit und Energie investieren und in welche weniger? Oder bei welcher Aufgabe genügt eine 80- oder gar 60-Prozent-Lösung oder welcher muss ich viel Aufmerksamkeit schenken, weil wir hier eine 1A-Lösung brauchen?
3. Das Nein-Sagen. Auch dieses fällt, so Prohaska, vielen Führungskräften und Projektverantwortlichen schwer. Oft lassen sie sich en passant von Kunden und Vorgesetzten, Mitarbeitern und Kollegen irgendwelche Aufgaben auf die Backe drücken, von denen sie im Nachhinein denken: Was habe ich mir da denn wieder aufgehalst? Sei es, weil sie sich nicht trauten Nein zu sagen, oder weil sie vorschnell Ja sagten, ohne die Folgen abschätzen zu können.
Selbstbewusstsein entwickeln
Doch das Beherrschen der vorgenannten Techniken allein macht noch keinen Selbst-Manager aus. Davon sind ausser Sabine Prohaska auch Georg Kraus und Julia Voss überzeugt. Wichtig ist auch ein gesundes Selbstbewusstsein: «Irgendwie schaffe ich das schon – selbst wenn ich jetzt noch nicht genau weiss wie.» Denn dann geraten die Betroffenen nicht so schnell in Panik und somit Stress, wenn scheinbar die Welt um sie herum zusammenbricht. Eine solche Denke bringen manche Führungskräfte und Projekt-Manager von zu Haus aus mit. In der Regel entwickeln sich, so Kraus, dieses Selbstvertrauen und die damit verbundene Gelassenheit jedoch aufgrund der Erfahrung, in der Vergangenheit schon ähnlich komplexe Herausforderungen gemeistert zu haben – weshalb ältere Führungskräfte und Projektmanager in solchen Situationen meist souveräner agieren.
Selbst-Manager sein, bedeutet laut Julia Voss aber auch zu wissen beziehungsweise zu spüren, wenn man an seine (Belastungs-) Grenzen stösst, und sich und anderen einzugestehen, dass man Hilfe braucht. Denn nur dann lässt sich im Bedarfsfall auch die erforderliche Unterstützung beziehungsweise Entlastung organisieren, bevor die Welt tatsächlich zusammenbricht.
Bernhard Kuntz, aus Darmstadt (D), arbeitet als Journalist. Er ist auf Management- und Weiterbildungsthemen spezialisiert.