Netscape meldet sich zurück

Mehr als fünf Jahre nach der Veröffentlichung der Browsersuite Netscape 4 bringt Netscape mit Version 7 endlich die erste ernstzunehmende Nachfolgeversion auf den Markt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/32

     

Die Marktforscher von Websidestory verkündeten in einer Presseinformation Ende August, dass der Marktanteil von Netscapes Browserprodukten auf einen historischen Tiefststand von 3,4 Prozent gesunken ist, nachdem Ende der 90er Jahre Netscape den Browsermarkt noch beherrschte. So kam die neue Version gerade recht, um den Browser vor der Bedeutungslosigkeit zu bewahren.


Sinnvolle neue Funktionen

Die Installation des neuen Browsers verläuft nicht mehr ganz so reibungslos wie auch schon: Nachdem via Installer alle benötigten Dateien aus dem Internet geladen wurden, muss man sich bei Netscape für diverse Dienste (Web-Mail, persönliches Depot, Instant Messenger) registrieren lassen. Die Wahl eines passenden Usernamens, welcher für die E-Mail-Adresse und den Messenger verwendet wird, gestaltet sich dabei nicht ganz einfach, sofern man ein Ergebnis wünscht, welches man sich problemlos merken kann, denn viele naheliegende Usernamen sind schon belegt.



Die Verbesserungen an der Oberfläche zur Vorgängerversion 6 halten sich in den gewohnten Grenzen. Wohl die komfortabelste Neuerung ist Tabbed-Browsing, welches man schon von Opera her kennt. Links lassen sich in sogenannten Tabs oder Registrierkarten innerhalb des gleichen Browserfensters öffnen, was sich ressourcenschonend auswirkt und das Fensterchaos eindämmt. Mehrere geöffnete Registrierkarten lassen sich als Gruppe zu den Bookmarks hinzufügen. Wer diese zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufruft, bekommt alle in der Gruppe vorhandenen Seiten präsentiert.




Ebenfalls praktisch sind die verbesserten Druckmöglichkeiten. Unter Datei - Seite einrichten lassen sich wie bei vielen anderen Softwareprodukten das Seitenformat auswählen und die Kopf- und Fusszeilen sowie Seitenränder definieren. In der Druckvorschau kann man darauf auf Knopfdruck überhängende Inhalte in die Seiten einpassen lassen, was Druckkosten spart.



Die Suche im Internet nach bestimmten Begriffen gestaltet sich nun noch einfacher. Nach mit der Maus markierten Begriffen kann man via Kontextmenü mit der in Netscape 7 voreingestellten Suchmaschine (Google/Netscape oder Overture) das Internet durchforsten. Die Ergebnisse werden in einem neuen Fenster präsentiert.



Die Seitenleisten gewinnen in den neuen Browserversionen immer mehr an Bedeutung. Während man sich früher nur auf die Darstellung von Bookmarks, History und einer simplen Suche beschränkt hat, werden dort heutzutage viele Zusatzprogramme und -funktionen untergebracht: Nachrichtendienste, Börsenkurse und eine frei definierbare Websuche gehören mittlerweile schon zum Standard.



Nachdem man schon bei Microsoft in der MSN-Variante des Internet Explorer den hauseigenen MSN Messenger in der Seitenleiste integrierte, zieht Netscape nun nach, so dass der neue Browser einen IM-Client für das AOL-Netz und ICQ enthält.



Nicht nur dem Wunsch nach einem Cookie-Manager wurde entsprochen. Nun bekommt man auch gleich einen Passwort-Manager, einen Download-Manager und einen Formular-Manager angeboten, was die Verwaltung des eigenen Browsers nicht gerade erleichtert. Dafür ist der neue Browser in der Lage, die einzelnen Benutzer-Accounts, geschützt durch ein Master-Kennwort, gegeneinander abzuschotten. So ist es beispielsweise nicht möglich, die Passwörter der anderen Familienmitglieder einzusehen und gleich "mitzuverwenden".



Die Quicklaunch-Funktion, welche den Browser beim Betriebssystemstart vorlädt, Themes, mit denen man die Oberfläche des Browsers nach eigenem Gusto gestalten kann, und ein Vollbildmodus, beispielsweise für Präsentationen, runden den Browser ab.




Netscape-Mail

Der E-Mail- und News-Client wurde Netscape-Mail getauft und basiert wie der Browser auf dem Mozilla-Quellcode, darum sind auch hier die Änderungen nicht sonderlich gross ausgefallen. Er unterstützt mehrere Konten, und zwar sowohl nach dem POP3- als auch nach dem IMAP4-Standard. Eine Besonderheit ist die gesonderte Konfiguration der SMTP-Server, die vor allem praktisch ist, wenn man über mehrere Konten auf ein und demselben Server verfügt. Diese zentral zu verwaltenden SMTP-Einstellungen können dann nämlich für mehrere Konten gleichzeitig verwendet werden. Die E-Mail-Filter sind in Zeiten erhöhten Spam-Aufkommens sehr nützlich, leider fehlt ihnen aber die Unterstützung von regulären Ausdrücken. Auch kann man nicht den kompletten Header bei den Filterregeln berücksichtigen, sondern nur Teile wie To, From oder Subject.




Eine eher verspielte Neuerung ist die E-Mail-Benachrichtigung. Sofern aktiviert, wird beim Eingang einer neuen E-Mail ein kleines Fenster über der Taskleiste eingeblendet, die den Benutzer darüber informiert, dass eine neue E-Mail eingegangen ist. Auch ganz nett sind die Etiketten, mit welchen sich E-Mails versehen lassen: Sie erlauben, E-Mails zu gruppieren und farblich hervorzuheben.


Opensource in kommerzieller Kleidung

Wie bereits angedeutet, steckt unter dem aktuellen Browser Open-Source-Technologie, genauer gesagt der Quellcode des Mozilla-Projekts, welches Ende der 90er Jahre von Netscape gegründet wurde, um den eigenen Browser auf eine aktuelle technische Basis zu stellen, was durchaus gelungen ist (siehe Mozilla-Test, InfoWeek 26/2002).



Die Grundlage für Netscape 7 stellt eine noch nicht veröffentliche Version des 1.0-Quellcodes dar, was zur Folge hat, dass der Browser über die gleichen oder sogar noch mehr Qualitäten wie sein Open-Source-Pendant verfügt, andererseits aber unter dem gleichen Problem leidet: einem ziemlich hohen Performanceverbrauch.




Damit man sich bei Netscape wenigstens ein bisschen vom Mozilla-Browser abhebt, fügt man jeweils noch ein paar Funktionen hinzu oder entfernt ungewünschte Möglichkeiten. So kommen bei Netscape 7 vor allem der AOL- und ICQ-Instant-Messenger hinzu. Dagegen hat man die Möglichkeiten zum Blockieren von JavaScript ausgedünnt und den Werbe-Blocker total entfernt.




Blick auf die Konkurrenz

Die Browser aller Hersteller schenken sich heutzutage nichts. Die Vorteile des Internet Explorer liegen beim hohen Marktanteil und der daraus resultierenden Tatsache, dass Internetseiten eher für den Internet Explorer zugeschnitten sind.



Für Opera spricht dagegen nur noch wenig: Der Browser muss bezahlt werden, bei der durch Werbung finanzierten Variante stören die Werbebanner schon eher, und auch mit den Zusatztools kann man nicht wirklich punkten. Nur die Geschwindigkeit ist nach wie vor beeindruckend: So ist der Browser eher für betagtere Rechner zu empfehlen.
Mozilla und Netscape 7 schliesslich sind zwar langsam, können aber mit Standardkonformität und grosser Plattformunabhängigkeit punkten. Ob diese Gründe allerdings reichen, um den Marktanteil der Netscape-Produkte zu vergrössern, ist arg zu bezweifeln.



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