Vom Online-Telefonbuch zum Firmenportal

Enterprise-Portale fassen die vielfältigen Informationen aus internen und externen IT-Systemen eines Unternehmens unter einer einheitlichen, einfach bedienbaren Oberfläche zusammen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/11

     

Ein Portal tut nichts anderes, als die Business-Prozesse zu den Menschen zu bringen, umschreibt Karl Klarmann, Zentraleuropa-Chef von Broadvision, die Funktion des Enterprise-Informationsportals (EIP). Unter dieser Voraussetzung profitiert eigentlich jede Firma von einem Portal - ein Faktum, das auch Studien wie eine kürzlich durchgeführte Umfrage von Jupiter Research bestätigen: Über 80 Prozent der befragten US-Unternehmen gaben an, sie hätten entweder bereits ein Portal in Betrieb oder planten die Einrichtung in den nächsten zwölf Monaten.


Am Anfang steht das Telefonbuch

Die aktivsten Portalprojekte, auch dies eine Erkenntnis der Jupiter-Umfrage, befassen sich mit der Mitarbeiter-Information - das Portal präsentiert also all das online, was das Personalbüro bisher in Papierform verteilt hatte. Ganze 64 Prozent der Antwortenden haben ein Mitarbeiterportal in Betrieb.



Als eigentliche Killer-Applikation erweist sich dabei das interne Telefonbuch: Es gibt wohl kaum etwas Lästigeres als das ständige Auswechseln gedruckter Blätter bei Ein- und Austritten oder Abteilungswechseln. Die permanent nachgeführte Online-Variante ist ungleich bequemer. Dasselbe gilt in leicht abgeschwächter Form für Weisungen, Stellenausschreibungen, Vorschlagswesen, Ankündigungen von Betriebsfeierlichkeiten etc. sowie für die Pensionskasse und andere finanziell relevante Personalinformationen.




Damit ist aber die Potenz eines EIP nur am Rande angekratzt. Der Web-basierte Zugang zu Informationen und Kommunikationskanälen bietet noch ganz andere Möglichkeiten:




Dokumenten- und Knowledge-Management: Eine der zentralen Funktionen jedes Portals ist der Zugriff auf sämtliche wichtigen Dokumente von Produktunterlagen bis zur Korrespondenz mit Geschäftspartnern direkt von der Portalsite aus. Essentiell ist dabei auch die Integration mit den gängigen Produktivitätsanwendungen, allen voran der in der Firma verwendeten Office-Suite. Ein Beispiel dafür ist die direkte Unterstützung der Document-Management-Features des Sharepoint-Servers in den Open- und Save-Dialogen von Word und Excel. Bietet das Portal darüber hinaus umfassende Kategorisierungs- und Suchfunktionen, entsteht aus der Gesamtheit der Informationen eine eigentliche Wissensdatenbank, die jedem berechtigten Mitarbeiter zur Verfügung steht.




Unterstützung der Zusammenarbeit, im Jargon "Collaborative Applications": Ins Portal integrierte Anwendungen wie gemeinsame Agenda, Instant Messaging, Whiteboards, Videoconferencing, Chats und Diskussionsforen ermöglichen Kommunikation, die weit über E-Mail, Telefon und Fax hinausgeht, und zwar über Abteilungsgrenzen, Firmensitze und Zeitzonen hinweg.




Integration der Unternehmens-IT: Auch die Informationen in ERP-, CRM-, SCM- und anderen unternehmenskritischen Systemen wie Business Intelligence stehen im idealen EIP den zuständigen Mitarbeitern im Direktzugriff bereit. Besonders wichtig: Die Präsentation der Inhalte und Bedienung dieser Anwendungen muss ebenso intuitiv möglich sein wie der Abruf einfacher News-Meldungen und Dokumente - das Portal bildet ein gemeinsames Dach mit einheitlicher Oberfläche; aus welchem System die einzelnen Angaben kommen, ist im Idealfall für den User gar nicht ersichtlich. Dazu benötigt das Portal neben Schnittstellen zu den installierten Anwendungen, die meist über sogenannte "Connectors" realisiert werden, einen Mechanismus zum Einfügen der anwendungsspezifischen Inhalte in die Portalsite - je nach Portalplattform mit Begriffen wie "Webparts", "Portlets" oder "Gadgets" bezeichnet - sowie enge Integration mit den Directory-Diensten und Single-Sign-On-Funktionalität.




Integration von Drittanbietern: Neben den unternehmenseigenen Angaben kann das Portal auch Inhalte von externen Anbietern präsentieren; gängige Beispiele sind die aktuelle Wetterprognose oder die News einer Presseagentur. Dies wird über Web Services realisiert; bei Implementation und Auffinden der gewünschten Services helfen Standards wie WSDL, SOAP und UDDI.



Die Portalsoftware übernimmt in allen Fällen nicht etwa die eigentlichen applikatorischen Funktionen - das firmenweite Adressbuch wird nicht im Portal, sondern nach wie vor in einer Datenbank gespeichert; das ERP-System ist und bleibt beispielsweise SAP R/3. Das Portal ist allein für die Präsentation der Informationen in einer zwar so weit wie möglich personalisierbaren, aber dennoch einheitlichen, Web-basierten und möglichst ohne grosse Benutzerschulung bedienbaren Oberfläche zuständig.


Zweigeteilter Portalmarkt

Die funktionale Teilung in Applikation und Präsentation wirft eine Frage auf: Wer bietet die beste Portallösung? Sie lässt sich natürlich nicht allgemeingültig beantworten; ein Leitfaden für die Beurteilung des mit über 60 Anbietern riesigen Portalmarkts ergibt sich aber aus einer kurzen Software-historischen Betrachtung:



Als Erste kamen neugegründete Unternehmen wie Viador auf die Portalidee, die in der Folge ausschliesslich Portalsoftware anboten und noch heute im Geschäft sind. Zu diesen "Pure-Play"-Portalanbietern gehören neben dem Business-Intelligence-orientierten Hersteller Viador Firmen wie Plumtree, CoreChange, Broadvision und die kürzlich von Vignette übernommene Epicentric.
Der laut IDC-Studien mit 550 Millionen Dollar schon im Jahr 2001 ordentlich grosse Portalmarkt soll, so IDC, bis 2006 auf 3,1 Milliarden wachsen - auch für andere IT-Hersteller Anlass genug, sich ein Stück vom Kuchen zu sichern. Immer mehr kommen deshalb auch die Hersteller von Infrastruktursoftware (Betriebssysteme, Datenbanken) und Anwendungen (ERP, CRM, BI) auf den Portalgeschmack und bieten entsprechende Lösungen mit unterschiedlichem Charakter an - die einen eignen sich mehr als Entwicklungswerkzeuge für Portal-Implementationen, die anderen sind Out-of-the-Box einsetzbare Fertigprodukte.




Bei Oracle ist die Portalfunktionalität im Application Server inbegriffen, IBM und Bea haben portallastige Varianten ihrer Appserver im Angebot, und auch bei Sybase gibt es einen Portalserver. Bei SAP heisst die Portallösung mySAP Enterprise Portal, bei Hummingbird nennt sie sich Hummingbird Portal. Auch die Betriebssytemhersteller mischen mit: Sun offeriert ebenso einen Portalserver wie Microsoft - die Redmonder wollen mit der neuen Version 2 des Sharepoint Portal Server definitiv in die Champions League der Portalanbieter einsteigen.




Vorzugslösung fallabhängig

Die Pure-Play-Vendors stellen die Flexibilität ihrer Produkte in den Vordergrund. Sie sollen insbesondere in Unternehmen mit heterogener Multiplattform-Umgebung ihre Vorteile bringen, indem sie unterschiedliche Systemplattformen und vor allem auch Back-end-Applikationen von konkurrierenden Herstellern unter einem Dach zusammenführen.



Die Kehrseite der Medaille: Pure-Play-Portale sind stark von anderen Anbietern abhängig - die Schnittstelle zu einem bestimmten ERP-Paket, Document-Management-System oder Appserver muss jedesmal angepasst werden, wenn sich an der Infastruktursoftware etwas ändert. Dazu kommt, dass die Infrastrukturanbieter seit der Einführung eigener Portallösungen naturgemäss weniger an der Integration mit Fremdportalen interessiert sind.




Die Infrastrukturanbieter ihrerseits machen geltend, das Portal sei ja nichts anderes als ein Teil der gesamten IT-Infrastruktur, zu der auch Appserver, Integrationsserver und Web-Services-Architektur ge hören. Demzufolge seien sie als Anbieter solcher Plattformen auch als Portalhersteller bestens prädestiniert - das Portal kann sich auf die Skalierbarkeit, die Entwicklungswerkzeuge und damit auch auf das bestehende Know-how verlassen und ist automatisch stets mit der aktuellen Infrastruktursoftware aus dem eigenen Hause integriert.



Aber auch hier gibt es einen Pferdefuss: Die wenigsten Unternehmen betreiben einen rassenreinen One-Vendor-Shop - nicht zuletzt, weil sie sich nicht an einen einzigen Hersteller binden möchten. Dies gilt auch für das Portal. Sobald aber mehrere Plattformen ins Spiel kommen, fällt der Vorteil der totalen Integration wieder weg. Eine Komplettlösung mit Infrastruktur, Portal und womöglich auch Applikationen vom gleichen Hersteller kommt am besten in kleineren und mittleren Umgebungen oder bei einer vollständigen Neuausrichtung der IT zum Zug.



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