Editorial

Wenn einer aus gratis plötzlich einen Zwangspreis macht


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/10

     

Open-Source-Software ist beliebt. Nicht immer, aber immer öfter – von der Stadt München über allerlei Unternehmen, die sich damit eine stabile und günstige Basis für individuell angepasste Systeme schaffen, bis hin zum kostenbewussten Privatanwender, der die Softwareausstattung seines PCs dank quelloffener Software gratis zusammenstellen kann.
Und sie breitet sich nicht nur in der Fläche, sondern auch in der Tiefe aus: Was seinen Anfang in Betriebssystem, Webserver und C-Compiler nahm, wirkt sich heute auch auf Gebiete wie ERP und CRM aus; von den zahllosen OS-Content-Management-Systemen ganz zu schweigen.





Nicht zuletzt verkörpert freie Software auch exemplarisch den Pioniergeist der USA: Freiheit geht vor. Einem Herrn Wallace, seines Zeichens US-Amerikaner und Softwareentwickler, stösst die grenzenlose Freiheit nun aber auf. Er verklagt die Free Software Foundation, die unter anderem um die Pflege der GNU General Public License GPL besorgt ist, vor einem Bezirksgericht im Süden Indianas: Das Faktum, dass die GPL zwingend die kostenlose Weitergabe des ursprüglichen und allen daraus abgeleiteten Programmcodes fordert, legt Wallace als künstliche Festlegung eines fixen Preises aus – und das ist in den USA laut Antitrust-Vorschriften untersagt. Wallace führt in der Klageschrift weiter an, das «price fixing scheme» verringere die Chancen unabhängiger Entwickler, durch Entwicklung, Verkauf und Distribution von Software im Wettbewerb zu bestehen.






Nun ist es natürlich wirklich so, dass das strikte Gratis-Gebot der GPL den Usanzen des Kapitalismus – neben der Freiheit ein weiterer Stein im Fundament des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten – diametral entgegensteht. Was Wallace aber nicht gemerkt hat: Gerade einzelne, unabhängige Programmierer haben durch Anpassungsarbeiten, Support, Consulting und Schulung rund um freie Software vermutlich ein Vielfaches von dem profitiert, das ihnen an Verkaufserlösen entging. Der Grund für diese Profitmöglichkeiten liegt im zweiten, wesentlich bedeutenderen Gebot der GPL: Der Quellcode jeder GPL-lizenzierten Software muss offen dargelegt sein; Anpassungen sind nicht nur möglich, sondern erwünscht. Jeder, der wie Wallace dazu fähig ist, darf Hand anlegen, verbessern und sogar verschlechtern; einzige Voraussetzung ist die Weitergabe zu gleichen Bedingungen.





Wallace könnte also im Grunde nur profitieren – wenn nicht mit Dienstleistungen rund um GPL-Software, dann zum Beispiel mit anderweitig lizenzierten OS-Anwendungen: Es gibt ja auch Lizenzen, die kostenpflichtiges «derivative work» ausdrücklich erlauben. Oder, falls ihm die Idee des offenen Quellcodes völlig zuwider ist, mit – jawohl, ganz gewöhnlicher proprietärer Software. Es wäre mir neu, dass wegen der GPL plötzlich alle kommerziell tätigen Softwarehäuser am Rand der Pleite dahinsiechen – Aktienkurs und Gewinnentwicklung von Firmen wie Microsoft, Oracle und SAP belegen zur Genüge das Gegenteil. Zwar haben auch die Grossen der Szene einen gewissen Bammel vor allzuviel Gratis-Software, aber sie stellen sich, wie in der freien Wirtschaft üblich, dem Wettbewerb. Wallace, der sich ja explizit auf den «free market» beruft, sollte wohl auch eher «liefere» statt «lafere».
Ob die Klage eine Chance hat? Ich bin kein Jurist, aber ich habe erhebliche Zweifel daran.
Das Ende der Open-Source-Bewegung hat Herr Wallace wohl kaum eingeläutet.

(ubi)


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