Editorial

Mischt die Messen!

Es gibt wohl kaum einen Business-User, der nicht auch privat an IT-Produkten interessiert ist.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/37

     

Orbit/Comdex Europe 2002, Basel: Minus 36 Prozent. Systems 2002, München: Besucherrückgang 34 Prozent - jeweils gegenüber der ebenfalls nicht gerade berauschenden Frequenzen vom Vorjahr. Auch der von Seiten der jeweiligen Messeleitung im Nachgang der Events geäusserte Zwangsoptimismus ("Der Anteil der Top-Entscheider war überdurchschnittlich hoch", "Für die Mehrzahl der Aussteller bleibt die Orbit die Leitveranstaltung der Schweizer IT-Szene") vermag den aufmerksamen Beobachter des Messegeschehens nicht darüber hinwegzutäuschen: Zumindest vom Publikumsandrang her überzeugt das Konzept der rein Business-orientierten IT-Messe nicht.


Halbleere Hallen sind trostlos

Zwar vermelden die Aussteller zum Messeschluss jeweils, die "Qualität der Besucher" sei "sehr hoch" gewesen - mit anderen Worten: Der Genuss des Morgenkaffees oder Nachmittagsschaumweins wurde nicht durch prospektsammelndes Turnschuhpublikum unterbrochen, sondern durch zumindest vorgebliches Interesse ernsthafter Geschäftsbesucher veredelt. Aber Hand aufs Herz: Halbleere Messehallen sind ja wohl doch ziemlich trostlos, und dies gilt für mehr oder weniger elegant mit spanischen Wändchen abgetrennte oder mit Sitzgelegenheiten und Kunstpflanzen kaschierte nichtbelegte Standflächen ebenso wie für Stände, an denen zwölf Ausstellermitarbeiter dem einen Besucher gegenüberstehen.



Seit wann herrscht an IT-Messen gähnende Leere? Richtig: Genau seit sich die Veranstalter allenthalben von der gemischten, sowohl am Business- als auch am Privatuser orientierten Universalmesse abgewendet und sich einem neuen, rein aufs Geschäftspublikum ausgerichteten Messekonzept verschrieben hatten. Diese neue Ausrichtung, die gleichzeitig durch ein "innovatives" Zugangskonzept mit exorbitant hohen Eintrittspreisen für zahlende und durch die Aussteller verteilten Gutscheinen für geladene Gäste zementiert wird, macht den Messebesuch für einen guten Teil des früheren Publikums unattraktiv.




Aber nicht nur das Publikum bleibt immer mehr fern, auch die Aussteller beginnen abzuspringen. Zum einen merken Firmen wie Fujitsu Siemens, Dell und Apple korrekt an, sie erreichten ihr eigentliches Zielpublikum besser mit eigenen, ausschliesslich auf die eigene Marke ausgerichteten Veranstaltungen. Zum anderen stellt beispielsweise Sony fest, die Konzentration auf Fachbesucher habe die sowieso schon kritische Haltung gegenüber IT-Messen als Profilierungsbühne zusätzlich verstärkt.




Rückkehr zu alten Konzepten

Die Antwort auf die Misere - als Alternative zur gegenwärtigen Mode, IT-Messen mit Kongressen auszubauen und mit prohibitiven Eintrittsgeldern einem als hochkarätig empfundenen Publikum zu reservieren - könnte in einer Rückkehr zum guten alten Konzept der gemischten Messe liegen: Es muss sich nicht widersprechen, einerseits mit Lösungspräsentationen die Geschäftswelt und auf der anderen Seite mit attraktiven Produkteshows die IT-interessierte Masse anzuziehen, allenfalls in unterschiedlichen Hallen, aber mit einem gemeinsamen Eintrittsbillett und zum selben Termin.



Eigentliche Publikumsmessen im IT-Bereich und vor allem auch für die von der Industrie dauernd propagierte Konvergenz von Entertainment und Informatik gibt es nämlich, abgesehen von Kleinveranstaltungen mit allenfalls lokalem Aktionsradius, überhaupt nicht mehr. Tot ist die Logic, und auch die letzte Fera liegt zumindest geistig schon Jahrzehnte zurück.




Dass eine publikumsorientierte Messe mit IT-Fokus anders aussehen muss als die letzten paar Zuckungen an der Orbit, wo vor allem Discountanbieter von Soft- und Hardwareprodukten für den Hobby-User ihre Waren in einer Art Basar feilboten, versteht sich von selbst: Auch der Privatanwender will heute mehr sehen als Billig-Preisschilder, Wühltische mit Ramschwaren. Er möchte vor allem vom Hersteller selbst kompetent informiert und beraten werden.



Und wer nun meint, Kravatten- und Turnschuhpublikum vertrage sich nicht, erwäge die folgenden drei Argumente: Erstens sind die Kids von heute die IT-Anwender von morgen und erinnern sich später nur zu gut, wo sie zuvorkommend behandelt und wo sie schnöselhaft als irrelevante Störung abgewimmelt wurden. Zweitens macht sich eine hohe Besucherzahl in der Messestatistik einfach besser als der fortlaufende Schwund der letzten Jahre. Und drittens gibt es wohl kaum einen Business-User, der nicht auch privat an IT-Produkten interessiert ist und sich nach dem ERP-Verkaufsgespräch an der selben Messe gerne auch gleich noch über die aktuellste Digicam oder das neueste Action-Game informiert. Wie schon das Sprichwort sagt: In jedem Manne steckt ein Kind. Frauen sollen da ja seriöser sein, aber die machen eh nur den kleineren Teil der Besucher aus...



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