Internet aus der Steckdose: Ascom kämpft mit dem Strom

Ascom will im Frühjahr 2001 Powerline lancieren, um via Stromnetz die letzte Meile zu überbrücken – die Elektrizitätswerke sind aber alles andere als euphorisch.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2000/37

     

Powerline Communications (PLC) heisst die Zukunft im Telekommunikationsbereich. Das ist jedenfalls die Ansicht der Ascom, die schon Millionen in die Technologie investiert hat und PLC dementsprechend ankündigt und in den Himmel lobt. Etwas anders sehen die Energieversorger, unabdingbare Partner bei der Realisation von Powerline, die Zukunftsaussichten. Bei den Stromlieferanten herrscht durchwegs Skepsis.
PLC steht für nichts anderes als für die Nutzung des Stromnetzes für Daten- und Sprachübertragung. Mit Powerline kommt eine weitere Alternative zu der letzten Meile der Swisscom, zu ADSL, dem Cablecom-Netz und WLL (Wireless Local Loop) ins Spiel.
PLC bedeutet zum einen den Zugang zu Internet und Telefonie über das Stromnetz, zum anderen auch die Vernetzung von verschiedenen Geräten innerhalb eines Gebäudes über die Steckdosen (Inhouse LAN). Dazu gehören neben dem Rechner und Peripheriegeräten wie Druckern zum Beispiel auch der Stromzähler oder die Hausautomation.


Vom Stromnetz in den PC

Die von Ascom entwickelte Technik funktioniert folgendermassen: Ausserhalb des Gebäudes werden im Quartiertransformer Strom und Kommunikationssignale des Backbones gekoppelt und über das Niederspannungsnetz zum Endverbraucher gebracht. Welcher Backbone welches Providers dabei verwendet wird, ist den jeweiligen Elektrizitätswerken (EW) überlassen. Für die Sprach- und Datenübertragung wird die Niederspannung des Stromnetzes genutzt (220-380 Volt). Diejenigen Frequenzen, die für die Übertragung von Hochgeschwindigkeitsfrequenzen typisch sind (110-380 Kilovolt), werden durch Transformatoren blockiert. Werden die Trafo-Stationen mit einer PLC-Einheit ausgerüstet, können die IP-Daten für das Niederspannungsnetz moduliert und die Stromkabel auch für Telekommunikationszwecke genutzt werden.



Innerhalb des Hauses werden die Strom- und Daten-Signale mittels Adapter (Indoor Controller) wieder voneinander getrennt und ihren jeweiligen Anwendungsbereichen zugeführt.




Angesichts der verschiedenen Gegebenheiten im Stromsektor hat die Ascom zusammen mit regionalen Energieversorgungsunternehmen in diesem Jahr weltweit angelegte Feldversuche gestartet, um die Technologie auszutesten.



In der Schweiz wurden in Broc im Kanton Freiburg Demoanlagen in Wohnhäusern, einem Unternehmen und einem Kraftwerk installiert. Als Partner wurden Diax und verschiedene EW ausgewählt. Die Ergebnisse aus den Feldversuchen, die nach wie vor laufen, sind laut Ascom-Sprecher André Simmen alle durchwegs positiv ausgefallen. Auch Diax-Pressesprecherin Monika Walser bestätigte, in der Schweiz seien mit Powerline "sehr gute Erfahrungen gemacht worden". Ein Sektor, der jedoch noch weiter ausgetestet werden müsse, sei die Verfügbarkeit, wenn sich eine grosse Anzahl User ins Netz einloggen würden.




Die Rolle der Elektrizitätswerke

Eine grosse Rolle bei der Lancierung von Powerline Communications werden die Elektrizitätswerke spielen, auf die dadurch eine ganz neue Aufgabe, aber auch gewaltige Investitionen, zukommen. So liegt beispielsweise die Auswahl von Backbone-Partner und Preismodellen bei den Energieversorgungsunternehmen. Für die EW würde sich mit PLC eine neue und im Hinblick auf die Liberalisierung des Strommarkts auch willkommene Einnahmequelle eröffnen. Jedoch herrscht bei den Elektrizitätswerken auch eine gewisse Skepsis vor.



Beat Buchmann, Leiter Corporate Communications bei der AEW Energie AG, sagt beispielsweise, dass nach seinen Informationen die Technik noch zu wenig ausgereift sei, speziell im Zusammenhang mit der Verarbeitung der Signale durch die Peripheriegeräte. Auf das Kostenmodell angesprochen, konnte Buchmann noch keine Auskunft geben, dafür sei es noch zu früh. "Es ist jedoch denkbar, dass die EW die Installationskosten übernehmen werden und dann mit den Zugangspreisen auf die Kunden abwälzen. Durch die Liberalisierung des Strommarktes und in Anbetracht, dass in einigen Jahren jeder Endkunde seinen Stromlieferanten selbst auswählen kann, ist eine direkte Abwälzung der Kosten auf den User kaum denkbar." So etwas sei nur bei einer Monopol-Situation - Stichwort Swisscom und letzte Meile - möglich. Auf weitere Zukunftsvisionen angesprochen, antwortete Buchmann, dass es zwar möglich sein könnte, dass der Backbone einmal bei den EW liegen könnte und der ganze Datentransfer über das Stromnetz erfolgen wird. "Es ist aber wahrscheinlicher, dass die Glasfaser-Datenautobahnen, die sich im Moment im Bau befinden, bis zum Trafo genutzt werden und nur der Hausanschluss über das Stromkabel erfolgen wird." Es sei auch denkbar, dass in Zukunft zusammen mit dem Zähler in jedem Haus auch gleich ein Indoor Controller installiert wird.




Auch beim Elektizitätswerk der Stadt Bern verfolgt man die Bemühungen mit Interesse, jedoch sind auch hier noch keine konkreten Schritte beschlossen worden. Man warte auf die Ergebnisse der Feldversuche, vor allem vom Freiburgischen Elektrizitätswerk (FEW), das am Versuch beteiligt ist, so Roland Bärtschig, Leiter des Direktionsstabs.



Bärtschig sieht eine Aufteilung des Marktes zwischen den verschiedenen Technologien wie WLL, Fernsehkabel, ADSL und Powerline als wahrscheinlich - wobei PLC vor allem in kleinen Unternehmen und bei privaten Usern zum Einsatz kommen dürfte. Das Handicap von PLC bei grossen Firmen sei der Datendurchsatz und die bereits vorhandene Telekom-Verkabelung.




Skepsis ist angebracht

Aus einem Gespräch mit Claude Thürler, dem Projektmanager Powerline bei den FEW, ging ebenfalls hervor, dass viele Fragen zu Powerline noch nicht beantwortet sind. Die Tests starteten im Juli dieses Jahres und waren von Konfigurations- und Softwareproblemen überschattet. Sie werden noch bis Ende 2001 laufen und müssten dann zuerst analysiert werden. Ob und wann es zur Markteinführung von Powerline kommen wird, hängt noch in der Luft. Der Ball liegt einerseits bei den Energieversorgern und andererseits beim Bundesamt für Kommunikation (Bakom). Im Moment stellt das Bakom nur eine Lizenz für die Tests zur Verfügung.



Thürler sieht PLC als komplementäre Lösung. "Powerline wird kein Ersatz für sämtliche Technologien darstellen, sondern ist als eine Ergänzung zu sehen." Wie es zum Beispiel mit der Möglichkeit bei der Telefonie aussehen würde, "ist noch nicht ganz klar." Das FEW hat sich daher auch noch nicht entschieden, ob man die Technologie eines Tages auch wirklich anbieten will. Wieder verweist Thürler auf die Analyse der Feldversuche.




Auch bei den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich (EKZ) werden die in Broc mitfinanzierten Versuche mit grossem Interesse verfolgt. Ulrich Imhof, Bereichsleiter Anlagenbau bei den EKZ, äussert sich bei der Einschätzung der neuen Technologie im Moment noch zurückhaltend. "Man muss sich bei der Realisierung von PLC-Anlagen auf sehr hohe Investitionen gefasst machen. Die Swisscom mit ISDN und ADSL, die Kabelfernseh-Anbieter und die WLL-Lösung haben bezüglich des Bandbreitenangebots zur Zeit die besseren Karten und sind zu grossen Teilen schon auf dem Markt etabliert," so Imhof.



Er sieht realistische Chancen für PLC im Inhouse-Bereich oder als Nischentechnologie für Gebiete, die mit Telekom-Diensten noch nicht oder schlecht erschlossen sind. Ferner ist zweifellos die Fernauslesung von Zählern aller Art (Elektrische Energie, Wasser, Gas, Fernwärme) ein potentielles Anwendungsgebiet von PLC. "Die Erschliessung der Transformatorenstationen müsste mit Glasfaserkabeln erfolgen. Der Bau von LWL-Kabelanlagen (Lichtwellen-Leiter) sowie die Beschaffung und die Installation der notwendigen kommunikationstechnischen Ausrüstungen wird wiederum mit sehr hohen finanziellen Aufwendungen verbunden sein," gibt Imhof zu bedenken.




Die Zeit wird Antworten bringen

Auch Maurice Jacot, Verwaltungsrat bei Diax und Verantwortlicher für die Testversuche mit Powerline, bestätigte die zurückhaltenden Aussagen der EW. Am wahrscheinlichsten sei eine Zusammenarbeit mit anderen Technologien wie dem Kabelnetz der Cablecom. Auch er sieht die Stärken von Powerline vor allem Inhouse. Man müsse die Skepsis der EW aber etwas relativieren. "Verschiedene Energieversorger haben besser ausgebaute Kabelnetze und könnten Powerline auch mit geringeren Investitionen zur Verfügung stellen. Ausserdem sei man noch inmitten der Testversuche. Vor zwei Jahren sei eine Datenübermittlung via Stromkabel noch unvorstellbar gewesen, "heute besteht eine reelle Chance", so Jacot.



Wohin Powerline Communications gehen wird, ist im Moment schwierig abzuschätzen. Dass Ascom die neue Technik als bahnbrechend bejubelt und von einer baldigen Lancierung spricht, ist verständlich. Immerhin wurden vom Telekom-Konzern bereits Millioneninvestitionen getätigt und bei der Ankündigung vor zwei Jahren haben die Kurse der Ascom-Aktien um 30 Prozent zugelegt.




Die EW betrachten den Stand der Dinge nüchterner und sagen einhellig aus, dass man die Entwicklung mit grossem Interesse verfolge, aber noch abwarte. Ob sich dieses Zögern negativ auszahlen wird, darüber kann nur spekuliert werden. Es ist aber denkbar, dass bis zur PLC-Einführung viele User schon anderweitig ausgerüstet sind, sei dies nun mit ADSL oder dem Fernsehkabel. Ob aber die potentiellen Kunden zum Umstieg bewegt werden können, wird sich zeigen. Die Zukunft auf dem Strom-/Telekom-Markt scheint aber interessant zu werden.



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