Licht in den ERP-Dschungel

Der Markt der ERP-Software-Hersteller ist stark fragmentiert. Wir zeigen, wo die einzelnen Anbieter ihre Stärken haben.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/12

     

Der stark fragmentierte ERP-Markt lässt sich anhand der Herstellerkennzahlen. grob in fünf "Ligen" unterteilen.


1. Die internationale ERP-Liga

Die internationale Liga umfasst Unternehmen, die weltweit aktiv sind, in fast allen Industrienationen Vertretungen haben und insbesondere multinationale Konzerne und Grossunternehmen in ihren Kundenkarteien führen. Richtet man das Augenmerk auf den Schweizer Markt, dann gehören dazu vor allem SAP, PeopleSoft, J.D. Edwards, Ramco, Oracle und Baan.



Zieht man nur die Umsatzzahlen als Kriterium heran, dann kann SAP durchaus als der ERP-Softwareriese schlechthin bezeichnet werden. Im Schweizer Markt übernehmen die Walldorfer mit über 473 Millionen Franken Umsatz im Jahr 2002 mit grossem Abstand die absolute Marktleaderschaft. Und auch weltweit führt SAP mit über 7 Milliarden Franken Umsatz die ERP-Liga mit grossem Punktevorsprung an.




In dieser Liga spielen zwei weitere Namen seit Jahren oben mit: PeopleSoft und J.D. Edwards. Nach der Übernahme von J.D. Edwards nimmt die amerikanische PeopleSoft mit Schweizer Sitz in Volketswil nach eigenen Aussagen den zweiten Rang dieser Liga ein. In der Schweiz konnte das Unternehmen zudem nach Aussagen von Axel-Christoph Hinze, Managing Director, vor allem in den Bereichen CRM und Financials erhebliche Marktanteile gewinnen, und auch das weltweite Geschäft läuft gut: Gegenüber dem Vorquartal wurde ein Umsatzplus von 25 Prozent erzielt.



Neben Baan, das soeben an ein Investmentkonsortium verkauft wurde, spielt auch Oracle mit seiner E-Business-Suite in der internationalen Kategorie der ERP-Anbieter mit. Die aus Indien stammende Ramco Systems AG zählt zwar nicht zu den ganz Grossen, und doch hat das Unternehmen gerade in den letzten Jahren auch in der Schweiz vermehrt von sich reden gemacht. Lars Frutiger, Leiter Marketing, führt die Erfolge klar auf die konsequente ERP-II-Ausrichtung zurück: "Heute können wir mit der Anwendungsplattform Ramco VirtualWorks Lösungen doppelt so schnell implementieren und neue Prozesse jederzeit kurzfristig einbauen."




Nach Sage nun auch Microsoft, Oracle und SAP: Die Internationalen im Schweizer KMU-Markt

In einer zweiten Kategorie internationaler Unternehmen mit dem spezifischen Fokus auf den KMU-Markt treten vor allem Microsoft mit den Microsoft Business Solutions und die britische Sage Group im Markt auf. Während die Integration des ehemals dänischen ERP-Herstellers Navision in die Strukturen der Microsoft noch in vollem Gange ist, präsentiert sich Sage mit weltweit über 4,5 Millionen Kunden selbst als global führender Softwareanbieter für KMU und weist nach diversen Übernahmen über 51'000 Schweizer Kunden aus.



Zudem spielen vermehrt auch SAP und Oracle mit ihren neuen KMU-ausgerichteten ERP-Lösungen in dieser Liga mit. SAP verfolgt diesbezüglich sicherlich das zur Zeit in der Branche am meisten diskutierte Vorhaben: Erstmals verlässt man das alteingesessene Marktsegment der Grossunternehmen und drängt mit der neuen ERP-Lösung Business One massiv in den KMU-Markt vor. Etwas verhaltener geht dagegen Oracle mit der seit Dezember erhältlichen Special Edition seiner E-Business-Suite vor.





2. Die Liga der grossen Schweizer ERP-Anbieter

Wichtigste Charakteristika dieser Liga: Der anvisierte Kundenkreis beginnt beim Kleinstunternehmen und geht über mittelgrosse Firmen meistens nicht hinaus; branchenübergreifende standardisierte Softwarelösungen sind vorherrschend in den Produktsortimenten der Anbieter; die Lösungen werden in der Regel indirekt via einem ausgewiesenen Fachhandelsnetz vertrieben. Zu den ERP-Unternehmen mit mehrheitlich nationaler Ausrichtung zählen in erster Linie Abacus, Simultan, Bison und Opacc.
Klarer Tabellenführer dieser ERP-Liga ist die St. Galler Abacus. Während viele Branchenmitbewerber für negative Schlagzeilen sorgen, zieht das führende Schweizer Softwarehaus im Markt ruhig seine Bahnen - und das mit Erfolg. Erst im Herbst letzten Jahres demonstrierte das Softwarehaus mit der Einweihung des neuen, imposanten Geschäftshauses eindrücklich seine Marktpräsenz. Das Jahr 2002 wird vom Hersteller als das umsatzmässig bisher beste Geschäftsjahr bezeichnet. Thomas Köberl, Mitglied der Geschäftsleitung: "Insbesondere bei den Enterprise-Produkten für grössere KMU konnten wir eine deutliche Zunahme verzeichnen."



Im "Mid-ERP-Market" kann auch das Krienser Unternehmen Opacc ein Wörtchen mitreden. Mit OpaccOne präsentiert das Softwarehaus eine offene, funktional umfassende und XML-basierende E-Commerce- und Mobile-Commerce-Lösung.




Während Simultan vor kurzem mit einer SAP-Partnerschaft für Aufsehen gesorgt hat, investiert die Surseer Bison Group weiter in die Entwicklung ihrer eigenen Lösung. Rudolf Fehlmann, CEO und VR-Delegierter: "Wie alle Anbieter von ERP-Lösungen konnten auch wir nur wenig Abschlüsse realisieren. Dennoch haben wir kontinuierlich in die Weiterentwicklung unserer ERP-II-Lösung Bison Solutions investiert."



Im oberen KMU-Segment stehen diese Unternehmen mehr denn je in direkter Konkurrenz zu den internationalen, KMU-fokussierten Anbietern. Dem zunehmenden Konkurrenzdruck begegnet man allerdings selbstbewusst. Beat Bussmann, CEO der Opacc: "Softwareanbieter, die dank ihren intellektuellen Ressourcen Lösungen entwickeln, welche die Bedürfnisse ihrer Zielgruppen signifikant besser abdecken als diejenigen der anderen, haben gute Chancen, sich auf dem anspruchsvollen Schweizer Markt zu etablieren." Ähnlich tönt es bei Abacus. Thomas Köberl: "Unsere Lösung ist der einzige Fokus unserer Tätigkeit und die Schweiz steht ebenfalls im Mittelpunkt - dies im Gegensatz zu den international tätigen Unternehmen, für welche die Schweiz ein Markt unter vielen und die ERP-Lösung eine von mehreren Produktlinien oder Geschäftsfeldern ist."




3. Die Liga der Kleineren und Kleinen

Neben den grossen Schweizer Softwarehäusern wartet der Markt mit unzähligen kleineren branchenunabhängigen Anbietern auf, wobei die Grösse des Unternehmens nicht unbedingt etwas über die Qualität der Lösung aussagt. Der Kundenkreis umfasst üblicherweise kleine bis mittlere Handels-, Gewerbe- und Produktionsunternehmen. Trotz des vorherrschenden Standardansatzes in diesem Segment weisen diese Lösungen einen recht hohen Grad an Flexibilität auf, sind parameterisierbar und mit einer Fülle von Funktionen ausgestattet.





4. Die Branchen-Liga

Spezialisiert auf eine einzelne Branche, vornehmlich Kunden aus dem kleineren bis mittleren Segment, geringe Channel-Aktivitäten: Das sind die wichtigsten Kennzeichen der ERP-Anbieter in der Branchenliga, die sich auf eine ausgewählte Branche konzentrieren und auch ihre Lösung ganz spezifisch auf die gängigen Bedürfnisse eines branchentypischen Betriebes ausgerichtet haben.



Das reicht von branchenüblichen Artikelstämmen und Lagerverwaltung über eigene Abrechnungs-, Rabatt-, Preis- und Berechnungsverfahren bis hin zur Nachkalkulation. Abhängig von der Grösse einer Branche tummeln sich hier meistens mehrere kleine Hersteller - nur selten sind auch grössere Anbieter in diesem Segment tätig, wobei immer ein Branchen-Marktleader ausfindig zu machen ist.





5. Die Spezialisten-Liga

Neben den Businesslösungen, die den Kunden ein "komplettes ERP-System" bieten, gibt es schliesslich die Liga der Spezialistensoftware. Darunter fallen alle Anbieter, die sich lediglich auf einen Bereich funktionaler wie prozessorientierter Software konzentrieren, zum Beispiel Finanzwesen, Human Resource Management und ähnliches.



Eines der bekanntesten Schweizer Unternehmen in dieser Liga ist die Basler Firma Team Brendel. Obwohl der Branchentrend klar zur umfassenden Gesamtlösung geht, werden von den meisten ERP-Herstellern den qualitativ hochwertigen spezialisierten Lösungen durchaus gute Marktchancen eingeräumt. Für den Geschäftsleiter von Team Brendel ist das Erfolgsrezept eines Spezialisten klar: "Der entscheidende Punkt des Erfolgs ist, ob sich der Anbieter auch wirklich spezialisiert. Denn mit spezialisiertem Know-how kann gerade bei branchenspezifischen Themen wie CRM noch viel Potential ausgeschöpft werden."





Fazit: Es bleibt spannend!

Der Markt präsentiert sich heute breitgefächert und ist sichtlich in Bewegung. Marktpotential ist auf den ersten Blick schwer auszumachen, und doch ergeben sich einige signifikante Marktchancen. Die von A bis Z integrierten Lösung sowie das zukunftsweisende E-Business-Paket werden die alten starren Systeme verdrängen, ganz nach dem Motto: Was heute als E-Business bezeichnet wird, ist morgen ("normales") Business. Auch im Bereich der kleinen Unternehmen ist durchaus noch Potential da - eine Chance für alle kleineren KMU-Anbieter. Und für neue Technologien ist der Schweizer Markt schon immer sehr offen gewesen.



Doch der Verdrängungswettbewerb wird noch weiter andauern, werden die Meldungen über Insolvenzen, neue Partnerschaften, Fusionen und Übernahmen nicht abreissen.





3 Fragen an die Hersteller von ERP-Systemen

Im Zusammenhang mit dem Thema ERP hat InfoWeek einigen im Schweizer Markt aktiven ERP-Anbietern unterschiedlicher Grösse und Ausrichtung drei Fragen gestellt. Hier eine kurze Zusammenfassung der Antworten:



Welche Entwicklungen oder Trends innerhalb der IT-Technologien und des EDV-Marktes werden in Zukunft die ERP-Systeme grundlegend beeinflussen oder verändern?


Die Hersteller selbst erwarten eindeutig eine Fortführung des Verdrängungswettbewerbes. Überleben werden nur die Unternehmen, bei denen Softwarequalität, Marketing und Vertriebsstrategie perfekt aufeinander abgestimmt sind. Webbasierten und hoch modularen E-Business- und ERP-II-Lösungen gehört die Zukunft. Dabei spielt eine effiziente und kostengünstige Prozessmodellierung und Adaption der sich ständig ändernden Geschäftsabläufe in Zukunft eine immer wichtigere Rolle. Der Trend hin zu komplett integrierten ERP-Lösungen (Schlagwort EAI - Enterprise Application Integration) wird sich zunehmend verstärken. Dauert die Wirtschaftsmisere weiter an, werden auch Finanzierungs- und Kostenmodelle an Bedeutung gewinnen.



Welches ist der wichtigste Faktor für die erfolgreiche Implementation einer ERP-Lösung beim Kunden?

Anders als erwartet wird das Produkt respektive die Softwarelösung selbst - abgesehen davon, dass die Geschäftsprozesse in optimaler Form unterstützt und abgebildet werden müssen - in seiner Bedeutung von den Herstellern bei weitem nicht überbewertet. Ganz im Gegenteil: Wesentlich grössere Bedeutung kommt dem bewussten Commitment und der eigentlichen Zusammenarbeit zwischen dem Kunden und dem Anbieter/Implementierungshaus zu, der kundengerechten gemeinsamen Sprache und Kommunikation sowie dem Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung - gepaart mit den fachlichen und dem insbesondere von Personen losgelösten Know-how des Projektteams. Eine verantwortungsvolle Schlüsselrolle nimmt ganz klar der Implementierungspartner ein.



In welchem Verhältnis stehen die Erfolgsfaktoren Produkt, Softwareimplementationshaus und Kunde, wenn es um den Einfluss für die erfolgreiche Einführung eines ERP-Systems geht?

Mehrheitlich geben die Hersteller allen drei Faktoren die gleiche Gewichtung (33%), mit der Begründung, dass die Faktoren sehr voneinander abhängig sind und sich in grossem Masse gegenseitig beeinflussen. Die Erfolgsformel liegt im perfekten Zusammenspiel der Faktoren. Es gilt also, als Kunde bei der ERP-Evaluation auf alle drei Faktoren einen genauen Blick zu werfen.




Die ERP-Lösungen der internationalen Player im Vergleich


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ERP-Lösungen der internationalen Anbieter mit KMU-Fokus

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Der Autor Jörg Rüdiger ist Inhaber
einer Kommunikations- und Marketingagentur in Baar.



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