Collaborative commerce – Versuch einer Definition und ein Praxisbeispiel
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/04
Unter dem Begriff «c-commerce» ist die Absicht zu verstehen, alltägliche Zusammenarbeitsformen mit informationstechnischen Mitteln zu unterstützen. Der Austausch von Informationen ist bereits heute als alltäglicher Bestandteil unserer Arbeitswelt, sei es in der Zusammenarbeit von Firmen in der Form als Sublieferanten, als Arbeitsgemeinschaften oder als Teillieferanten und Sourcing-Partnern. Das Thema «collaboration» oder «c-commerce» ist daher nicht neu und bereits heute in allen Unternehmungen anzutreffen und von spezieller Bedeutung für die Dienstleistungs- oder Serviceunternehmungen, da hier die Anzahl an interpersonalen Kontakten sehr hoch ist.
«c- (collaborative) commerce» wie «e- (electronic) commerce» sind Elemente des e-business. Die allgemeinen «e-commerce» Konzepte unterstützen primär die Verkaufsprozesse über das Internet. Diese Geschäfte sind naturgemäss transaktionsorientiert und integrieren grundsätzlich keine externen Prozesse. Bei den Funktionen handelt es sich traditionell um Auftragsplazierung, Auftragserfüllung und Zahlungsabwicklung. «c-commerce» hingegen bezieht sich auf den dynamischen, internet-gestützten Austausch von Informationen zwischen Geschäftspartnern sowie innerhalb des Unternehmens mit dem Ziel die Produkt- und Serviceentwicklung, das Herstellungsverfahren und die Logistik zu optimieren. Die Konnektivität in Echtzeit ermöglicht Daten, intellektuelles Kapital, Kernkompetenzen,
Betriebsmittel und Geschäftsprozesse, welche einst ausschliesslich interne Informationen waren, den Partner gegenüber transparent zu machen oder zu öffnen. Dabei wird das Internet eingesetzt, um Interaktivität im wirtschaftlichen Verkehr zwischen Mitarbeitern, Geschäftspartnern, Lieferanten und Kunden zu ermöglichen. Eigenschaften wie Vertrauen und Verbindlichkeiten bilden die Basis für diese Partnerschaften und deren interpersonalen Kontakten.
Dieser Begriff umfasst damit die Instrumente des «e-» wie des «c-commerce» mit dem Ziel die Kommunikation und Zusammenarbeit zu unterstützen und die mit zunehmender Ausprägung von «c-commerce» umfangreicher und komplizierter werden. Die beiden grundsätzlichen Formen von «e-collaboration» sind die folgenden:
1. Strukturierte Zusammenarbeit – «e-commerce»: Beinhaltet die Erstellung und den Austausch von strukturierten Dokumenten und Prozessen.
2. Unstrukturierte Zusammenarbeit – «c-commerce»: Ermöglicht den Teilnehmern den Austausch von nicht standardisierten Dokumenten und der Teilnahmen an Kommunikationsmeetings.
Aufgrund dieser Definitionen sind in der Realität die verschiedenen Stadien vom «e-» zum «c-commerce» anzutreffen:
1. Marketing und Verkaufsprozesse, wie eindimensionale, einzelner Prozess, die ausgewählte interne Daten für externe Partner visibel macht.
2. Marktplätze, die Käufer, Verkäufer und Zulieferer über gemeinsame Prozesse integrieren.
3. Multidimensional integrierte Produkte und Services, die übergangslose Integrationen von Prozessen, von Kunden und Produkten/Services ermöglichen.
Je höher die Stufe und die damit verbundene Integration, desto grössere Bedeutung kommt der individuellen Interaktionen zu. Da diese durch die Kreativität und Spontanität bestimmt wird, lässt sie sich nicht in Prozessschemen strukturieren. Die unstrukturierten Interaktionen zwischen menschlichen Wesen und deren Kreativität sind daher die zu wesentlichen Kernelemente des «c-commerce». Die stärkste Ausprägung findet sich bei Innovations- und Supportprozessen, wo die menschlichen Interaktionen unstrukturiert, dynamisch und kreativ sind.
Nachfolgend werden einige Erfolgsfaktoren des «c-commerce» für multidimensionale und integrierte Prozesse aufgeführt.
1. Technologie: Der Zusammenbruch des «e-business» und die Misserfolge im B2B-Bereich zeigen deutlich auf, dass der Einsatz von Technologie per se nicht hinreichend ist. Nebst dem Einsatz der Technologie kommt der Implementierung in die operativen Abläufe entscheidende Bedeutung zu.
2. Prozesse: Der Balanceakt zwischen den automatisierten Komponenten eines Prozesses (prozessuales Element) und den direkten Interaktionen gleichwertiger Partner (inter-personales Element) ist die grosse Herausforderung. Die Kriterien/Indikatoren für die verschiedenen Arten der Zusammenarbeit zu erkennen ist der wichtigste Erfolgsfaktor damit
die Typisierung der zu bearbeitenden Aufgabenstellung klar wird.
3. Strategie: Die nachhaltige Einbindung sämtlicher Prozesskomponenten und die Offenlegung von Prozessabläufen sind ein weiterer Erfolgsfaktor. Diese enge Zusammen-
arbeit funktioniert jedoch nur, wenn die Unternehmungen ihre Geschäftsgeheimnisse entsprechend schützen können und sich darüber in Klaren sind, welche Prozesse eingebunden werden sollen.
4. Organisation / Kultur: Unternehmungen müssen zur Eröffnung neuer Opportunitäten zusammenarbeiten, müssen gemeinsame Lösungen bilden und Herausforderungen teilen. Mitarbeiter wie Manager müssen die «wir vs. die anderen» Mentalität überwinden und ihren Fokus auf die Fragestellung richten, wie uns wo sie mit anderen Unternehmungen zusammenarbeiten können um gemeinsamen die gestellten Anforderungen zu erfüllen. Dazu muss die Form der Zusammenarbeit materiell festgelegt werden, die Art der Zusammenarbeit muss in den «Governance»-Strukturen formell ihren Niederschlag finden.
Planungs-, Koordinations- und Entscheidungsprozesse sind höchst arbeitsintensiv und bisher wenig systemunterstützt. Allerdings existieren heute Werkzeuge, mit denen sich auf sehr rasche Weise nachhaltige Effizienzsteigerungen für diese Art von kollaborativen Prozessen erzielen lassen. Wie dies angegangen werden kann, möchten wir an folgender konkreter Aufgabenstellung aufzeigen.
Ein Unternehmen mit 2500 Mitarbeitern steht vor der Frage, wie der firmeninternen Beschaffungsprozess mit möglichst durchgängigen Interaktionen zwischen
– den Bedarfsträgern,
– den Entscheidungsträgern und
– den Vertretern der Beschaffungsabteilung
zu gestalten ist.
Die dabei anfallenden Dokumente und Informationen sollen auf einfachste Weise für die Beteiligten zugänglich sein. Die wichtigsten Resultate dieses Prozesses bilden die Basis für die Platzierung der Bestellungen seitens Einkauf beim ausgewählten Lieferant – somit besteht die Forderung, diese schon vorhandenen Informationen und Dokumente dem ERP System zur Verfügung zu stellen und somit den Evaluationsprozess effizient zu unterstützten.
Die bisherige Lösung bestand darin, dass die häufigsten Varianten dieses Beschaffungsprozesses in Form von «Flow-Charts» dargestellt waren. Alle Ausnahmen wurden neben dem definierten Prozess irgendwie organisiert. Als weiteres Werkzeug wurde ein Excel-Arbeitsblatt-Formular verwendet. Dies mit den bekannten Nebeneffekten, dass die Übersichtlichkeit für jeden Involvierten nicht gegeben war.
Bei näherer Betrachtung und Analyse stellte sich heraus, dass die mögliche und auch effektiv praktizierte Vielfalt der Varianten von Interaktionen zwischen den Prozessbeteiligten mittels «Flow-Chart» nicht abbildbar ist. Eine effiziente Prozessfortschrittskontrolle ist nicht möglich und die Frage wer im aktuellen Ablauf in der Verantwortung steht, konnte ohne entsprechende Abklärungen ebenfalls nicht beantwortet werden.
Dies entspricht dem in der Praxis leider oft angetroffenen Zustand bei kollaborativ ausgestalteten Prozessen. In diesem Umfeld lassen sich mit dem Einsatz von entsprechenden Werkzeugen und Instrumenten grosse Effizienzsteigerung erzielen, indem die menschlichen Interaktionsmuster im Geschäftsalltag auf einfachste Weise simuliert werden können. Die kollaborativen Prozesse sind durch die situativen und individuellen Entscheidungsmuster der Prozessbeteiligten geprägt. Das Wissen und die Erfahrung der Beteiligten legt den Prozessablauf individuell fest. Diese Eigenart bestimmt die Interaktionen und somit auch die Anforderung an entsprechende Lösungen.
Im vorliegenden Fall wurden die Prozessrollen analysiert und daraus der Handlungsbedarf definiert, der die folgenden Ziele umfasste:
– Information über die Dauer der interne Beschaffungsanträge
– Reduktion des hohen Koordinations- und Kommunikationsaufwandes
– Wissen wo der Prozess aktuell steht
– Wunsch nach möglichst frühem Kontakt mit den Bedarfsträgern, damit das Erfahrungspotential und Lieferantenbeziehungen vollumfänglich genutzt werden können
– Wunsch nach einer aktiven Interaktionsunterstützung für die Führung des Dialogs zwischen den Involvierten
Mit einer webbasierten Lösung, welche innerhalb vier Wochen realisiert wurde, konnte folgender Nutzen erzielt werden:
In der ersten Realisierungsetappe konnte die
– Servicequalität, und das Image beim internen Kunden verbessert werden
– stark erhöhte Transparenz ein pro-aktives Eingreifen ermöglichen
– Durchlaufzeit erheblich reduziert werden
– Flut der relevanten Dokumente in Dossierfächer organisiert auf einfachste Weise verfügbar gemacht werden
– Anzahl der internen Interaktionen und damit der Gesamtaufwand merklich gesenkt werden.
Die zweiten Etappe beinhaltete:
– eine vertiefte Analyse der Prozesseffizienz mit Hilfe des neuen Werkzeug auf Basis von «6Sigma»
– die Identifikation und Eliminierung der tatsächlichen Prozess-Engpässe.
Mit der dritten Etappe wird die:
– zweite Stufe der Optimierung auf Basis der ermittelten Prozesskennzahlen angestrebt.
Das zu erwartende Einsparungspotential kann erfahrungsgemäss so definiert werden, dass der Projektaufwand innerhalb eines Jahres eingespart wird.
Felix Bossart ist Head of Midrange Operation bei Swisscom IT Services.
Matthias Poetz ist Geschäftsführer von bepartner GmbH.
Ruedi Stucki ist Service Manager International Business bei Zurich Financial Services.