cnt

Pfadfinder überwindet Grenzen

Für die webbasierte Bahnkoordinationsplattform mussten die unterschiedlichen Interessen und Kulturen von 17 Gesellschaften aus sieben Ländern auf einen Nenner gebracht werden.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/17

     

Die webbasierte Koordinationsplattform Pathfinder hilft heute die europäischen Bahnverbindungen flexibler zu gestalten. Um diese Applikation erfolgreich zu entwickeln, die heute gleichzeitig mehr als ein Dutzend Traditionsunternehmen aus verschiedenen Ländern zufrieden stellen muss, war das Vorgehen im Projekt entscheidend. Das Beispiel Pathfinder zeigt somit exemplarisch, wie grossen kulturellen, organisatorischen und technischen Unterschieden auf Auftraggeberseite Rechnung getragen werden kann.
Der Ort, um zu klären, wie die 70 Unternehmen, die sich unter dem Dach des Forum Train Europe (FTE) zusammengeschlossen haben, gemeinsam attraktivere Angebote für ihre Kunden schaffen könnten, wären eigentlich die grossen internationalen Fahrplankonferenzen. An diesen kommen mehrmals im Jahr Hunderte von Experten der europäischen Bahngesellschaften zusammen. Bislang allerdings waren die Teilnehmer dort vor allem mit administrativer Arbeit beschäftigt. Denn während die Bahnen für ihre nationalen Güter- und Personenzüge längst ausgeklügelte Planungssysteme einsetzen, mussten grenzüberschreitende Direktverbindungen 130 Jahre lang lediglich mit rudimentärer Software-Unterstützung koordiniert werden. Es gab deswegen umstrittene Vorschläge für internationale Züge, die Jahr um Jahr vertagt wurden.


Webplattform statt Papierkrieg

Geändert hat sich das erst Ende 2003 mit der Aufschaltung von Pathfinder. Die Applikation verwaltet Dossiers für internationale Züge auf einer Web-Plattform. Sie stellt die notwendigen Informationen für die Koordination zentral zur Verfügung. Zum einen wickeln die Beteiligten nun kleinere Veränderungen, die an sich unumstritten sind, direkt über Pathfinder ab. Zum anderen müssen sich die Konferenzteilnehmer bei der Diskussion der einzelnen Dossiers nicht mehr mit Hilfe der mitgebrachten Faxe, der ausgefüllten Word-Templates und ausgedruckten E-Mails mühsam auf denselben Kenntnisstand bringen. Jacky Tenthorey, bei den SBB zuständig für die Planung im Bereich Reiseverkehr, verdeutlicht: «Die starke Reduktion des Papierkriegs an den Konferenzen bedeutet eine grosse Entlastung.»






Nun haben die Experten endlich Zeit für die Diskussion heikler und strategischer Fragen. Angesichts der Umwälzungen, die auf die europäischen Bahnen zukommen, ist dies von grosser Bedeutung. Denn nach dem Willen der EU-Kommission sind die Privatisierung in diesem Bereich und die Öffnung der Schienenwege für private Anbieter noch lange nicht abgeschlossen. Der Wettbewerb wird sich weiter verschärfen. Neue, attraktive Angebote sind darum gefragt.
Dass die Koordinationsplattform trotz dieser Vorteile vergleichsweise spät realisiert wurde, liegt an der Heterogenität der Gesellschaften, die am europäischen Bahnverkehr beteiligt sind. Dabei handelt es sich um die Infrastrukturbetreiber der verschiedenen Länder, welche über die Gleisanlagen verfügen, sowie um sogenannte Eisenbahnverkehrsunternehmen (Personen- und Güterverkehr), die mit eigenem Personal und Rollmaterial Züge auf diesen Gleisen bewegen. Diese Unternehmen, die aus Ländern von Norwegen bis Mazedonien stammen, haben nicht nur unterschiedliche kulturelle Hintergründe, sondern besitzen als traditionsreiche Firmen auch noch starke interne Kulturen. Dementsprechend herrscht gegenüber Projekten, die als Einschränkung der Eigenständigkeit wahrgenommen werden, eine gewisse Skepsis.

Akzeptanz sicherstellen

Die Vielfalt schlug sich auch in der Projektgruppe nieder, die schliesslich das Pathfinder-Vorhaben initiierte und finanzierte. Sie bestand aus Vertretern von 17 Gesellschaften, die aus sieben Ländern mit fünf verschiedenen Sprachen kamen. Die Unternehmen planen ihre nationalen Verbindungen auf unterschiedliche Art und Weise und benutzen dafür auch verschiedene Softwaresysteme. Als externen Gesamtprojektleiter für ihr ambitiöses Vorhaben holten die Firmen den Unternehmensberater Uwe Kolk. «Die grösste Herausforderung bei Pathfinder war es, die unterschiedlichen Anforderungen zu berücksichtigen und die Akzeptanz aller Projektmitglieder in jeder Phase sicherzustellen», erläutert Kolk.






Deswegen suchte er bei der Vergabe des Projekts nach einer Firma, die durch Offenheit und Flexibilität sicherstellte, dass die Investoren bei der Stange blieben. Nach einer Auswertung der Eingaben und dem Besuch von fünf Firmen fiel die Wahl auf Netcetera. «Entscheidend war die geplante Vorgehensweise», erinnert sich der Gesamtprojektleiter. Netcetera mit dem Projektleiter Patrik Auf der Mauer schlug vor, das Projekt in vielen Iterationen zum Teil im Monatsrhythmus zu realisieren und die Versionen jeweils über das Netcetera-Extranet durch die Projektgruppenmitglieder reviewen zu lassen. So war ein Ausscheren aus dem Projekt praktisch unmöglich. Dabei war aber nicht nur die Projektorganisation, sondern auch die Applikationsentwicklung vom Verständnis für die Anliegen der Gesellschaften und vom Bemühen geprägt, sämtliche verschiedenen Anforderungen adäquat zu berücksichtigen.

Use Cases

Grosser Wert wurde auf die korrekte Erfassung der Anforderungen gelegt. Aufgrund von Diskussionen mit den Anwendern formulierte Netcetera dafür sogenannte Use Cases, die beschreiben, welche Aktionen mit der Software möglich sind. Sie wurden den Nutzern wieder vorgelegt und bei Einwänden neu formuliert – so lange, bis die Anwender zufrieden waren. «Die ersten Use Cases mussten wir alle überarbeiten», erinnert sich Patrik Auf der Mauer.


Zentrale Lösung

Zu Beginn des Projekts strebten die Bahngesellschaften eine dezentrale Lösung an, bei der jedes angeschlossene Unternehmen einen eigenen Pathfinder Server betrieben und dort seine Dossiers abgelegt hätte. Der Grund dafür waren Bedenken hinsichtlich vertraulicher Daten, welche die Gesellschaften im System ablegen wollten. Es sollte vermieden werden, dass Konkurrenten diese Daten hätten einsehen können. Patrik Auf der Mauer trat für eine zentrale, deutlich einfacher und kostengünstiger zu realisierende Lösung ein. Es gelang ihm schliesslich, Auftraggeberin und Anwender davon zu überzeugen, indem er ihnen zeigte, wie ihren Anforderungen in Sachen Sicherheit auch mit einem zentralen System Rechnung getragen werden kann.


Mehrsprachig und flexibel

Die Applikation wurde von Beginn an mehrsprachig entwickelt. Schon der erste Release, Pathfinder 0.5, der den Auftraggebern vier Monate nach Projektbeginn zur Verfügung stand, liess sich in mehreren Sprachen bedienen.
Im Verlaufe des Projekts zeigte sich, dass die Formulierungen, mit denen Mitarbeiter der Gesellschaften Vorschläge für internationale Züge machen, von Land zu Land unterschiedlich sind. Sie reichten von einer Reihe präziser Vorgaben bis hin zu vagen Vorschlägen. Nachdem Pathfinder zu Projektbeginn zwingend präzise Angaben verlangt hatte, ist die Software in der Endfassung wesentlich weniger rigide. «Es gibt fast keine Felder in der Eingabemaske mehr, die bei einem Antrag ausgefüllt werden müssen», erklärt Auf der Mauer.






Das Vorgehen hat die Auftraggeber überzeugt. Sie haben sich für die Weiterführung des Projekts entschieden. Und ihre Rechnung ging im buchstäblichen Sinne auf: Pathfinder wurde zum geplanten Zeitpunkt fertig und war aufgrund der einfacheren zentralen statt der anfänglich geplanten dezentralen Lösung sogar noch günstiger als ursprünglich angesetzt. Pathfinder ist heute mit der Version 1.2 online, Weiterentwicklungen, die noch vermehrt auf die spezialisierten Anforderungen der einzelnen Bahnbetriebe eingehen sollen, sind bereits in Planung


Weitere Infos: www.netcetera.ch



Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Welche Farbe hatte Rotkäppchens Kappe?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER