Supply Chain Management: Konzepte, Probleme und Lösungen

Sollen Geschäftsprozesse optimiert und damit der wirtschaftliche Erfolg angekurbelt werden, ist Supply Chain Management die richtige Lösung. InfoWeek zeigt, was dahinter steckt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/10

     

Unter dem Begriff Supply Chain Management (SCM) versteht man die effiziente Integration von Lieferanten, Produzenten, Warenhäusern und Verkaufsläden, so dass Produkte oder Dienstleistungen in der richtigen Menge, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit, unter Minimierung der Gesamtkosten und Maximierung der Service-Qualität, eingekauft, hergestellt und ausgeliefert werden können. Damit ist SCM ein Lenkungsinstrument, welches heute unter Einbeziehung neuester Webtechnologien die Informationsflüsse, Materialströme, Geldtransaktionen und die zugrundeliegenden Prozesse in Unternehmen steuert. Viele Manager erkennen vor allem in Krisen, dass Massnahmen, die an einer bestimmten Stelle einer Wertschöpfungskette unternommen werden, den Profit aller anderen Bereiche innerhalb dieser Kette beeinflussen können. Das Spektrum, welches die Wertschöpfungskette umfasst, reicht hierbei von Lieferanten, Unterlieferanten, internem Betrieb, Grosskunden, Einzelhandelskunden bis hin zum Endkunden. Dabei geht es um die Kunst, aus Rohmaterialien ein Produkt oder eine Dienstleistung zu generieren, die für potentielle Kunden einen konkreten Mehrwert darstellt. Ziel ist es, Entscheidungen mit einem möglichst hohen Informationsgrad, unterstützt durch einen hohen Automatisierungsgrad, fällen zu können. Damit dies geschehen kann, ist es wichtig zu wissen, welche Teile im Rahmen eines komplexen Produktionssystems einen kritischen Zeitfaktor darstellen. Es ist notwendig, exzellente Lieferanten zu haben, um den Anforderungen der Just-in-Time-Produktion gerecht zu werden. Ausserdem bedarf es eines Monitoring- bzw. Diagnose-Systems, mit dem Fehlerquellen möglichst behebbar sind.




Der Markt für SCM-Software ist durch die Rezession in der amerikanischen Wirtschaft im Jahr 2001, wie viele andere E-Business-Bereiche auch, eingebrochen. Doch die führenden Anbieter i2 Technologies, Manugistics sowie SAP sehen bereits wieder Licht am Ende des Tunnels. Der entscheidende Faktor für den Aufschwung dieses Marktes ist jedoch nicht die wieder anziehende Wirtschaft alleine, sondern vor allem die Notwendigkeit zur Produktivitätssteigerung für die Unternehmen in einem härter werdenden Wettbewerbsumfeld.


Entwicklungsdynamiken

Das Supply Chain Management ist aus der Logistikforschung entstanden. Dort stand zunächst die enge Beziehung zwischen Lagerung und Transport auf dem Prüfstand, um durch verbesserte Datenkommunikation schnellere und verlässlichere Transporte sicherzustellen, die Grösse des Lagers zu reduzieren und die Bearbeitungszeit der einzelnen Aufträge zu verringern. In einer zweiten Phase wurde dem SCM die Herstellung, der Einkauf und das Auftragsmanagement hinzugefügt. Möglich wurde dies durch den elektronischen Datenaustausch, die weltweite Kommunikation sowie die wachsenden Speicher- und Auswertungsmöglichkeiten von Computern. In der Phase bis heute kamen zur Wertschöpfungskette Zulieferer an einem und Endkunden am anderen Ende hinzu, weshalb man unter SCM heute auch das Management logistischer Netzwerke verstehen kann. Um die in Netzen entstehende Datenflut bewältigen zu können, sind mittels Software automatisierte Systeme notwendig, die neben hohen Bandbreiten und Geschwindigkeiten sämtliche Transaktionen überwachen können und somit eine Entscheidungsunterstützung geben. Zukünftig werden weitere Funktionen wie Produktentwicklung, Marketing und Kundenservice integriert werden, wodurch der Innovationsdruck auf die Anbieter noch weiter zunehmen wird. Hierbei verändern sich die zugrundeliegenden Marktdynamiken. Die Nachfrage wandelt sich zunehmend von Business-to-Consumer-Lösungen zu Business-to-Business-Lösungen. Die Kunden suchen hierbei zuverlässige Lösungen, die ihre Geschäftsprozesse optimieren.



Der Kauf einer Software wird zudem immer mehr unter strategischen Gesichtspunkten gesehen, so dass sich die Kaufzyklen eher wieder in Richtung 6 Monats-, anstatt 3-Monats-Zyklen entwickeln. Ausserdem wird die Ausführung immer wichtiger, weshalb ein funktionierendes Business-Ökosystem und die dazu notwendige Systemintegration unumgänglich sind. Deshalb kann SCM nur mehr durch ein mehrstufiges Konzept erfolgreich realisiert werden.





Zwei Beispiele: Wal-Mart und Cisco

Unglücklicherweise passen die Interfaces von ERP- und SCM-Lösungen oftmals nicht zusammen. Eine der Firmen, die diese Probleme schon vor über einem Jahrzehnt gelöst hat, ist Wal-Mart. Da Einzelhändler zum Produkt keinen Wert hinzufügen, ist die wirksame Verteilung der Produkte das wesentliche Unterscheidungsmerkmal im Wettbewerb. Bei Wal-Mart spielen Lieferanten eine wesentliche Rolle, um die Warenbestände zu managen. Die höhere Effizienz von Wal-Mart gegenüber seinen Wettbewerbern erlaubte es dem Unternehmen, die Preise für die Kunden zu senken und so Marktanteile zu erobern. Ende Januar 2001 war Wal-Mart bereits zum zweitgrössten Unternehmen der Fortune-500-Liste aufgestiegen. Wal-Mart und Procter & Gamble, die Ende der 80er Jahre das Konzept des "Vendor Managed Inventory" kreierten, sind heute ein Musterbeispiel für die SCM-Kooperation von Unternehmen. Bevor diese beiden Unternehmen ihre Zusammenarbeit starteten, hatten die Retailer kaum Informationen mit den Produzenten geteilt. Als jedoch die Unternehmen mit einer Software die Verteilungszentren verbanden, konnten Engpässe frühzeitig erkannt, Bestellkosten reduziert, Lagerbestände minimiert und Zahlungen automatisch durchgeführt werden.



Ein weiteres Beispiel für ein exzellentes Supply-Chain-Netzwerk bietet Cisco Systems. Das Unternehmen hat ein Netzwerk von Lieferanten, Distributoren und Produzenten, die durch ein Extranet miteinander verbunden sind. Mit dieser virtuellen Just-in-time-Wertkette wissen sämtliche Teilnehmer sofort über den aktuellen Auftragsbestand Bescheid. Mit Ciscos SCM-System ist es möglich ohne Lager, ohne Bestände und ohne Papierbestellungen auszukommen und die Wertkette automatisch, in Echtzeit, überall und gleichzeitig von allen Teilnehmern zu überwachen. Die Wertkette arbeitet im Grunde selbst organisiert. Nur wenn ein Problem auftritt, muss der Mensch noch eingreifen, was auch als "Management by exception" bezeichnet wird. Doch gerade diese Selbstorganisation kann zu einer grossen Schwäche werden, wenn der Markt in eine Rezession gerät. Die Planungssoftware von Cisco war auf Wachstum programmiert und nicht auf einen schrumpfenden Markt. Zu spät wurde das Problem der Überkapazitäten erkannt, und so häuften sich bei den Partnerfirmen von Cisco enorme Lagerbestände. Der "Bullwhip-Effekt" hatte die Netzwerk-Lieferanten voll erfasst.





Wettbewerb zwischen Netzwerken

Zunehmend entstehen komplexe Netzwerke, in denen eine Vielzahl von Intergrationsaufgaben erfüllt werden müssen:



1. Aufbau des Supply-Chain-Netzwerkes und Auswahl der Lieferanten/Kunden,


2. Organisation und Führung des Supply-Chain-Netzwerkes,


3. Geschäftsprozessgestaltung und -planung sowie


4. Aufbau der Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen.




Mit diesen Netzwerken soll eines der grössten Probleme von Unternehmen gelöst werden: die mangelnde Transparenz der Nachfrageplanung von Partnerfirmen. Cisco ist dieses Problem mit einem sogenannten E-Hub-System angegangen. Hierbei plant Cisco nicht nur die Lieferanten der 1. Stufe, sondern auch die vorgelagerten Lieferanten miteinzubeziehen, um möglichst aussagekräftige Planzahlen erzeugen zu können. Viele Firmen kennen die vor- und nachgelagerten Entscheidungen in der Lieferkette nicht. Es kommt deshalb darauf an, Monitoring-Systeme zu entwickeln, die alle Partner in einer Wertschöpfungskette einschliessen. Als Ford Motors im Jahr 2000 aufgrund tödlich verlaufender Verkehrsunfälle eine Vielzahl von defekten Bridgestone/Firestone-Reifen in den USA zurückrufen musste, wäre dies ohne ein hoch effizientes Business-Netzwerk zu den Reifen-Lieferanten nicht möglich gewesen. Dieser Fall hat gezeigt, dass ein funktionierendes Supply Chain Management auch ein sehr wichtiges Tool zur Bewältigung von Krisen sein kann. Kevin O'Marah, Service Director für Supply Chain Strategien bei AMR Research in Boston, hebt hervor, dass es darauf ankommt, massgeschneiderte Produkte zu designen, wenn hohe Gewinnmargen erzielt werden sollen, wie Dell Computer und Levi Strauss aufgezeigt haben. Heute konkurrieren längst nicht mehr einzelne Firmen miteinander, sondern mittlerweile gibt es einen Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Supply-Chain-Netzen, d.h. es konkurrieren Business-Ökosysteme gegeneinander.



Wer ein Projekt im Supply Chain Management startet, sollte jedoch klein anfangen. Erst müssen die Probleme in einem abgegrenzten Rahmen verstanden werden, bevor der grosse Wurf gewagt werden kann. Für ein Unternehmen mit etwa einer Milliarde Euro Umsatz sollte das erste Projekt nicht mehr wie etwa 3 Millionen Euro umfassen (etwa 1 Million Euro für die Software und etwa 2 Millionen Euro an Arbeitskosten). Damit sind SMC-Projekte deutlich günstiger als sogenannte ERP-Installationen, die sehr kostenintensiv sind.




Vom ERP zum SCM

Enterprise Resource Planning (ERP) liefert all die Informationen über die Produkte, Verkäufe, Finanzen und Bestände, auf denen das Supply Chain Management aufbaut, um die Nachfrage vorherzusagen und den Ressourcenfluss innerhalb der Wertkette zu optimieren. Ob eine ERP-Software eine Voraussetzung ist, um SCM-Software zu installieren, hängt von den im Unternehmen vorhandenen Datenbeständen ab. Wer jedoch einen sauberen Informationsfluss im Unternehmen möchte und keine handgestrickten Lösungen bevorzugt, sollte, bevor er sich dem SCM widmet, eine ERP-Software installieren, da durch diese alle Informationen schnell und genau zur Verfügung gestellt werden können. Eine Umfrage unter CIOs in den USA hat aufgezeigt, dass diejenigen, die zuerst eine ERP-Implementierung durchführten, sich mit der Einführung von SCM-Lösungen wesentlich einfacher taten. ERP-Software kann zwar die maximale Kapazität einer Fabrik berechnen und diese mit der Nachfrage abstimmen, aber kann nicht das tagtägliche Geschehen in den Fabriken analysieren. Hierzu benötigt man auf Echtzeit ausgerichtete Anwendungssoftware. Abhilfe können hier integrierte Webdienstleistungen bieten, die Daten von anderen Anwendungen über das Internet austauschen können. SCM wird heute immer mehr als logische Erweiterung von ERP-Systemen gesehen. Dies ist notwendig, da ERP-Systeme stark auf die operative Seite konzentriert sind, wenig Flexibilität aufweisen und auf einer eindimensionalen, sequentiellen Planung beruhen. SCM kann diese Beschränkungen wesentlich wirksamer und kostengünstiger als ERP-Systeme aufheben. Während ERP auf Transaktionen fokussiert ist, ist SCM eher ein Analyse- und Planungs-Tool. Die immer fortschrittlicheren Programme ermöglichen es heute, gleichzeitig unterschiedlichste Randbedingungen zu berücksichtigen, und erhöhen somit die Transparenz der Geschäftsabläufe in Echtzeit. Dieser Trend wurde vor allem durch den Siegeszug des Internet, das Electronic Data Interchange (EDI) sowie das Internetworking (LAN/WAN) forciert. In den letzten Jahren haben wegen der wachsenden Bedeutung von SCM viele ERP-Anbieter Partnerschaften mit SCM-Firmen eingegangen oder diese sogar übernommen, wie z.B. der Aufkauf von Red Pepper Software durch Peoplesoft im Jahr 1996, die Übernahme von CAPS Logistics durch Baan 1998 sowie der Aufkauf von Numetrix durch J. D. Edwards 1999 aufzeigen.





Verzögerte Produktdifferenzierung

Eines der interessantesten Anwendungsgebiete des Denkens in Lieferketten ist die verzögerte Produktdifferenzierung. Normalerweise werden Produkte in der Fabrik den lokalen Marktgegebenheiten angepasst. Bei einer verzögerten Anpassung geschieht dies innerhalb der Verteilungskanäle.



Dadurch wird es möglich, ein Produkt, welches sich beispielsweise in Frankreich gut verkauft, nicht jedoch in Deutschland, nach Frankreich zu liefern und es dort ohne grossen Aufwand an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Die Anforderungen an eine SCM-Software sind heute sehr hoch und können nur von Anbietern erfüllt werden, die sich der zunehmenden Komplexität der Unternehmen und deren Umgebungen bewusst sind. SCM-Software ist oftmals schwer zu durchschauen, da eine Vielzahl von Aufgaben nur noch mit eingebauten Programmen oder Modulen anderer Softwarefirmen gelöst werden kann.




Die Integration unterschiedlichster Software in eine integrale Lösung kann sich jedoch für viele Anbieter zu einem Alptraum entwickeln, wenn die einzelnen Programmteile nicht miteinander interagieren. Die Software für die Planung von Wertschöpfungsketten basiert heute auf anspruchsvollen mathematischen Algorithmen. Damit die Software funktionieren kann, ist sie auf genaue Informationen angewiesen. Dabei kann ein Programm jedoch nur dann exakt arbeiten, wenn die eingegebenen Daten eine hohe Qualität aufweisen. Up-to-date-Informationen über Kundenbestellungen, Daten über die Produktionskapazität oder die Lieferfähigkeit müssen heute permanent abrufbar sein.




Webbasiertes SCM

Die Geschäftsprozesse interagierender Unternehmen sind über ihre Material-, Wert- und Informationsflüsse miteinander verbunden. Wenn konsistente Interfaces existieren, kann der Integrationsaufwand für Anwendungen in einem Unternehmen deutlich vereinfacht werden. Diese Interfaces entstehen heute im World Wide Web. Microsofts .Net-Initiative zielt beispielsweise auf diesen Markt.



Das WWW ermöglicht heute, dass man nahezu von jedem Ort aus die eigene Wertkette mit der von Lieferanten und Kunden im Rahmen eines Business-Netzwerkes verbinden kann. Als Resultat dieser Netzwerke ergibt sich eine höhere Transparenz, von der letztlich alle Marktteilnehmer profitieren können.




Deshalb haben Firmen wie STMicroelectronics eine neue Variante gewählt: Entscheidungen werden nicht gemäss der Beschaffung, sondern gemäss der Kapazitäten getroffen. Wenn immer mehr Webdienstleistungen angeboten werden, wird es einfacher für Unternehmen, unterschiedliche Systeme wie etwa die Produktionskontrolle sowie die Kontrolle der Supply Chain miteinander zu verbinden.



Da das Internet die Nachfrage nach integrierten Lösungen forciert, ist es auch denkbar, dass zukünftig SCM-Lösungen, ERP-Lösungen integrieren, damit die Wertschöpfungskette optimal abgebildet werden kann. Die zukünftigen Herausforderungen von SCM sind es, neue Business-Modelle zu ermöglichen, die Informationen optimal zu integrieren, den Workflow besser zu lenken sowie die Planungsprozesse zu synchronisieren. Firmen wie Saltare, Agile Software und RedKnife setzten von Anfang an voll auf das Web, einen Weg, den mittlerweile auch i2 und Manugistics beschreiten. i2 Rhythm von i2 Technologies ist eines der führenden Supply-Chain-Management-Programme, welches über traditionelle Planungslösungen wie MRP (Manufacturing Resource Planning) und DRP (Distribution Resource Planning) hinausgeht.



Während in den 90er Jahren Hub- und Spoke-Beziehungen zwischen Firmen auf dem Web aufgebaut wurden, geht der neue Trend hin zu Peer-to-Peer-Beziehungen. P2P eröffnet die Chance, dem Kunden noch mehr Nutzen zu liefern, da Prozesse parallel ausgeführt, für alle Teilnehmer gleichzeitig sichtbar sowie mögliche Beschränkungen in den Supply Chains frühzeitig erkannt werden können. Letztlich kann eine Supply Chain nur so wirksam sein wie ihr schwächstes Glied.



Zudem in der Printausgabe: Die Herausforderungen im Supply Chain Management auf einen Blick; Alles über den "Bullwhip-Effekt"



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