David Rosenthal: Das Internet wird reorganisiert
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/30
Nebst allen Eigenschaften, die dem World Wide Web und anderen Internetanwendungen nachgesagt werden, ist dessen Globalität wohl das überragende und besonders faszinierende Merkmal. Der Netzwerkverbund orientiert sich nicht an geographischen Grenzen, sondern am Einzugsgebiet der einzelnen, mitunter weltweit operierenden Provider. Ob ein Server gleich nebenan steht oder am anderen Ende der Welt, kann dem Benutzer gleichgültig sein.
Doch das ist nur die technische Sichtweise, die wirtschaftliche Realität sieht anders aus. In dieser Hinsicht ist das Internet nicht wirklich international. Zwar hat die Globalität des Internet einen wichtigen Beitrag zur Popularität des Netzwerks beigetragen, jedoch auch neue Chancen und Probleme geschaffen. Das Internet ist eine internationale Drehscheibe, die als solche für so manche Probleme gesorgt hat. Die Kollision verschiedener Rechtsordnungen ist nur eines davon. Die Globalität des Internet hat wiederum unseren Horizont erweitert und in einigen Belangen die Welt in der Tat zum Dorf werden lassen.
Das Internet wird trotz allem in Zukunft nicht dafür sorgen, dass in unserer Wirtschaft die Landesgrenzen und Regionen verschwinden werden, nach denen sich viele Consumer- und Business-Märkte ausrichten. Die Prognose ist simpel: Die Märkte werden sich nicht nach dem Internet richten, sondern das Internet nach den Märkten. Mit anderen Worten: Das Internet wird regionalisiert, die bestehenden Marktstrukturen im Internet immer stärker nachgebildet werden. Je mehr Firmen das Internet nutzen, desto stärker wird dies geschehen. Die globalen Marktplätze werden nur einen kleinen Teil der Handelsaktivitäten im Internet ausmachen.
Wohlgemerkt: Es gibt heute schon internationale Märkte, und es werden sich weitere entwickeln. Das war vor dem Internet-Boom so und wird auch danach so bleiben. Auch wird das Internet dies unterstützen. Doch Globalisierung ist nicht gleich Internet, vielmehr ist das Internet ein Faktor im Spiel der Globalisierung. Selbstverständlich hat die Entwicklung des Internets in manchen Märkten auch für den einen oder anderen zusätzlichen ausländischen Konkurrenten gesorgt, den es bisher nicht gab. Amazon ist ein Beispiel dafür. Doch der kleine Buchhändler oder CD-Shop in der Schweiz wird nicht durch Amazon bedroht, sondern durch grosse Anbieter, die ebenfalls in der Schweiz und Umgebung tätig sind. Das Internet als Handelskanal ist in diesem und den meisten anderen Märkten zu einem Faktor von vielen reduziert worden. Und das zurecht. Das Internet mag sich zwar durch Landesgrenzen nicht aufhalten lassen, doch auch Sprache, Kultur und Kaufgewohnheiten bilden im Consumer-Geschäft Marktbarrieren - und diese hat das Internet nicht oder nur in bestimmten Kreisen überwinden können - und wird es auch nicht.
Die Regionalisierung des Internet ist auf den ersten Blick ein Widerspruch. Zwar kommt auch in vielen Unternehmensstrategien dem Internet noch die Rolle der globalen Bühne zu, doch die Regionalisierung des Internet hat schon längst begonnen. Grössere Inhaltsanbieter setzen heute zur Verteilung der Surferlast auf weltweit verteilte Server-Farmen von Firmen wie Akamai. Der nächste Schritt ist mancherorts auch schon getan: Statt auf all diesen Servern dieselben Inhalte anzubieten, können Content und Service je nach Region variiert werden, was eine effizientere, differenziertere und zielgenauere Marktbearbeitung erlaubt.
Auch rechtlich bringt die Regionalisierung nur Vorteile: Angebote können an die einzelnen Rechtsordnungen angepasst werden. Haftungsrisiken können minimiert werden. Und in regulierten Branchen und Bereichen können durch eine Regionalisierung von Angeboten die Möglichkeiten, die das Gesetz erlaubt und die von Region zu Region variieren, besser ausgenutzt werden. Hinzu kommt die lizenzrechtliche Perspektive, die im Content-lastigen Internet immer wichtiger wird: Wer für Inhalte in einem bestimmten Land Rechte exklusiv erwirbt, will nicht, dass diese durch Angebote aus anderen Ländern geschmälert werden. Auch ermöglicht Regionalisierung schliesslich unterschiedliche Preise und Produkte. Das zeigt, dass Regionalisierung durchaus im Interesse der Wirtschaft sein kann. Sie entspricht auch dem Verhalten der Konsumenten, Globalisierung hin oder her.