«Outsourcing hört man bei Calida nicht gerne»

Seit Juli ist Claude Gerber als Head of IT bei Calida tätig. Im Gespräch mit dem Swiss IT Magazine zieht er ein erstes Fazit und spricht über anstehende Projekte und Ambitionen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2010/10

     

Swiss IT Magazine: Seit Juli sind Sie als Head of IT bei Calida tätig. Welche Bilanz ziehen Sie nach zwei Monaten?
Ich finde meine Tätigkeit als Head of IT und Geschäftsleitungsmitglied spannend. Calida ist eine angenehme Firma mit gutem Klima und einer funktionierenden Umgebung. Nichtsdestotrotz gibt es Herausforderungen und Projekte, die in der Pipeline stehen oder zum Teil bereits angelaufen sind. Es gilt nun, die Projekte in der richtigen Reihenfolge umzusetzen. Zudem muss ich die IT-technischen Leitplanken für die nächsten sechs Jahre setzen – immer in Abstimmung mit dem Business. Danach entwickeln wir eine Roadmap und formen daraus kleine, umsetzbare Pakete.


Welche Projekte haben Sie bereits in Angriff genommen?
Das Calida-Geschäft besteht aus zwei Hauptabsatzkanälen: zum einen Fachhändler sowie Warenhäuser und zum anderen Retail, also unsere eigenen Stores. Momentan haben wir europaweit etwa 130 Filialen. Retail ist ein zukunftsgerichteter Absatzkanal und wird momentan stark gefördert. Um diesen Kanal optimal zu unterstützen, führen wir SAP for Retail ECC 6.0 ein. Aktuell befinden wir uns bei diesem Projekt in der Blueprint-Phase.


Wieso muss das alte Retail-System weichen?
Als das Retail-Business dazumal aufgebaut wurde, hat man nach einer günstigen Lösung gesucht, die man schon hatte, und hat das Retail-Geschäft daher mit VMS abgebildet. Für einen Prototypen war das gar nicht so schlecht. Der Bereich Retail ist aber stark und schnell gewachsen, weshalb die bestehende Lösung den Anforderungen nicht mehr genügte.

Wieso die Entscheidung für SAP?
Unsere Anforderungen sind vielfältig. So muss das Produkt international, insbesondere auch für unsere Tochtergesellschaft Aubade, erhältlich und anwendbar sein. Ausserdem spielen Mehrsprachigkeit, die Verfügbarkeit und die Stabilität eine wichtige Rolle. Zudem sollte ein Produkt, das den Hauptabsatzkanal unterstützt, eine Lebensdauer von sieben bis zehn Jahren haben. Wir sind darauf angewiesen, dass es den Hersteller in vier Jahren noch gibt. Ausserdem haben wir im Kerngeschäft bereits SAP AFS im Einsatz, mit dem wir den Wholesale-Bereich sowie das Controlling und die Buchhaltung abbilden.


Welche weiteren Projekte stehen an?
Das Hauptprojekt ist die Erstellung einer neuen IT-Strategie. Es geht darum, die verschiedenen Aspekte unserer IT auszuleuchten. Zudem müssen wir die Architektur des Systems definieren und festlegen, wie wir fortfahren und uns entwickeln wollen.


Was ist der Grund für den Strategiewechsel?
Die bisherige Strategie hat ihren Zweck erfüllt, aber das Business hat sich verändert. Die Firma wächst. Wir brauchen stabilere und höher verfügbare Systeme, die wir auf Standards zurückführen können. Das haben wir momentan nicht unbedingt. Wir müssen die applikatorische und technische Systemlandschaft so aufstellen, dass wir das Wachstum von Calida unterstützen können. Die IT darf kein Wachstumsbremser sein.


Welche weiteren Systeme und Applikationen hat Calida im Einsatz?
Auf technischer Seite sind das etwa 50 HP-EVA-4000-Server mit rund 12 Terabyte Storage. Zudem setzen wir Oracle- und Microsoft-SQL-Datenbanken ein. Client-seitig setzen wir auf Windows XP, auf HP-Workstations und IBM-Notebooks. In den Stores stehen IBM-Kassen mit Höltl-Software. Die Kassen werden hier zentral aufgesetzt, der Support erfolgt durch externe Partner vor Ort.

Setzen Sie auch auf Eigenentwicklungen?
Nein, zumindest nicht komplett. Wir ent-wickeln zum Beispiel gewisse Dinge in SAP weiter, um unsere Prozesse besser zu unterstützen. Dies vor allem im Kerngeschäft, wo es Calida-Eigenheiten betrifft. Eine generelle Entwicklung haben wir aber nicht. Das ist so in der bestehenden und in der neuen Strategie verankert.
Wir setzen auf Standard-Software-Applika-tionen und versuchen, releasefähig zu bleiben und nur dort Anpassungen vorzunehmen, wo es wirklich sinnvoll ist.


Wieso setzen Sie auf Standardapplikationen?
Damit wir branchenübliche Lösungen einsetzen können und um die Wartbarkeit zu gewährleisten. Zudem können die Systeme so kostengünstig und effizient betrieben werden. Je mehr Eigenentwicklungen man im Einsatz hat, desto mehr nimmt das System einen eigenen Charakter an. Release-Wechsel, Testarbeit und Integrationsszenarien werden aufwendiger. Es ist in unserer heterogenen Umgebung nicht sinnvoll, Sachen zu machen, die nicht von gängigen Plattformen unterstützt werden.


Wie viele Mitarbeiter hat die IT-Abteilung?
In der Calida-Gruppe – dazu gehören Calida und die französische Luxus-Lingerie-Marke Aubade – haben wir 22 IT-Mitarbeiter. Am Hauptsitz in Sursee arbeiten 16 Angestellte in der IT, der Rest ist in Paris und Ungarn. Wir wollen so viel wie möglich zentral machen und nur dort, wo es sinnvoll ist, dezentral arbeiten. So werden zum Beispiel die lokalen Clients und Datenapplikationen vor Ort betrieben. Bei SAP, dem Webauftritt und dem B2C-Shop verfolgen wir hingegen einen zentralen Ansatz.


Wie läuft die Zusammenarbeit mit den sechs IT-Leuten, die nicht am Hauptsitz arbeiten?
Wir treffen uns ab und zu, vor allem in Budget- und Planungsphasen. Momentan ist durch die Einführung von SAP for Retail eine enge Zusammenarbeit zwingend. So lerne ich auch gleich die Leute kennen.

Sind Sie mit der IT-Mitarbeiterzahl zufrieden?
Ich möchte die Mitarbeiterzahl halten können. Allerdings strebe ich aufgrund der anstehenden Projekte eine gewisse Verlagerung an. Wir müssen uns mehr auf zukünftige Aufgaben mit neuen Technologien und Prozessen fokussieren. Durch stabilere Umgebungen können wir mit derselben Anzahl Mitarbeiter Ressourcen freilegen und diese dazu nutzen, vermehrt wieder Innovationen in unsere IT-Abteilung zu bringen.


Müssen die Mitarbeiter auf Grund der Verlagerungen umgeschult werden?
Wir haben eine gute Truppe im Einsatz und decken ein breites Spektrum ab. In der Informatik muss man immer wieder neue Produkte kennenlernen. Meist geschieht dieses Training on the project oder on the job. Wir wollen Topleute, und diese brauchen interessante Aufgaben – also nicht nur Monitoring und Operating. Klar haben wir ein Tages-geschäft. Dieses sollte aber nicht mehr als 50 Prozent ausmachen. Die restliche Kapazität sollte freistehen, um zum einen Informatikprozesse und Systeme und zum anderen Businessprozesse und Anwender weiterzubringen. Dorthin will ich die Calida-IT wieder bringen.


Mit welchen Ambitionen sind Sie zu Calida gekommen?
Ich arbeite gerne in Firmen, in denen es darum geht, stabile, betriebswirtschaftlich sinnvolle Plattformen zu betreiben. Ich will aber nicht auf der bestehenden Lösung sitzenbleiben, sondern sie ausbauen und weiterent-wickeln. Calida ist einem ständigen Marktwandel unterworfen, bietet also ein dynamisches Umfeld für IT-Applikationen.
Zudem stehen viele spannende Projekte in der Pipeline. So sollen das bestehende SAP abgelöst und das Website-Hosting im B2C-Bereich überarbeitet werden. Im Infrastrukturbereich haben wir zwar eine stabile Umgebung, die aber noch auf Windows 2003 basiert. Hier wollen wir in den nächsten Monaten erhebliche Schritte nach vorne machen und die Infrastruktur auf den neuesten Stand bringen.

Sie führen also Windows Server 2008 ein?
Auf der Server-Seite führen wir Windows Server 2008 R2 ein und auf der Client-Seite Windows 7. Das Ganze soll zudem auf einer virtuellen Umgebung betrieben werden. Momentan sind erst gewisse Teile virtualisiert. Künftig wollen wir konsequent auf Server- und Client-Virtualisierung setzen.


Auf welchen Hersteller setzen Sie bei der Virtualisierung?

Da haben wir VMware vSphere ESX-Server im Einsatz. Es geht darum, die technische Plattform hinter den Applikationen voranzutreiben, up-to-date zu halten und schlanker zu betreiben. Ein weiterer Punkt ist die Anbindung unserer Produktionen in Ungarn und Tunesien sowie der Aussendienstmitarbeiter über den Citrix Terminal Server.


Mit was lösen Sie das bestehende SAP ab?
Das steht noch nicht fest. Die Tendenz geht aber in Richtung SAP, damit wir dieses System auf dieselbe Basis wie den Retail-Bereich stellen. Fix ist aber noch nichts. Wir werden uns sicher die Zeit nehmen und eine Evaluation machen.


Die Evaluationsphase ist noch nicht gestartet?
Nein, momentan steht SAP for Retail im Zentrum. Dort wollen wir im Oktober mit der Umsetzung und Implementierung beginnen. Am 1. Juli 2011 wird das Going-Live angestrebt. Anschliessend wird dann das SAP-Ablösungsprojekt gestartet.


Arbeiten Sie generell mit externen Partnern zusammen?
Ja. Unser Ziel ist es, Kernwissen wie Prozess-
oder Calida-Wissen inhouse zu haben. Aber dort, wo wir nicht weiterkommen, haben wir Partner. Namen möchte ich aber keine nennen, da ich nicht werten möchte.

Ist Outsourcing auch ein Thema bei Calida?
Outsourcing ist ein Wort, das man bei Calida nicht gerne hört. Calida hatte Anfang 2000 die gesamte Informatik ausgelagert. Das war nicht gerade ein Erfolgsprojekt. Nach rund vier Jahren hat man das Outsourcing daher aufgegeben und die eigene IT intern wieder komplett aufgebaut. Momentan ist nichts ausgelagert. Ich bin aber der Meinung, dass ein selektives Outsourcing, beispielsweise beim Basisbetrieb eines SAP, durchaus Sinn macht. Ein ganzheitliches Outsourcing kommt aber nicht in Frage.


An wen hatte Calida dazumal ausgelagert?
Das war ein bekanntes Unternehmen mit Sitz in der Schweiz.


Wie sieht das IT-Budget aus?
Die Budgets für 2009 und 2010 waren etwa gleich. Für 2011 sind wir momentan in der Planung. Das Budget wird um den Betrag der SAP-Einführung höher sein als sonst. Damit bewegen wir uns im Rahmen von branchenüblichen Kennzahlen, also irgendwo unter 3 Prozent und deutlich über 2 Prozent des Umsatzes. Das finde ich vernünftig.


Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen IT und Business aus?
Für mich scheitern diejenigen IT-Abteilungen, die dem Business sagen, wie das Business zu funktionieren hat. Die IT darf keine Restrik-tionen vorgeben, sondern muss das Business unterstützen. Das Business gibt vor, wie viel die IT kosten darf. In diesem Kostenrahmen bildet die IT die benötigten Prozesse ab. Ich brauche keine Entwickler, die im dunklen Kämmerchen arbeiten. Ich brauche Leute, die zwar ein technisches Verständnis haben und selbständig operieren. Meine Mitarbeiter sollen jede Aufgabe als kleines Projekt anschauen und innerhalb dieses Projekts sind sie dann für den gesamten Prozess verantwortlich. IT diktiert Business gibt es bei uns nicht. IT und Business gehören und arbeiten zusammen.


Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Ich hoffe, dass wir dann die in der Strategie festgelegten Eckpunkte grösstenteils umsetzen konnten und über eine Topinfrastruktur mit einem guten Team verfügen. Das, was zählt, ist die gefühlte Wahrnehmung des Managements: Wir haben wirklich Fortschritte gemacht, die IT ist kein Thema, sie läuft und unterstützt das Business. Wenn das in fünf Jahren erreicht ist, dann bin ich zufrieden.

(abr)


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