Nahezu Patt: Dreamweaver vs. Expression Web

Die jahrelang unangefochtene Referenz für professionelle Webeditoren bekommt Konkurrenz: Microsofts Expression Web muss sich in vielen Punkten nicht vor Dreamweaver CS3 verstecken.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/13

     

Für Webdesigner, die nicht sowieso auf einen reinen Texteditor setzen, gab es seit Jahren eigentlich keine Alternative zu Dreamweaver. Das mittlerweile bejahrte Programm, ursprünglich von Macromedia entwickelt und mittlerweile in Adobes Creative Suite integriert, kommt fast gleichzeitig mit dem ersten ernsthaften Mitbewerber in einer neuen Version auf den Markt.


Microsoft hatte mit Frontpage zwar viel Erfolg bei Privaten und KMU, die mal rasch eine Homepage zusammenschustern wollten. Seriöse Webprofis dagegen rümpften wegen mangelhafter Unterstützung für Standards und ganz allgemein wegen des Amateur-Image der Software meist die Nase, wenn von Frontpage die Rede war.



Dies soll sich mit Expression Web ändern. Das Fazit gleich vorweg: Abgesehen von der naturgemässen Fixierung auf die Windows-Plattform – eine Mac-Version gibt es nicht und wird es wohl auch nie geben, und der Support für serverseitiges Scripting beschränkt sich auf ASP.NET – ist den Redmondern mit dem neuen Webeditor ein ziemlich grosser Wurf gelungen. Expression Web ist alles andere als ein leicht umgestaltetes und umbenanntes «Frontpage 2007». Adobe hält zwar mit der neuen Dreamweaver-Ausgabe problemlos mit, verliert aber zumindest für Windows-zentrierte Webdesigner seine bisherige Exklusivposition.


Standards sind Trumpf

Beide Produkte legen höchsten Wert auf die aktuellen Webstandards. Beim Anlegen einer neuen Webseite bieten Dreamweaver CS3 und Expression Web nur die Wahl zwischen verschiedenen Ausprägungen von HTML 4.01 und XHTML 1.0. Man gerät so erst gar nicht in Versuchung, auf eine ältere HTML-Variante zurückzugreifen.
Mit der Auswahl des Dokumententyps ist es aber nicht getan: Ein modernes Seitenlayout basiert auf CSS 2.1, alles andere ist von gestern. Zwar bieten beide Programme nach wie vor die Möglichkeit, beim Layout mit Tabellen zu arbeiten. Expression Web kennt sogar explizit den Begriff der «Layout-Tabelle» und stellt entsprechende Tools bereit. Schon beim Erstellen einer Seite wird aber optional auch ein CSS-basiertes Layout-Gerüst generiert.





Dabei gehen die Programme etwas unterschiedlich vor: Expression Web stellt neun Layout-Varianten zur Wahl und erzeugt den passenden CSS-Code ohne jeden Kommentar in einem separaten File. Dreamweaver protzt mit 32 Vorlagen in verschiedensten Kombinationen von fixen und elastischen Layouts mit fliessenden oder absolut positionierten Elementen. Der CSS-Code wird wahlweise in den Header der HTML-Seite, eine bestehende oder eine neue CSS-Datei geschrieben. Er ist ausgiebig kommentiert und mit nützlichen Tips angereichert – je nach Situation ein Vor- oder Nachteil: Für eine gute Übersicht empfiehlt es sich, die doch recht länglichen Anmerkungen nach der Kenntnisnahme wieder zu löschen.




Unterschiedlich erfolgt auch die Code-Validierung. Expression Web zeigt in der Code-Ansicht allfällige Fehler laufend an, und zwar im Office-Stil: Unkorrekte Stellen werden mit einer roten Schlangenlinie unterlegt. Bei Dreamweaver wird die Validierung mit dem Menübefehl «Überprüfen/Markup» im Datei-Menü angestossen. Beide Programme bieten über den reinen Syntax-Check hinaus diverse Berichte zur Browserkompatbilität und Barrierefreiheit der erstellten Inhalte.
Die Aufmerksamkeit gegenüber Standards und Accessibility-Richtlinien zeigt sich im Vergleich zu älteren Webeditoren auch in zahlreichen Details. Wenn zum Beispiel als Schriftstil «Fett» eingestellt wird, generieren sowohl Dreamweaver als auch Expression Web strukturell sinnvoll ein < strong >-Tag statt des früher üblichen < font >-Befehls, und beide Programme fordern beim Einfügen eines Bildes korrekt zur Eingabe des alt-Attributs auf.


Server-side Scripting mit Unterschieden

Beim Support für serverseitige Scriptsprachen und Ausführungsumgebungen zeigt sich die Herkunft von Expression Web deutlich: Das Produkt unterstützt ausschliesslich die Microsoft-eigene Technik ASP.NET, und zwar in Version 2.0. Die Toolbox des Programms, aus der sich Elemente per Drag&Drop auf die Seite ziehen lassen, bietet dazu neben den gängigen HTML-Entities auch die Standard-Controls sowie Controls für Datenanbindung, Validierung, Benutzeranmeldung und Navigation sowie diverse Webparts. Bei der ersten Vorschau einer Seite mit ASP.NET-Elementen wird ausserdem automatisch ein lokaler Webserver gestartet.



JSP, PHP und ColdFusion unterstützt Expression Web nicht direkt. Hier hat Dreamweaver die Nase vorn – wenn auch teilweise nur rudimentär. Die PHP-Unterstützung zum Beispiel geht auch in der neuesten Version nicht wesentlich über die automatische Ergänzung des Filenamens mit dem PHP-Suffix, Code-Highlighting in Farbe sowie die Möglichkeit hinaus, für die Seitenvorschau einen entsprechend ausgerüsteten Webserver zu definieren. Die Testumgebung muss aber in jedem Fall selbst aufgesetzt werden. ASP.NET unterstützt Dreamweaver CS3 nur in Version 1.1. Für JSP und vor allem für den Adobe-eigenen Cold­Fusion-Server steht etwas weitergehende Funktionalität zur Formularverarbeitung bereit.


Dreamweaver: AJAX inklusive

In einem Bereich kann Dreamweaver im Vergleich zur Microsoft-Konkurrenz klar punkten: In der neuesten Version ist nämlich die clientseitige AJAX-Library Spry enthalten, die von Adobe unter Zuhilfenahme von Elementen aus dem script.aculo.us-Framework entwickelt wurde. Zusätzlich zu den schon bisher vorhandenen Javascript-Behaviors lassen sich nun Spry-basierte AJAX-Widgets mit einigen Mausklicks in eine Webseite einbinden und optional dynamisch mit Daten aus XML-Quellen und Datenbanken befüllen. Ausserdem lassen sich Seitenelemente mit visuellen Spry-Effekten anreichern – ein Bild blendet dann zum Beispiel sanft aus, wenn es angeklickt wird. Eine vergleichbare integrierte Ready-Made-Funktionalität sucht man in Expression Web vergebens.


Plattform und Integration

Expression Web ist Teil von Microsofts neuer Design-Suite Expression Studio. Die Oberfläche erinnert stark an den Sharepoint Designer und an die Programmiertools des Herstellers. Benutzer dieser Werkzeuge dürften sich rasch zuhause fühlen. Auch Frontpage-Umsteiger müssen ihre bisherigen Kenntnisse nicht völlig umkrempeln. Expression Web ist ein relativ nüchtern gehaltenes Tool, das sich sowohl an HTML-Designer als auch an Webentwickler richtet.





Die Grafik- und Oberflächen­designprodukte Expression Design und Expression Blend sind dagegen in einem völlig anderen, gestylten Look mit dunklem Hintergrund gehalten, der mehr an Office 2007 als an die Visual-Studio-Linie erinnert. Auch funktional besteht keine sehr enge Integration zwischen Expression Web einerseits und Blend und Design auf der anderen Seite. Selbstverständlich lassen sich mit Design erstellte Elemente oder Silverlight-konforme Inhalte aus Blend in Expression Web in eine HTML-Seite einbetten. Direktes In-Place-Editing, wie die neue Dreamweaver-Version es zum Beispiel für eingesetzte Bilder bietet, scheint die Expression-Suite nicht zu kennen.



Bei der Installation fällt zudem auf, dass die verschiedenen Teile der Suite auf unterschiedliche Technologie setzen: Für Expression Web muss das .NET-Framework 2.0 installiert werden, Expression Blend verlangt nach Version 3.0. Geradezu pikanterweise versteht sich Expression Web dafür in einem besonderen Aspekt bestens mit Dreamweaver: Templates im dwt-Format lassen sich inklusive der definierten editier- und nichteditierbaren Regionen zwischen den beiden Editoren austauschen, so dass sich eine in Dreamweaver auf Basis von Templates erstellte Website problemlos in Expression Web importieren und weiterbearbeiten lässt – oder umgekehrt.




Das ehemalige Macromedia-Produkt Dreamweaver hat sich in Version CS3 sowohl funktional als auch von der Oberfläche her gut in die Gesamtsuite integriert. Bilder und eingebettete Flash-Elemente lassen sich mit einem Mausklick direkt in der Ursprungsanwendung editieren; nach dem Sichern erscheint unter Dreamweaver dann automatisch die geänderte Version. Dreamweaver CS3 bietet ausserdem sogar eine integrierte einfache Bildbearbeitung: Im Eigenschaften-Dialog für Bilder finden sich neben dem Button zum Wechsel nach Photoshop auch Buttons zum Beschneiden, Schärfen und zur Grössenänderung sowie zum Einstellen von Optimierung, Helligkeit und Kontrast des aktuellen Bildes.


Fazit: Die Qual der Wahl

Sowohl Dreamweaver CS3 als auch Expression Web eignen sich zur Gestaltung moderner Webpräsenzen im professionellen Umfeld. In weiten Teilen sind die Ähnlichkeiten grösser als die Unterschiede: Beide Programme bieten einen visuellen Gestaltungsmodus und eine Code-Ansicht, die sich auf Wunsch im gleichen Fenster kombinieren lassen. Webstandards werden unter Verzicht auf veraltete Normen umfassend unterstützt und im visuellen Gestaltungsmodus dem Benutzer sanft nahegelegt. Tools zur Site-Verwaltung gehören bei beiden Produkten ebenso zum Funktionsumfang wie umfassendes Suchen und Ersetzen, Validierung und Prüfung auf Browserkompatibilität und Barrierefreiheit.



Die Wahl zwischen den beiden Produkten ist nicht zuletzt eine Geschmacks- und Preisfrage: Dreamweaver CS3 ist mit einem offiziellen Preis von 779 Franken deutlich teurer als Expression Web, das in Schweizer Shops ab knapp 600 Franken zu haben ist. Entscheidender dürften aber das geplante Einsatzgebiet und die Systemplattform sein, auf der man arbeitet.
Wer HTML und CSS für Webanwendungen in einem Microsoft-orientierten Team erstellt, fährt mit Expression Web klar besser – vor allem, wenn ASP.NET 2.0 gefragt ist, wo Dreamweaver nichts zu bieten hat. Ebenso unkompliziert haben es Mac-Anwender: Expression Web gibt es schlicht und einfach nur für Windows, eine Mac-Version ist laut Aussage des zuständigen Microsoft-Managers Somar Somasegar nicht geplant. Auf der in Kreativ-Kreisen nach wie vor sehr verbreiteten Mac-Plattform kommt also nur Dreamweaver in Frage, ausser man macht den Umweg über eine virtualisierte Windows-Maschine. Insgesamt hat Dreamweaver CS3 deshalb einen leichten Vorsprung.





Vergleichstest: Web-Editoren

(ubi)


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