cnt
Nichts geht ohne KI: Wie KI-Agenten die KMU erobern
Quelle: Depositphotos

Nichts geht ohne KI: Wie KI-Agenten die KMU erobern

Künstliche Intelligenz erlebt einen Kultursprung. Was früher Chatbots und Automatisierungen waren, wird heute zu digitalen Teammitgliedern. Diese neue Generation von KI handelt innerhalb eines Rollenprofils, das ihnen Freiraum für intelligente Entscheidungen gibt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2025/12

     

Laut aktuellen Zahlen von Microsoft zählt die Schweiz weltweit zu den Vorreitern beim Einsatz von KI-Agenten. Bereits 52 Prozent der Unternehmen nutzen entsprechende Systeme – deutlich mehr als im globalen Durchschnitt von 46 Prozent. Besonders bemerkenswert ist der Blick nach vorne: Rund 72 Prozent der Schweizer Führungskräfte planen, KI-Agenten spätestens bis 2027 offiziell als digitale Teammitglieder in ihre Organigramme aufzunehmen. Auch andere Studien bestätigen diese Entwicklung. So zeigt die aktuelle Axa-Analyse, dass bereits 34 Prozent der Schweizer KMU KI konkret in ihren Geschäftsalltag integriert haben.

Parallel dazu hat sich die Stimmung gegenüber der Technologie in den vergangenen Jahren spürbar verändert. Fast die Hälfte der befragten KMU – genau 45 Prozent – sieht KI inzwischen klar als Chance, während die Skepsis gegenüber den neuen Möglichkeiten deutlich gesunken ist und nur noch 13 Prozent der Unternehmen zurückhaltend reagieren. Entscheidend dafür dürften die Erfahrungen aus der Praxis sein: 57 Prozent der Unternehmen berichten von spürbaren Effizienzgewinnen und relevanter Zeitersparnis im Tagesgeschäft. Gleichzeitig zeigt sich, dass der Einsatz von KI entgegen vielen Befürchtungen kaum zu Jobabbau führt. Lediglich zwei Prozent der KMU mussten Stellen reduzieren, während zehn Prozent durch KI sogar neue Rollen geschaffen haben.


Trotz dieser positiven Entwicklung besteht jedoch weiterhin Handlungsbedarf. Nur rund jedes dritte KMU verfügt über klare Richtlinien zum Umgang mit sensiblen Daten in KI-Tools. Bei sehr kleinen Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden ist der Wert noch niedriger und liegt bei lediglich 23 Prozent. Der Bedarf nach verbindlicher Governance und strukturierten Leitplanken wächst damit ebenso schnell wie der Einsatz der Technologie selbst.

Praktische Anwendungen und reale Beispiele

Die Einführung von Künstlicher Intelligenz lässt sich anschaulich anhand der verschiedenen Perspektiven am Arbeitsplatz erläutern. Unabhängig von der jeweiligen Position oder Unternehmensform ergeben sich für alle Beteiligten die Betrachtungsebenen «Ich», «Wir» und «Alle». Die «Ich»-Perspektive fokussiert auf das persönliche Selbstmanagement. Im Hinblick auf den Einsatz von KI und Agenten bedeutet dies insbesondere die Nutzung individueller Werkzeuge im Arbeitsalltag wie ChatGPT, Gemini, Claude, Copilot oder Perplexity. Die Entscheidung für ein bestimmtes Tool sowie die Art der mit ihm geführten Interaktionen sind inzwischen zu einer sehr persönlichen Angelegenheit geworden.

Auch innerhalb dieser Perspektive steht bereits die Nutzung von Agenten offen – seien es deklarative Agenten, die als Vorlagen für wiederkehrende Aufgaben dienen und die Eingabe gleicher Prompts überflüssig machen, oder solche, die eigenständig Aktivitäten ausführen. Ein vollautonomer Agent übernimmt hier nicht nur kleine Aufgaben, sondern koordiniert aktiv den persönlichen Arbeitsalltag. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Social- beziehungsweise Kommunikationsagent, der für Backoffice-Rollen besonders relevant sein kann. Dieser Agent erstellt automatisiert Linkedin-Posts, formuliert interne News, schreibt Offerten-Begleittexte oder bereitet Onboarding-Checklisten vor – alles in der Tonalität, dem Branding und der Informationslage des Unternehmens.


Konkret könnte das im Backoffice so aussehen: «Für die Offerte an Kunde Müller habe ich einen passenden Einleitungstext erstellt und direkt in das Dokument eingefügt. Zusätzlich habe ich dir den Linkedin-Beitrag vorbereitet, der die neue Dienstleistung kurz und verständlich erklärt. Möchtest du, dass ich ihn für Freitagmorgen einplane?»

Damit wird KI nicht nur ein Werkzeug zum Nachschlagen oder schnellen Schreiben, sondern eine aktive kommunikative Unterstützung, die den persönlichen Arbeitsalltag deutlich entlastet und gleichzeitig die Qualität der internen und externen Kommunikation verbessert.

Wenn wir die Perspektive «Alle» betrachten, beziehen sich diese häufig auf unterstützende Prozesse innerhalb eines Unternehmens wie HR, Marketing, ICT oder Facility Management. Solche Abläufe lassen sich oft rasch durch KI und Agenten optimieren. Ein Beispiel hierfür ist ein Onboarding-Agent, der neuen Mitarbeitenden den Einstieg erleichtert, sie mit relevanten Informationen versorgt und aktiv unterstützt – etwa indem er an die Teilnahme an einer Sicherheitsschulung erinnert oder zur späteren Umfrage auffordert. Ein weiteres Beispiel wäre ein FAQ-Bot beziehungsweise ein interner Knowledge-Bot, der sämtliche internen Abläufe und Informationen enthält. Diese können dann in Chat-Interaktionen abgefragt werden; zudem lassen sich Fragen direkt beantworten, bestimmte Aktionen direkt auslösen oder auch durch den Agenten initiieren.

Ein besonders anschauliches Beispiel ist das Vertragsmanagement, ein Themenfeld, das viele KMU stark entlasten kann. Ein sogenannter Vertragsagent übernimmt dabei nicht nur die klassischen Erinnerungsfunktionen – etwa für Kündigungsfristen oder Verlängerungsoptionen –, sondern wird zu einem aktiven Prozessbegleiter. Nach einer Anfrage kann er automatisch die relevanten Informationen eines Vertrags extrahieren, die richtigen Werte aktualisieren und direkt in der zentralen Vertragsablage hinterlegen. Er stellt sicher, dass Termine eingehalten, Beträge korrekt gepflegt und Dokumente sauber abgelegt sind. Damit werden nicht nur Fehler reduziert, sondern auch viele manuelle Tätigkeiten, die heute typischerweise im Backoffice oder in der Administration anfallen, elegant automatisiert.

Bei der Betrachtung aus einer «Wir»-Perspektive stehen häufig die zentralen Geschäftsprozesse im Fokus, die je nach Branche variieren. In Produktionsbetrieben, wie zum Beispiel bei einem Müeslihersteller, bilden der Verpackungsprozess, die Qualitätssicherung und die Planung drei der wichtigsten Kernprozesse ab. Hier stellt sich die Frage, inwiefern diese Abläufe durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz neu gestaltet oder optimiert werden können – etwa durch die Integration einzelner oder mehrerer Agenten in den Produktionsfluss.

So könnte ein Qualitätssicherungs-­Agent während der Produktion kontinuierlich Sensordaten, Temperaturwerte und Kameraaufnahmen auswerten, Unregelmässigkeiten automatisch erkennen und die Mitarbeitenden sofort über mögliche Abweichungen informieren, noch bevor ein Batch fehlerhaft wird. Ein ­anderer Agent – ein Planungs- und Logistikagent – könnte auf Basis von Bestellhistorien, Lagerbeständen und saisonalen Trends automatisch Produktionsmengen vorschlagen, Rüstzeiten optimieren oder sogar Schichtpläne für die Mitarbeitenden anpassen. Selbst im Verpackungsprozess lassen sich Potenziale nutzen: Ein Verpackungsagent kann in Echtzeit erkennen, wenn ein Förderband blockiert ist oder ein Etikettierungsfehler auftritt, und automatisch einen kurzen Stopp oder einen Service­ticket-Vorschlag auslösen.

Auf diese Weise werden bestehende Produktionsprozesse nicht nur digital unterstützt, sondern schrittweise intelligenter, resilienter und vorausschauender gestaltet.

In einem kleinen oder mittelständischen Unternehmen mit Schwerpunkt auf ökologischer Teilereinigung könnte ein Agent besonders im Bereich der Maschinenwartung eingesetzt werden. Er unterstützt die Techniker, indem er während der Wartung automatisch die relevanten Informationen aus Handbüchern, Servicehistorien oder Fehlermeldungen bereitstellt und gleichzeitig die Terminierung kommender Wartungsintervalle koordiniert. Das ist ein erster, sehr praxisnaher Einsatz. In einem nächsten Schritt sollen die Prozesse jedoch systematisch weiterentwickelt werden – mit dem Ziel, dass Agenten zunehmend proaktiv handeln, zum Beispiel selbstständig auf Unregelmässigkeiten reagieren, passende Lösungen vorschlagen oder direkt Serviceanfragen auslösen. Langfristig sollen diese Agenten in der Lage sein, Aufgaben eigenständig und zielgerichtet auszuführen – in einer Weise, die dem menschlichen Handeln immer näherkommt.

Verantwortung, Transparenz und Anschlussfähigkeit

Die technologische Dynamik macht es erforderlich, Raum für Innovation zu lassen und gleichzeitig rechtliche sowie ethische Leitplanken zu setzen. In der Schweiz existiert bisher kein umfassendes KI-Gesetz. Der Bundesrat entschied im Februar 2025, die Konvention des Europarats zu künstlicher Intelligenz zu ratifizieren, diese ins Schweizer Recht einzufügen und erforderliche Gesetzesanpassungen sektorspezifisch vorzunehmen. Ziel ist es, den Innovationsstandort Schweiz zu stärken, die Wirtschaftsfreiheit zu schützen und das Vertrauen der Bevölkerung in KI zu festigen. Sektorübergreifende Regulierung soll sich auf zentrale, grundrechtsbezogene Bereiche wie Datenschutz, Transparenz, Nichtdiskriminierung und Aufsicht beschränken, während branchenspezifische Regelwerke die jeweils besonderen Risiken adressieren. Damit trägt die Schweiz der internationalen Entwicklung Rechnung: Der EU AI Act, der ab 2026 gilt, setzt einen risikobasierten Ansatz durch, bei dem unzulässige KI-Praktiken (z. B. Social Scoring, biometrische Echtzeitüberwachung) vollständig verboten und Hochrisiko-Systeme streng reguliert werden. Schweiz und EU stehen in engem Austausch, um die Kompatibilität zu sichern; Schweizer KMU, die auf dem EU-Markt tätig sind, müssen die EU-Vorgaben erfüllen, insbesondere bei Rekrutierungstools oder Finanzprodukten. Der Schweizer Ansatz erlaubt Flexibilität und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen, ersetzt aber nicht die Notwendigkeit klarer strategischer Vorgaben und Compliance-­Richtlinien für KMU.

Der Weg zum Erfolg: Strategie, Daten und ein sauberer Start

Damit der Einsatz von KI-Agenten in einem KMU nicht nur technisch funktioniert, sondern auch echten Mehrwert schafft, braucht es eine klare Vorgehensweise. Ein bewährter Ansatz ist die Arbeit mit den drei Perspektiven «Ich», «Wir» und «Alle». Sie helfen, das Thema sinnvoll zu strukturieren und Prioritäten zu setzen: Wo profitieren einzelne Mitarbeitende sofort? Welche unterstützenden Prozesse lassen sich rasch verbessern? Und in welchen Kernprozessen lohnt sich eine vertiefte Analyse?

Besonders wirkungsvoll ist es, zunächst dort anzusetzen, wo sich schnelle Erfolge erzielen lassen. Viele unterstützende Bereiche wie HR, Marketing oder ICT bieten ideale Möglichkeiten für sogenannte Quick Wins. Sie zeigen den Mitarbeitenden unmittelbar, wie KI sie entlasten kann – und schaffen Vertrauen in neue Arbeitsweisen.


Eine weitere Grundlage für erfolgreiche Agentensysteme ist der Zugang zu verlässlichem, internem Wissen. Moderne Unternehmensassistenten greifen über RAG-Verfahren direkt auf geprüfte Informationen zu und liefern dadurch präzise, kontextbezogene Antworten. Umso wichtiger ist es, dass diese Wissensquellen gut gepflegt, aktuell und leicht zugänglich sind.

Für die zentralen Geschäftsprozesse gilt: Ohne Daten geht nichts. Die Qualität der zugrunde liegenden Informationen entscheidet darüber, wie sinnvoll und zuverlässig Agenten arbeiten können. Daher sollte früh geprüft werden, ob Daten vollständig, korrekt und strukturiert vorliegen – und wo gegebenenfalls Handlungsbedarf besteht.

Schliesslich braucht jedes Unternehmen klare Leitplanken. Gut formulierte Governance-Regeln und transparente Richtlinien schaffen Sicherheit, insbesondere für kleinere KMU, die oft weniger Erfahrung mit Compliance-Themen haben. Sie sorgen dafür, dass KI verantwortungsvoll eingesetzt wird und ein stabiler Rahmen für weitere Schritte entsteht.

Die Autorin


Elvira Sulejmanovic ist Head of Future Work & AI bei Achermann ICT Services und berät Unternehmen dabei, moderne Arbeitswelten mit Microsoft 365 und KI pragmatisch umzusetzen. Mit langjähriger Erfahrung im Bereich Digital Workplace, Copilot, Power Platform und Change Management begleitet sie Schweizer Unternehmen sowie öffentliche Organisationen auf dem Weg in die KI-unterstützte Zukunft.


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wieviele Fliegen erledigte das tapfere Schneiderlein auf einen Streich?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER