Im Zentrum eines IoT-Systems steht in der Regel eine sogenannte IoT-Plattform, in der die verschiedenen Elemente des Systems zusammenlaufen. Die IoT-Plattform ist also sozusagen das Herzstück – die Zentrale – eines IoT-Systems.
Im Kern besteht ein IoT-System aus Hardware, Software, Konnektivität und einer Benutzeroberfläche, die in einer IoT-Plattform zu einem ineinandergreifenden und nutzbringenden System zusammengeführt wird. Im besten Fall auch skalierbar. Funktional betrachtet beinhaltet eine IoT-Plattform das Konnektivitäts-Management, das Geräte-Management (gegebenenfalls inklusive Software-Bereitstellung und Lifecycle Management), Security-Lösungen und eine Möglichkeit für die Auswertung und die Visualisierung von Daten.
«Je nach Plattform wird nur eines oder gleich mehrere dieser Elemente abgedeckt.», so Daniel Haas, Head of Mobile, IoT & Devices bei
Sunrise. Aus administrativer Sicht gibt er ausserdem zu bedenken: «Bei jeder Ebene einer solchen IoT-Plattform müssen entsprechende Verrechnungsmodelle zur Verfügung gestellt werden.»
IoT-Plattformen: Ein Dschungel
Wer sich über IoT-Plattformen schlau machen will, läuft aber durchaus Gefahr, nicht wirklich schlau zu werden. Von den Lösungen der bekannten Cloud-Riesen über Plattformen und Services etablierter IT-Dienstleister und Start-ups bis hin zu branchenspezifischen Lösungen oder Teilelementen von IoT-Plattformen wird viel angeboten, viel versprochen. Was für einen suchenden Kunden passen könnte, ist oft nicht einfach zu bestimmen.
Der Bereich IoT ist im Vergleich zu anderen IT-Bereichen sehr viel stärker von individuellen Use Cases und auf ebendiese ausgerichtete Lösungen geprägt. Oliver Buntefuss, Head of IoT,
Noser Engineering: «Es gibt viele IoT-Plattform- und IoT-Lösungs-Anbieter auf dem Markt. Jeder davon hat einen speziellen Fokus oder ist zum Teil auf eine spezifische Branche oder einen spezifischen Anwendungsfall ausgerichtet. Einen, der alle kann, gibt es leider nicht, oder meist steht dann der Aufwand- und Ertragsvergleich nicht im Lot.»
Oliver Buntefuss, Head of IoT, Noser Engineering: 'Je nach Anwendungsfall können die eingesetzten Technologien stark variieren und somit auch sehr unterschiedliche Kompetenzen fordern.' (Quelle: Noser Engineering)
Der Komplexitäts-Rattenschwanz
Das Thema Hardware allein macht bereits deutlich, wie gross und vielfältig die Herausforderungen in der Konzeption einer solchen Plattform sind. «Während die Industrie und Fertigungsbranche beispielsweise robuste Systeme benötigt, benötigt der Handel vor allem kompakte Lösungen», wie Chris Kramar, Director und General Manager OEM Solutions DACH bei
Dell Technologies zu bedenken gibt. Der Unterschied, ob ein Sensor die Betriebstemperatur einer Maschine misst, ein Sender den Standort eines Flottenfahrzeugs übermittelt, ein Röntgengerät Bilder ausspuckt oder eine Überwachungskamera die Länge der Schlange im Retail erfasst, ist bemerkenswert.
Je nach Fall sind unterschiedliche Kommunikationskanäle möglich oder nötig (mehr auf Seite 32 in der Print-Ausgabe 7/8-25), und die Ansprüche an Themen wie Übertragungsgeschwindigkeit oder Datendurchsatz variieren stark. Die Art der Daten, die diese Geräte versenden (Text/Zahlen, Bilder, Video etc.) ist ausserdem enorm breit, was ebenfalls Fragen in Sachen Konnektivität und natürlich der Datenspeicherung und -verarbeitung aufwirft.
Diese unterschiedlichen Verbindungsmöglichkeiten für IoT-Geräte erschweren ausserdem die Skalierung von IoT-Netzwerken und stellen die Betreiber vor neue Security-Fragen, denn «mit der Anzahl der vernetzten Geräte steigt auch die Angriffsfläche», wie Chris Kramar anfügt.
IoT-Projekte sind damit fast per Definition interdisziplinär, die Ansprüche ans Staffing entsprechend komplex. «Je nach Anwendungsfall können die eingesetzten Technologien stark variieren und somit auch sehr unterschiedliche Kompetenzen fordern», wie Oliver Buntefuss von
Noser Engineering ausführt. «Eine Herausforderung liegt darin, pro Projekt einen technischen Experten für die Architektur zu haben, der die komplette Breite der Technologie beherrscht. Weiter benötigt es pro Technologie den Spezialisten, der jede Situation beherrscht und den Code anpassen kann.» Selbstverständlich hilft hierbei ein starkes Netzwerk mit spezialisierten Partnern, das ein Dienstleister mit an den Tisch bringen kann.
Chris Kramar, Director und General Manager OEM Solutions DACH, Dell Technologies: «Mit der Anzahl der vernetzten Geräte steigt auch die Angriffsfläche.» (Quelle: Dell)
Bitte skalierbar, aber…
Ein weiterer Stolperstein, den Stefan Schweiger, Business Manager AIoT Solutions bei
Bechtle, ins Feld führt, ist das Thema Skalierung: «Die grösste Herausforderung liegt darin, dass viele Firmen mit IoT-Projekten überfordert sind, beziehungsweise einen Proof of Concept hinbekommen, aber bei der Skalierung die entsprechenden Organisationen nicht haben. Oft fehlt das Know-how und die entsprechenden Ressourcen und Skills.» Auch, so Schweiger weiter, sei es schwer, die Cases ohne genug Erfahrung vorgängig zu kalkulieren. «Die erste Investition ist hoch und da muss man oft auch wissen, gegen was man das rechnet.»
Zu alledem kommt dann noch der Kunde respektive dessen Infrastruktur selbst ins Spiel: Hier treffe man in der Praxis auf fragmentierte Infrastrukturen, heterogene Gerätelandschaften und Silos, die sich nur schlecht mit anderen Geräten und Systemen verbinden lassen, wie Chris Kramar von
Dell ausführt. «Doch diese Integrationen sind notwendig, um Daten über alle Datenquellen hinweg zusammenführen und analysieren zu können.» Ausserdem, so Kramar, erschweren diese Faktoren das Skalieren und die einheitliche Verwaltung der Lösung massgeblich.
Stefan Schweiger, Business Manager AIoT Solutions, Bechtle: «AI wird IoT noch einen höheren Mehrwert geben.» (Quelle: Bechtle)
Sind Standardlösungen möglich?
Laut den meisten Experten ist die Folge, dass IoT-Plattformen Out-of-the-Box in der Praxis kaum realistisch sind. Bei vielen IoT-Projekten müsse man sich schlicht am Use Case orientieren und die zahlreichen oben beschriebenen Herausforderungen und unterschiedlichen Gegebenheiten beim Kunden berücksichtigen. Es gebe zwar Bemühungen und vereinzelt standardisierte Lösungen am Markt, «ein übergreifender Industriestandard fehlt jedoch», so Daniel Haas von
Sunrise. «Aufgrund der Komplexität im IoT-Umfeld sehen wir es auch als eher unrealistisch, dass sich in absehbarer Zukunft ein solcher Industriestandard durchsetzen wird.»
Dem widerspricht Stefan Schweiger von
Bechtle hingegen recht entschieden – vor allem mit Blick in die Zukunft: Seiner Erfahrung nach sind Multi-Use-Case-Plattformen durchaus für viele Kunden-Cases brauchbar, «und das wird auch die Zukunft noch viel mehr zeigen. Single-Use-Case-Plattformen werden obsolet.» Eine Zukunft für individuelle Plattformen sieht er derweil bei digitalen Produkten fürs B2C-Geschäft, als Beispiel nennt er etwa einen intelligenten Rasenmäher.
Daniel Haas, Head of Mobile, IoT & Devices, Sunrise: 'Ein übergreifender Industriestandart fehlt.' (Quelle: Sunrise)
Big Tech für die Basistechnologie
Sowohl im Rahmen der Recherche als auch in Gesprächen mit den Spezialisten fallen wiederholt die Namen der bekannten Cloud-Grössen. Besonders AWS (AWS IoT Core) und Microsoft (Azure IoT Edge) sind mit ihren IoT-Plattformen stark im Markt vertreten und werden oft genannt.
Bei vielen Dienstleistern, die IoT-Projekte umsetzen, sind deren Plattformen als Basistechnologie beliebt. Zum einen bieten sie eine gute Basis, auf der Individuallösungen aufgebaut werden können. Zweitens adressieren die riesigen Cloud Provider selbstverständlich eine der oben genannten grossen Herausforderungen: Die flexible Skalierung der Back-end-Ressourcen, wenn nötig auch weltweit und spontan nach Bedarf. Hier gibt es laut Stefan Schweiger von
Bechtle aber durchaus auch Angebote anderer Anbieter, die Skalierung im grossen Stil ermöglichen. So integrieren auch Plattformhersteller wie etwa SAP vermehrt IoT-Funktionalitäten in ihren Kernmodulen.
Mehr Mehrwert dank AIoT
Eine Entwicklung, die den IoT-Bereich massgeblich verändern könnte, ist laut den Aussagen mehrerer Experten Künstliche Intelligenz, womit sich derzeit ein neuer Begriff etabliert: AIoT – das KI-unterstützte Internet of Things (mehr dazu ab Seite 39 in der Print-Ausgabe 7/8-25). Wichtig dürfte hierbei neben der Unterstützung in der Analyse und Interpretation der Daten auch Agentic AI sein. Stefan Schweiger führt als Beispiel etwa die Einrichtung und Wartung von mehreren Millionen Sensoren innerhalb eines einzigen Projekts an. «Das wird ohne Automatisierung und Optimierung nicht gehen.» Er ist überzeugt: «AI wird IoT noch einen höheren Mehrwert geben.»
Aber: Dass die ausführlich angesprochene Breite und die damit einhergehende Komplexität von IoT-Projekten einfach gelöst wird, ist kaum absehbar. Natürlich gibt es die oben beschriebenen Bemühungen, sich auf gewisse Standards zu einigen oder wenigstens für grössere Businessbereiche Multi-Use-Plattformen zu etablieren. Es scheint Stand heute aber unwahrscheinlich, dass das zu einer Standardisierung führen könnte, wie man sie aus anderen IT-Bereichen kennt. Das Gegenteil könnte sogar der Fall sein. Chris Kramar von
Dell: «Branchenspezifische Anforderungen, proprietäre Systeme und die hohe Innovationsgeschwindigkeit treiben die Fragmentierung eher voran.»
Kunden rät Kramar, sich auf Referenzarchitekturen, validierte Branchenlösungen und Blueprints für branchenspezifische Anwendungsfälle zu stützen – dies hilft laut dem Spezialisten, IoT-Projekte schneller durchzuführen zu können und das Risiko von Fehlschlägen zu verringern.
(win)