«Die sicherste Variante ist das Treffen»
Quelle: Anibis

«Die sicherste Variante ist das Treffen»

Ein Internet-Betrug ist schnell passiert, egal wie affin man mit dem Thema ist. «Swiss IT Magazine» hat sich mit Jelena Moncilli, Anti-Fraud Specialist beim Online-Kleinanzeigenportal Anibis, über einen konkreten Fall und dazu, wie man sich schützen kann, unterhalten.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2020/11

     

Dass man auch als IT-Journalist nicht davor gefeit ist, auf einen Online-Betrug hineinzufallen, zeigt folgendes Beispiel: Am 12. August habe ich – der Interviewer – auf Anibis.ch eine Oculus Quest gekauft. Das Inserat war schon einige Tage online, der Verkäufer oder die Verkäuferin hatte zudem weitere Produkte inseriert. Als Kaufpreis verlangte er (oder sie) 330 Franken – kein Schnäppchen, das stutzig machen sollte, aber bei einem Neupreis von damals knapp 500 Franken ein guter Preis. Die Kontaktaufnahme erfolgte via Anibis-internem Chat-Tool – eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Allerdings verlangte ich relativ rasch eine Handy-Nummer, nicht zuletzt, um die Schweizer Identität des Verkäufers zu prüfen. Diese Handynummer bekam ich auch, das Whatsapp-Profilbild zeigte eine Familie, Vater, Mutter, Tochter, und die Konversation wurde in weitgehend sauberem Deutsch geführt. Einen Paypal-Account – wegen des integrierten Käuferschutzes immer meine erste Wahl – habe er leider nicht, beantwortete er die Frage nach den Bezahlmöglichkeiten, und sein Twint-Konto habe er kürzlich aufgelöst. Dafür gab der Verkäufer oder eben die Verkäuferin mir ein Konto bei der UBS inklusive eines weiblichen Namens und einer Adresse (der Ort stimmte mit dem Inserat überein) an und fragte gleichzeitig nach meiner Adresse für den Versand der Brille – für den er/sie zusätzlich 9.50 Franken verlangte. Soweit keine wirklichen Verdachtsmomente.


Am Folgetag – einem Freitag – verneinte der Verkäufer meine Frage, ob die Zahlung bei ihm eingegangen sei. Er warte bis 17.00 Uhr, ob die Zahlung auf seinem Konto lande, oder dann bis Montag, und er versprach, mich auf dem Laufenden zu halten. Montagvormittag fragte ich dann erneut nach, ob die Zahlung nun eingegangen sei. Nun blieb eine Antwort aus, und bis spätestens am Nachmittag war mir klar, wohl einem Betrüger auf den Leim gegangen zu sein. Ich erstattete noch am selben Tag Anzeige bei der Polizei und kontaktierte meine Bank (leider erfolglos) sowie Anibis.ch. Aus dieser Kontaktaufnahme ist nun nachfolgendes Interview mit Jelena Moncilli zustande gekommen, die bei Anibis.ch als Anti-­Fraud Specialist für das Thema Betrugsprävention zuständig ist und einleitend betont, dass der grösste Teil der Transaktionen auf Anibis problemlos ablaufen würden.
«Swiss IT Magazine»: Frau Moncilli, Ich nehme an, Sie kennen meinen Fall: Ich habe ein Produkt auf Anibis gekauft, das ich mehrere Tage lang im Auge hatte und dessen Preis legitim schien. Ich hatte eine Schweizer Handynummer als Kontakt und habe den Kaufbetrag auf ein Schweizer UBS-Konto überwiesen. Was habe ich falsch gemacht, dass ich trotzdem betrogen wurde?
Jelena Moncilli:
Zuerst möchte ich vorausschiessen, dass sich die Betrugsmaschen in den letzten 12 bis 15 Monaten deutlich geändert haben. Die Betrüger gehen immer raffinierter vor. Geld beispielsweise nur auf ein Schweizer Konto, nicht aber ins Ausland zu überweisen, reicht heute nicht mehr als Vorsichtsmassnahme. Wir selbst haben früher diese Empfehlung gemacht, und diese Empfehlung wurde von den Nutzern berücksichtigt, allerdings auch von den Betrügern gehört. Also haben sie eine Möglichkeit gefunden, um mit Schweizer Konten arbeiten zu können. Doch um ihre Frage zu beantworten: Um grösstmögliche Sicherheit zu haben, nicht auf einen Betrug hereinzufallen, hätten Sie ein persönliches Treffen respektive die persönliche Übergabe des gekauften Artikels vorschlagen müssen – egal, wo das Objekt sich befindet.

Das allerdings war nicht wirklich eine Option, der Standort des Verkäufers war viel zu weit weg für mich, in Gams, an der Grenze zu Liechtenstein.
Das ist typisch für solche Fälle. Oft werden Orte verwendet, die weit weg von den Ballungszentren sind – das Tessin zum Beispiel, Orte wie Scuol oder die hinterste Ecke im Jura. Sie werden nie ein solches Betrügerinserat in Zürich oder Lausanne haben, weil das Risiko, dass der Käufer die Ware dann persönlich abholen will, viel zu gross ist. Schlägt man aber auch bei abgelegenen Standorten vor, die Ware persönlich zu holen, merkt man anhand der Antwort rasch, dass etwas nicht koscher ist. Oft stimmen übrigens auch die Adresse des Inserats und die des Bankkontos nicht überein.


Wenn ich nun trotzdem nicht persönlich abholen will – gibt es weitere Massnahmen, mich vor Betrug zu schützen?
Je nach Objekt kann man ein ganz spezifisches Foto des Produkts verlangen, das verkauft wird. Handelt es sich zum Beispiel um ein iPhone, soll der Verkäufer ein Foto des Handys auf einer Ausgabe der Zeitung des aktuellen Tages schicken. Natürlich gibt auch das keine 100-prozentige Sicherheit, der Betrüger kann irgendein iPhone mit der Zeitung ablichten – sofern er in der Schweiz sitzt, was allerdings selten der Fall ist. Bei spezielleren Artikeln schaffen es die Betrüger aber praktisch nie, ein Foto zu liefern. Ein wichtiger Punkt ist zudem die Kommunikation. Anibis versucht, die Kommunikation über ein internes Chat-Tool soweit wie möglich bei Anibis zu behalten, weil wir für dieses Chat-Tool verschiedene Mechanismen einsetzen, die bestimmte Verhaltensmuster analysieren. Das Problem ist, dass die Betrüger das haargenau wissen und darum rasch vorschlagen, ausser­halb von Anibis zu kommunizieren, etwa über eine Handynummer.

Genau das habe ich gemacht, und zwar darum, weil mir eine Schweizer Handynummer vertrauenswürdiger schien als ein anonymes Chat-Tool auf Anibis.
Das Problem ist folgendes: Um auf Anibis ein Konto zu erstellen, muss man eine Handynummer angeben, über die das Konto dann mittels SMS validiert wird. Bei diesem Prozess prüfen wir den verwendeten Mobilfunkanbieter, um sicherzustellen, dass nur Handynummern von Providern verwendet werden, die die Identität des Käufers beim Bezug der SIM-Karte überprüfen. Denn uns fällt auf, dass Provider wie Lycamobile oder Lebara die Identität der Käufer einer SIM-Karte nicht unbedingt immer überprüfen, auch wenn das vom Gesetz verlangt wird. Entsprechend wird mit diesen Nummern alles Mögliche an Missbrauch betrieben – mit Schweizer Nummern, auf Schweizer Netzen. Die einzige Möglichkeit, die wir gefunden haben, ist, alle Provider auszuschliessen, von denen wir wissen, dass die Identitäten nicht konsequent überprüft werden. Aber: Sobald die Konversation ausserhalb von Anibis stattfindet, kann auch eine Handynummer eingesetzt werden, die nicht geprüft ist.

Handkehrum: Um ein Anibis-Konto zu eröffnen, braucht man eine verifizierte Handynummer. Also müssten Sie doch wissen, wer hinter einem betrügerischen Konto steckt.
Leider nicht, denn wir wissen aus Datenschutzgründen nicht, wer hinter einer Mobile-Nummer steckt, sondern nur, dass eine Identität geprüft wurde. Für die SMS-Validierung nutzen wir einen externen Dienstleister, der wiederum einen Vertrag mit den Mobilfunkanbietern hat. Das Thema Datenschutz, so wichtig es ist, ist zum Verhindern von Internet-Betrug eine der grössten Hürden für uns.


Ich möchte nochmals zurück auf den Anibis-Messenger kommen: Mir als User war nicht bewusst, dass dieser Kanal die sicherste Kommunikationsmöglichkeit ist. Im Gegenteil: Ich habe darum nach der Handynummer verlangt, um zu sehen, ob die Person in der Schweiz sitzt, was mir über das Chat-Tool nicht möglich schien.
Ich kann das nachvollziehen, allerdings ist die Sache mit den Handynummern wie vorher ausgeführt schwierig, speziell dann, wenn man nur via Whatsapp Kontakt hat. Eine Schutzmassnahme ist auch, dass man versucht, mit dem Verkäufer zu sprechen – etwas, was dieser meist zu verhindern versucht, weil er meist im Ausland sitzt und der Sprache nicht mächtig ist. Schriftlich kann man das mit modernen Tools wie DeepL, die in den vergangenen Jahren auch für Deutsch immer besser geworden sind, übertünchen, mündlich nicht.

In meinem Fall ist mit ziemlicher Sicherheit ein Money Mule zum Einsatz gekommen – also jemand, der sein Konto für das Verschieben von Geld ins Ausland zur Verfügung stellt. Ist diese Masche aktuell die häufigste Betrugsform auf Anibis
Ganz klar ja – praktisch alle Betrugsfälle laufen heute über ein Money-Mule-­Konto. Zahlungen ins Ausland werden praktisch nie mehr verlangt, dafür nehmen die Fälle, in denen die Paysafecard als Zahlungsart verlangt oder verwendet wird, massiv zu. Dies vor allem für kleinere Beträge, bei denen die betrogenen User oder auch die Polizei nicht aktiv werden, weil es sich für solche Beträge nicht lohnt.

Also empfehlen Sie als Zahlungsmittel nur Paypal und Twint?
Paypal ja, allerdings muss man darauf achten, dass der Käuferschutz auch wirklich aktiviert ist. Bei Twint muss man schon vorsichtiger sein, denn es ist möglich, dass bei Twint eine Prepaid-Kreditkarte hinterlegt ist, bei der die Polizei keine Identität dahinter ausmachen kann – ähnlich wie bei den SIM-Karten. Solche Fälle hatten wir schon mehrere.


Wie werden die Money Mules eingesetzt?
Zu den Money Mules muss man wissen, dass sich viele von ihnen nicht bewusst sind, etwas Illegales zu tun. Sie werden online rekrutiert mit der Aussicht, einen Job zu bekommen, den sie von zuhause und zeitunabhängig erledigen können. Die entsprechenden Inserate sind meist gut und glaubwürdig gemacht und sprechen oft Menschen an, die finanziell unter Druck sind oder Mühe bekunden, einen Teilzeitjob zu finden. Was man auch wissen muss, ist, dass das Geld in der Regel nicht von dem Konto, auf das der Betrogene einbezahlt hat, direkt zum Empfänger im Ausland fliesst, sondern den Umweg über mehrere Konten macht. Je nachdem, wo in der Kette der Money Mule sitzt, ist es für ihn noch schwieriger zu merken, dass er sich an illegalen Aktivitäten beteiligt. Typisch ist auch, dass versucht wird, eine Überweisung auf Ende der Woche zu legen – so wie das bei Ihnen auch der Fall war. Damit verhindern die Betrüger, dass das Geld von der Bank zurückgerufen werden kann.

Ich habe ja nach dem Entdecken des Betrugs alle Informationen inklusive Chatverläufe nicht nur der Polizei übergeben, sondern auch an Anibis gesendet. Was machen Sie mit diesen Informationen?
Wir blockieren als erste Massnahme sofort das Benutzerkonto. Zusätzlich helfen uns die Angaben, weitere Betrugsfälle zu verhindern. Beispielsweise können wir unseren Messenger nach der IBAN-Nummer, die für einen Betrugsfall verwendet wurde, durchsuchen, um so weitere betrügerische Konten zu finden. Und dann können wir mit den Daten, die wir geschickt bekommen, der Polizei Informationen übergeben. Dies allerdings nur, wenn wir von der Polizei angefragt werden – sprich wenn Anzeige erhoben wurde. In der Schweiz kann nur der Geschädigte selbst eine Anzeige machen, wir können das nicht tun, und wir dürfen aus Datenschutzgründen auch nicht von uns aus aktiv werden und die Informationen proaktiv übergeben. Problematisch ist hierbei, dass es je nach Kanton zwischen einem und 12 Monate dauern kann, bis wir von der Polizei kontaktiert werden – wertvolle Zeit, die verloren geht. Darum ist es wichtig, dass die User uns die Informationen rund um einen Betrugsfall auch direkt geben. Aus diesem Grund haben wir im Messenger neu die Funktion eingebaut, dass eine verdächtige Konversation direkt gemeldet werden kann. Diese Meldungen werden dann manuell überprüft.

In meinem Fall war es so, dass das Konto sowie die Kommuni­kation über den Anibis-Messenger mit diesem Konto ­blockiert wurde, noch bevor ich die Überweisung effektiv getätigt habe. Allerdings habe ich das nicht gemerkt, weil ich ja ausserhalb von Anibis mit dem Betrüger kommunizierte. Geholfen hätte, wenn ich über die Blockierung des Kontos informiert worden wäre, aber das macht Anibis nicht.
Das ist ein Punkt, der bei uns auf der Agenda steht – allerdings bin ich nicht sicher, wie wirksam diese Massnahme ist. Es gab diese Funktion früher bereits, damals wurde ein automatisches Mail verschickt. Allerdings hat dies kaum genützt, weil die Warnungen, die wir versendet haben, nicht gelesen wurden. Wir müssen also einen Weg finden, die User effektiv zu erreichen, was nicht ganz einfach ist. Ganz grundsätzlich gilt: Bei jeder Frage der Betrugsprävention müssen wir das Thema User Experience mit in die Waagschale legen. Je mehr Sicherheitsmechanismen wir einbauen, umso mehr stören wir den User, und fragt man den User nach der perfekten Kleinanzeigenplattform, dann wünscht er sich, möglichst keine Registration und möglichst wenig Angaben machen zu müssen. Sicher ist, dass wir diesbezüglich etwas verbessern wollen, doch es muss funktionieren und von den Usern akzeptiert werden.

Auf Anibis.ch finden sich aktuell rund eine Million Onlineanzeigen und Anibis spricht von 0,05 Prozent ermittelter Betrugsfälle. Das sind aber nach wie vor 500 Inserate, bei denen man Gefahr läuft, betrogen zu werden. Ist das nicht zu viel?
Jeder einzelne Fall ist zu viel. Doch eine 100-prozentige Sicherheit allein auf der Plattform ist kaum zu erreichen. Wir werden zum Beispiel oft mit der Frage konfrontiert, warum wir die Adressen der User nicht per Post verifizieren, so wie das zum Beispiel Ricardo tut. Fakt ist, dass auch hier betrogen werden kann, dass auch ein Briefkasten kein Garant für eine gültige Identität ist. Und eine Schutzschicht einzubauen, die zwar Vertrauen suggeriert, aber nicht zwingend vertrauenswürdig ist, ist kontraproduktiv. Absolute Sicherheit im Onlinegeschäft wird man nicht haben, solange es keinen digitalen Identitätsnachweis à la SuisseID gibt, der in der Breite eingesetzt wird. SuisseID wird leider heute noch viel zu wenig genutzt.


Dem könnte man entgegenhalten, dass Sie das Leben der Online-Betrüger mit jeder zusätzlichen Hürde, die Sie einbauen, schwieriger machen, um so als Plattform für Betrüger weniger attraktiv zu sein.
Dessen sind wir uns bewusst, und wir sind heute schon deutlich weniger attraktiv als früher. Die Betrüger, die sich heute auf Anibis herumtreiben, arbeiten hochprofessionell und sind sehr gut organisiert. Denn man muss sich bewusst sein: Wer Money Mules einsetzt, ist kein kleiner Betrüger mehr, das ist eine andere Ebene. Ich sage das nur ungern, aber wir können unsere User nicht vollumfänglich schützen. Darum empfehlen wir auch weitere Massnahmen wie die Nutzung von Paypal mit seinem Käuferschutz oder Versicherungen, die Schäden bei Online-Betrug decken. Und nochmals: Die sicherste Variante ist das persönliche Treffen zwischen Käufer und Verkäufer – und selbst dann ist Vorsicht geboten, etwa bei elektronischen Geräten, die unbedingt vor Ort ausprobiert werden sollten.

Ich möchte nochmals auf das Thema Käuferschutz kommen. Sie haben Ricardo erwähnt, wo die Identität der User via Briefversand überprüft wird. Zusätzlich verwendet Ricardo ein Rating-System für seine Konten, was in meinen Augen ein wirksames Mittel ist, um Vertrauen zu schaffen. Warum geht Anibis nicht in diese Richtung?
Ein Rating-System ist bei Anibis in Arbeit. Ich hoffe, wir werden bis Ende dieses Jahres soweit sind. Was ich zu Ricardo anfügen möchte, ist, dass Ricardo im Gegensatz zu uns weiss, wann eine Transaktion stattgefunden hat, da der Kauf und die Zahlung auf der Plattform erfolgt.

Doch auch das könnten sie einführen.
Das stimmt, wir haben das im Auge und im vergangenen Jahr auch schon Tests absolviert. Allerdings haben wir die passende Lösung noch nicht gefunden, da wir beispielsweise bei einem Postversand auch tracken möchten, ob das Produkt angekommen ist. Das alles ist einigermassen komplex.


Um nochmals zurück auf Ricardo zu kommen: Ricardo verlangt relativ hohe Gebühren von seinen Verkäufern, während Anibis kostenlos ist. Wie viel Verantwortung sind Sie angesichts dessen, dass Ihr Dienst kostenlos ist, überhaupt bereit zu übernehmen respektive wie viel Aufwand können Sie als Gratis-Plattform betreiben, um die Sicherheit der Nutzer zu gewährleisten? Ist das überhaupt ein Faktor?
Jein. Sicherheit hat höchste Priorität bei uns, denn eine Plattform, die nicht sicher ist, wird nicht genutzt und kann nicht erfolgreich sein. Darum ist unser Management auch bereit, viel Geld in die Sicherheit zu investieren. Klar ist aber auch, dass jedes Inserat Kosten generiert und wir permanent im Auge behalten müssen, welche Kosten wir pro Inserat akzeptieren können respektive ab wann es nicht mehr möglich ist, die Inserate kostenlos anzubieten. Aktuell ist die Situation aber so, dass das Management weiter in die Sicherheit der Gratis-Plattform zu investieren bereit ist. Aber: Wenn wir beispielsweise über eine Transaktionsplattform bei Anibis sprechen, müssen wir sicherlich auch darüber sprechen, was die User bereit sind für diesen Service und die damit verbundene Sicherheit zu bezahlen. Nehmen wir nochmals Paypal als Beispiel: Viele Verkäufer nutzen Paypal ohne Käuferschutz, weil sie nicht bereit sind, die Gebühren zu bezahlen.

Können Sie noch etwas mehr über die Mechanismen erzählen, die Anibis anwendet, um betrügerische Inserate zu entdecken? Und wie hoch ist die Dunkelziffer der betrügerischen Inserate, die nicht entdeckt werden?
Viele betrügerische Inserate werden von unseren Systemen entdeckt, bevor sie publiziert sind oder kurz danach. Hier kommt Machine Learning zum Einsatz, und es werden Verfahren angewendet, die bestimmte Verhaltensmuster erkennen. Gibt es Unsicherheiten, wird das Inserat manuell geprüft. Schwieriger wird es, wenn ein Inserat, das legitim wirkt, nachträglich noch geändert wird. Zum Beispiel passiert es, dass jemand eine Play­station zu einem hohen Preis inseriert und den Preis erst nach einiger Zeit senkt. So ist das Inserat schon länger online und erweckt den Eindruck, legitim zu sein, weil Leute vor allem bei Neupublikationen skeptisch sind. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass man bei gewissen Inseraten erst dann einen Betrug feststellen kann, wenn man mit dem Inserenten in Kontakt tritt. Darum wollen wir die Kommunikation auch auf Anibis behalten, um auch dann eingreifen zu können. Zusätzlich setzen wir seit rund zwei Monaten Agenten ein – Mitarbeiter von uns, die aktiv durch die Plattform gehen und sich Inserate anschauen, um verdächtige Anzeigen zu finden, die das System nicht entdeckt hat. Dieses Verfahren nutzt Ebay bereits seit geraumer Zeit erfolgreich.

Ein Vorwurf, den ich Anibis mache, sind die spärlichen Informationen zum Thema Käuferschutz. Sie haben mir hier und jetzt mehrere Tipps gegeben und erklärt, warum der Messenger die sicherste Art der Kommunikation ist. Warum weisen Sie auf der Plattform nicht mit Nachdruck darauf hin?
Wir versuchen auf Anibis zu kommunizieren, dass man den Messenger nie verlassen soll, doch ich stimme mit ihnen überein, dass wir das Wording hierzu noch verbessern müssen. Wir arbeiten ganz grundsätzlich daran, die Informationen lesbarer zu machen und zu verbessern, und wir werden zum Beispiel in Kürze eine FAQ-Sektion rund um das Thema Sicherheit auf der Plattform aufschalten. Insbesondere in der Romandie engagieren wir uns zudem stark in der Öffentlichkeitsarbeit und betreiben Prävention – nicht nur für Online-Betrug, sondern auch bezüglich Fälschungen oder zu illegalem Tierhandel, was ebenfalls ein grosses Thema ist.


Ich möchte nochmals auf meinen Fall zurückkommen. Was empfehlen Sie jemandem wie mir, der auf diese Art und Weise betrogen wurde?
Wenn jemand wie Sie kurz nach der Überweisung des Geldes einen Betrug erkennt, empfehle ich, zuerst die Bank zu kontaktieren. Manchmal besteht die Chance, dass man das Geld wieder zurückbekommt, etwa dann, wenn der Money Mule nicht wusste, an illegalen Aktivitäten teilzunehmen und das Geld noch nicht weiter überwiesen hat, sondern es zurückbezahlt. Auf jeden Fall sollte man den Fall Anibis melden sowie Anzeige bei der Polizei erstatten, wobei sich die Chance, dass die Polizei aktiv wird, stark von Kanton zu Kanton unterscheidet. Man muss klar festhalten: Es gibt Kantone, in denen solche Fälle in der Schublade verschwinden, weil das Know-how fehlt oder davon ausgegangen wird, dass man die Täter ohnehin nicht erwischt. Das ist schade, weil wenn ein Money Mule eingesetzt wird, kann eine Anzeige respektive kann die Polizei sehr oft etwas bewegen – und sei es nur, einen Money Mule aus dem Verkehr zu ziehen und weitere potenzielle Money Mules von der Tätigkeit abzuhalten.

Lohnt es sich als Geschädigter, den Money Mule zu belangen versuchen – ihn etwa zu betreiben?
Es kann sein, dass ein Money Mule unter Ausübung von Druck – auch seitens der Polizei – das Geld zurückbezahlt. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass das Geld überhaupt vorhanden ist, was oft nicht der Fall ist, weil wie gesagt: oftmals werden Money Mules rekrutiert, die auf Geld angewiesen und in einer Notsituation sind. Ich weiss aber von Fällen, wo Money Mules Geld aus der eigenen Tasche zurückbezahlt haben, um sich nicht noch mehr Schwierigkeiten einzuhandeln.

Besteht die Chance, dass die eigentlichen Betrüger im Hintergrund zur Rechenschaft gezogen werden?
Diesbezüglich erhalten wir leider von den Behörden offiziell keine Informationen. Informell kriege ich ab und zu mit, dass jemand gefunden wurde. So weiss ich, dass es Mitte Oktober im Kanton Genf einen erfolgreichen Schlag gegen Hintermänner gab, die illegalen Tierhandel betrieben haben – ein Fall, der uns vier Jahre begleitet hat.


Wünschten Sie sich eine engere Zusammenarbeit mit den Behörden?
Das hängt sehr stark vom Kanton ab. Der Austausch mit Kantonen wie Waadt, Neuenburg oder Genf ist ganz hervorragend, und auch Zürich ist sehr aktiv im Bereich Internetkriminalität. Gleichzeitig gibt es auch Kantone, die kein Interesse an einer Zusammenarbeit haben. Das betrifft allerdings nicht nur das Thema Online-Betrug. Ich ziehe nochmals das Beispiel des illegalen Tierhandels herbei: Hier hatten wir über Jahre Probleme mit dem Kantonstierarzt des Kantons Thurgau. Jedes Mal, wenn wir einen Fall, bei dem im Kanton ein illegales Tier zu verkaufen war, gemeldet haben, ist nichts passiert. Das ging soweit, dass uns offen gedroht wurde, dass solche Fälle bei ihm nichts zu suchen hätten, sonst würde er Massnahmen gegen uns ergreifen. Erst als die Medien darauf aufmerksam wurden, ist Bewegung in die Sache gekommen. Die Geschichte zeigt, dass der Erfolg der Zusammenarbeit mit den Behörden oft an einzelnen Personen hängt.

Jelena Moncilli

Jelena Moncilli ist als Anti-Fraud Specialist bei Anibis für das Thema Betrugsprävention zuständig. Die 34-jährige Software Engineer hatte bereits ihre Diplomarbeit für die Kantonspolizei Neuenburg gemacht und war auch nach dem Studium ein Jahr für die Polizei tätig. Danach wechselte Moncilli als Projektleiterin zum Ringier-Konzern respektive zu Anibis, wobei ein Projekt das Thema Betrugsprävention war. Seit fünf Jahren nun kümmert sich Jelena Moncilli bei Anibis hauptberuflich um das Thema. (mw)

Kommentare
Grüezi Da gibt es nur eins Ware abholen oder verzichten Gruss H.Maag
Mittwoch, 10. Februar 2021, H.Maag



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