Der Erfolg liegt im Detail
Quelle: Trekksoft

Der Erfolg liegt im Detail

Mit einer Software as a Service für Tourenanbieter startet ein Start-up aus Interlaken durch; trotz so mancher Hürde.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2016/03

     

Das Büro liegt nahe dem Bahnhof Interlaken. Einige der Wände sind hellgrün gestrichen, in der Farbe des Start-up-Logos. Die junge Belegschaft tauscht sich auf Englisch aus, telefoniert und lacht. An der Wand lehnt ein Skateboard, gegenüberhängt eine Dartscheibe, daneben steht auf einer Tafel in grüner Schrift ein Umsatzziel in Dollar. Rucksäcke liegen unter Schreibtischen, voll mit Obst, Notizzetteln, Persönlichem.
Philippe Willi, Mitgründer und CFO des Start-ups Trekksoft, das Trekking und Software vereint, führt mich in einen offenen Sitzungsraum mit Softdrinks und angrenzender Küche, im Hintergrund lärmen Möbelmänner. «So ist das, wenn man wächst», entschuldigt sich der 32-Jährige, «‹Managing the Chaos›, heisst meine Herausforderung.» Ein schwarzer Labrador legt sich zwischen uns, bellt ab und an, fordert Streicheleinheiten. Er gehört dem CEO und Mitgründer Jon Fauver, der aus den USA kommt und seit 20 Jahren im Touren-Business unterwegs ist, etwa Riverrafting in Nepal organisierte.

Trekksoft baut und vertreibt seit 2010 Software as a Service an Erlebnisanbieter, womit diese Buchungsmöglichkeiten auf der eigenen Webseite schaffen und Verfügbarkeiten verwalten. Im Januar 2016 zählte Trekksoft 33 Mitarbeiter, im März 40 und im August will man 60 angestellt haben. Sie kommen aus ganz Europa, meist direkt von der Uni, sind bereit, ihre Koffer zu packen und nach Interlaken zu ziehen, «für die Start-up-Experience», wie Philippe Willi sagt. Für die Rekrutierung nutzt Trekksoft die Software-Lösung Workable mit Schnittstelle zu Linkedin. Eine HR-Abteilung entsteht erst, gleichzeitig zur Besetzung der Vakanzen. Sie wird dringend benötigt. «Wir motivieren Mitarbeiter seit langem mit gewissen Boni», erzählt Willi. «Mit wenig Mitarbeitern war das schnell gemacht, jetzt ist es fast zur Mehrtagesübung geworden.»

Expansionsziel hiess weltweit

Begonnen hat mit Trekksoft alles klassisch. Philippe Willi und Jon Fauver waren selbst Erlebnisanbieter in Interlaken und bauten eine Software-Lösung für den eigenen Gebrauch. Ihr CTO und ebenfalls späterer Trekksoft-Mitgründer Valentin Binnendijk kam mit der Idee, diese mandantenfähig zu machen. Das erste Expansionsziel hiess: Queensland in Neuseeland, Interlaken in gross und weit weg sozusagen. Und gleich im Anschluss die ganze Welt, bitteschön. «Wir waren damals sehr naiv», blickt Willi zurück. «Auf hundert Kunden kamen wir schnell, aber irgendwann reichen Netzwerk und Empfehlungen nicht mehr, und du musst die Akquise von Neukunden konkret angehen.»
Die Strategie war zunächst, jeden zu nehmen, der kam. Die Kaltakquise lief via Telefon. Die Einnahmen sollten über ein Kommissionsmodell hereinkommen: 6 Prozent der Transaktionseinnahmen, die Kunden mit Trekksoft machten, sollten an das Start-up gehen. «Wir haben viele Erlebnisanbieter generiert, die vorher mit Notizblock oder Excel gearbeitet haben, und noch nicht für den Schritt ins digitale Zeitalter bereit waren», erzählt der Interlakener. Die Kundenzahl stieg mit diesen quantitativ, nicht aber qualitativ. Die digital wenig bewanderten Kunden nutzten die Software nicht aktiv, wodurch die auf Kommission basierten Umsätze nicht wie geplant hereinkamen.

Gleichzeitig eröffnete das Schweizer Start-up 2014 ein Büro in New York City – Meilenstein und Kostenblock in einem. Hinzu kam: Auch die Zusammenarbeit mit dem Team gestaltete sich nicht zuletzt wegen der anderen Zeitzone schwierig. Und nicht zu vergessen, die Konkurrenzsituation in den USA. «An einer Messe in Salt Lake City kamen auf 400 Touren-Anbieter gut zehn Software-Start-ups mit der gleichen Idee», so Willi. «Und wenn es einen Unterschied zwischen einem amerikanischen und einem Schweizer Start-up gibt, dann, dass ein amerikanisches mehr Investorengelder im Rücken hat.» Sein Resumé: «Im August 2014 haben wir – eigentlich fast etwas spät – erkannt, dass es so nicht funktioniert.»

Aufstehen, neu denken, fliessen lassen


Das junge Unternehmen wirft die Akquise- und Expansions-Strategie um, denkt neu. Und trifft drei Entscheidungen: Erstens, die Mitarbeiter aus dem New Yorker Büro nach Interlaken zu holen und die Überlegung, noch in Südamerika ein Büro zu eröffnen, zu kitten. Das neue Ziel lautet, sich auf bestimmte Märkte zunächst in Europa zu konzentrieren, Country Manager zu bestimmen, Sales und Marketing zentralisiert von Interlaken aus zu steuern. Zweitens: Statt auf Telefonakquise auf Inbound beziehungsweise Content Marketing zu setzen. Das Marketing-Team kreiert in verschiedenen Sprachen – je nach Markt, um den es gerade geht auf Deutsch, Englisch, Spanisch – für den bestimmten Markt relevante Inhalte. Zum Beispiel Tipps und Tricks, wie man in der Wintersaison mehr Umsatz generiert. Ausserdem veranstaltet Trekksoft neu Info-Events zu für Erlebnisanbieter relevanten Themen, bei denen bestehende und potentiell neue Kunden zusammenkommen. Und drittens: Das Preismodell vom reinen Kommissions- auf einen Mix aus Abo- und Kommissionseinnahmen umzubiegen. Denn: «Software as a Service funktioniert nur, wenn der Kunde das aktiv nutzt. Und wenn jemand einen fixen monatlichen Betrag zahlt, wird er sich auch eher damit auseinandersetzen.»

Schwarze Zahlen schreibt das bereits preisgekrönte Start-up zwar noch nicht. «Aber so lange wir unsere Wachstumsziele erreichen, erlauben uns die Investoren auch, weiter Verluste zu schreiben», sagt Philippe Willi, der ehemalige HSG-Student. Mit 18 Jahren hatte er seine erste Firma ins Leben gerufen: eine Plattform mit alten Prüfungen für Schüler, über die er durch Werbeeinnahmen zu Geld kam. «Man kommt in ein Fieber», lacht er. «Mich anstellen zu lassen, kam für mich nie in Frage.» Sein Erfolgsrezept – trotz oder wegen der Rückschläge auf seinem Weg: «Als Start-up bekommst du wie ein Boxer permanent auf die Fresse und musst immer wieder aufstehen.» Der ausschlaggebende Punkt, der über Erfolg oder Misserfolg entscheidet, liegt seiner Ansicht nach nicht im Big Picture, wie von vielen gerne gepredigt, sondern im Detail. «Und das findet man nur, wenn man täglich mit dem Produkt arbeitet und immer wieder dahingehend anpasst, was der Markt wirklich braucht. Was ich gelernt habe: Den Prozess nie aufhalten wollen, sondern ihn einfach fliessen lassen.»
Die Möbelmänner haben fertig aufgeräumt, es ist fast still geworden. Vorbei an den Rucksäcken, die an Schreibtischen lehnen und nach Aufbruch riechen, geht es hinaus aus dem Büro des einzigen Software-Start-ups des Schweizer 5300-Einwohner-Abenteuerorts. (aks)


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Aus welcher Stadt stammten die Bremer Stadtmusikanten?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER