Work-Life-Balance oder der ganz normale Wahnsinn?

Die Arbeit muss Spass machen, doch wer seine ganze Lebenserfüllung nur im Job sucht, der gefährdet sein inneres Gleichgewicht und auch seine Gesundheit.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2011/01

     

Idealerweise hat man in der IT sein Hobby zum Beruf gemacht. Die Leidenschaft für Technologie und komplexe Lösungen treibt einen täglich an, zur Arbeit zu gehen. Wer aber mit seiner Leidenschaft auch ein regelmässiges Einkommen verdienen will, merkt schnell, dass der Arbeitsalltag nicht immer nur Spass macht. Technologien werden oft vorgegeben, Kollegen und Vorgesetzte kann man sich nicht aussuchen und lange Arbeitszeiten, das Einhalten von Release-Terminen sowie endlose Meeting tragen dazu bei, dass selbst beim motiviertesten Entwickler irgendwann die Luft raus ist. Auch nach dem Urlaub fängt alles wieder von vorne an und sich von Wochenende zu Wochenende zu hangeln, ist langfristig keine Lösung.
In erster Linie geht es darum, das Gefühl zu haben, dass man sich im Job sinnvoll einbringen kann, aber auch darum, zu erkennen, dass die Arbeit nicht alles ist. Wer seine ganze Lebenserfüllung in der Arbeit sucht, läuft Gefahr, den Blick fürs Wesentliche sowie seine innere Balance zu verlieren, ja sogar seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen.

Work-Life-Balance

Unter Work-Life-Balance ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben zu verstehen. Geld und Karriere sind nicht mehr oberstes Ziel des Berufslebens. Vielmehr ist es wichtig, die privaten Interessen oder das eigene Verständnis von Familienleben mit den Anforderungen in der Arbeitswelt in Einklang zu bringen. Dazu gehören das Wohlfühlen am Arbeitsplatz, der Spass im Beruf und ein gutes Verhältnis mit dem Vorgesetzten und den Kollegen, genauso wie ein harmonisches Privatleben. Mit einem stabilen Freundes- oder Familienkreis hat man in aller Regel einen Ausgleich, einen Zufluchtsort und auch Ablenkung vom Arbeitsalltag. Oft sind aber gerade die engsten Arbeitskollegen auch die besten Freunde, mit denen man sich am Wochenende trifft. Dagegen ist nichts einzuwenden, da ein freundschaftliches Verhältnis zu den Kollegen ein harmonisches Arbeitsumfeld schafft. Dennoch sollte man auch Freunde, Hobbies und Interessen ausserhalb des beruflichen Umfelds haben, um sich vom Arbeits-alltag regelmässig komplett loszulösen.
Work-Life-Balance ist jedoch kein Dogma mit einem Gleichgewichtsanspruch. Es gibt immer Phasen, in denen die eine oder die andere Seite mehr Zeit fordert. Wer eine Auszeit braucht, ob vom Job (oder auch im Privatleben), der sollte sich nicht scheuen, dies offen anzusprechen und eine Lösung vorzuschlagen. Modelle dazu gibt es reichlich. Ob man Teilzeit arbeitet oder ein ganzes Jahr Sabbatical nimmt, um endlich das zu tun, was man schon immer einmal machen wollte, hängt von der persönlichen Situation, aber selbstverständlich auch von den Arbeitsbedingungen und Möglichkeiten ab. Die Angst, eine längere Auszeit könnte das Ende für die Karriere bedeuten, muss nicht immer berechtigt sein, wenn der Ausstieg und die Rückkehr sauber geplant und von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite akzeptiert werden. Aber Achtung: Krisenzeiten müssen sich nicht automatisch dazu eignen, eine Pause einzulegen. Viele Firmen, die gezwungen sind, ihre Mitarbeiterzahlen zu reduzieren, können keine Garantie auf eine adäquate Wiederbeschäftigung nach der Auszeit geben. Andererseits kann eine freiwillig geplante zeitweise Arbeitsfreistellung, die vertraglich festgehalten wird, für manche Unternehmen auch Teil ihres Kostensparplans sein. Bevor man einen solchen Schritt geht, sollte man sich beim Arbeitgeber genau informieren, die persönlichen Lebensumstände betrachten und dann erst entscheiden, ob eine zeitlich befristete Arbeitspause und die damit verbundenen Einkommenseinbussen auch in Frage kommen.

Individuelle Strategie

Eine langfristige Work-Life-Balance basiert ohnehin auf mehreren Komponenten, mit einer kurzfristigen Auszeit allein ist es nicht getan. Eine individuelle Strategie und die persönliche Lebenseinstellung sind ausschlaggebend dafür, ob man Beruf und Privatleben in Einklang bringen kann. Unter Topmanagern wird hierzu gerne auch der Begriff «Life-Leadership» verwendet. Es geht darum, nicht nur eine exzellente Führungskraft zu sein, sondern sein ganzes Leben im Griff zu haben, Erfüllung zu empfinden bei dem, was man tut und sich in seiner Haut wohl zu fühlen.
Unterstützung erhält man dabei von folgenden sieben Lebensweisheiten:

1. Der passende Job

Wer sich für seinen Job begeistern kann und die richtige Aufgabe findet, schmiedet sein Glück selbst. Wenn Interessen und Kompetenzen sich mit den Anforderungen des Berufes paaren, dann lassen sich die tägliche Routine sowie Konflikte und auch mal Niederlagen ertragen. Entwickeln Sie daher eine Leidenschaft für das, was Sie tun. Der Job ist dann kein dauerhafter Stressfaktor, sondern trägt zur Zufriedenheit bei, die wiederum auf das Privatleben ausstrahlt. Fragen Sie sich, ob das, was Sie tun, wirklich das ist, was Sie wollen, können und brauchen. Ob es Ihr persönliches Ziel ist. Lautet die Antwort nicht eindeutig «Ja», schreiben Sie auf, was Ihnen fehlt. Prüfen Sie danach, ob der gegenwärtige Job passend gemacht werden kann oder ob Sie eine Veränderung brauchen.

2. Das richtige Beschäftigungsmodell

Der eine bevorzugt geregelte Arbeitszeiten, ist abends gerne zuhause und verbringt den Arbeitstag am liebsten im Büro. Andere dagegen müssen raus, benötigen Abwechslung und sind gerne unterwegs. Sie nehmen dafür Reisezeiten in Kauf und auch die Tatsache, nicht jeden Tag zuhause zu sein. Viele finden in der Routine eine Gliederung ihres Alltags und dadurch auch Entlastung. Andere suchen höhere Herausforderungen, weil sie nur daraus Befriedigung schöpfen und ihnen die Dynamik eines weniger strukturierten Jobs nichts ausmacht. Achten Sie darauf, dass das Modell zu Ihnen passt. Niemand kann lange erfolgreich gegen seinen eigenen Takt leben und viele Jobs schränken die persönliche Freiheit stärker ein, als einem lieb ist. Natürlich kann man den Job nicht komplett auf seine persönlichen Gewohnheiten und Vorlieben abstimmen, aber das allgemeine Beschäftigungsmodell sollte zu einem passen.

3. Keine Karriere um jeden Preis

Es geht nicht darum, regelmässig befördert zu werden, ständig mehr Verantwortung zu bekommen und am besten auch immer mehr Geld zu verdienen. Irgendwann stösst jeder an seine Grenzen. Anspruchsvolle Entwicklungsarbeit wird oft ergänzt mit Projektleitung, Personalführung und Budgetcontrolling. Schritt für Schritt mag das in Ordnung sein, aber alles auf einmal endet schnell im Desaster. Besprechen Sie daher regelmässig mit Ihrem Vorgesetzten, wann es Zeit für mehr Verantwortung, neue Aufgaben und eventuell eine Beförderung ist. Stehenbleiben will man nicht, aber man muss der Aufgabe gewachsen sein, damit man sich nicht überfordert.

4. Familie und Freunde nicht vernachlässigen

Beziehungen und Freundschaften müssen gepflegt werden. Sie sind nicht selbstverständlich. Wer im täglichen Arbeitswahn und mit zu hochgesteckten Karrierezielen den Blick und die Zeit für die eigenen Kinder, den Partner und die Freunde verliert, ist schnell einsam. Austausch mit Personen ausserhalb des Jobs ist enorm wichtig, denn so bewahrt man sich einen sinnvollen Ausgleich und vergisst andere wichtige Bereiche des Lebens nicht. Halten Sie Verabredungen mit dem Partner und Freunden daher immer ein. Achten Sie darauf, dass sie regelmässig auf andere zugehen und zu reagieren, wenn Sie eingeladen werden oder die Freunde sich melden.

5. Zeitkiller eliminieren

Endlose Meetings ohne Agenda, liegengebliebene Routinearbeit oder regelmässige Zigarettenpausen kosten bei der Arbeit Zeit. Zuhause ist es der Fernseher oder stundenlanges Surfen im Internet. Machen Sie Schluss mit allem, was Ihnen Zeit stiehlt, ohne Ihnen zu nutzen. Diese Dinge ziehen Ihnen Energie ab. Nutzen Sie Reisezeiten, um zu arbeiten oder auch mal eine Fachzeitschrift zu lesen. Verabreden Sie sich zum Sport, anstatt sich vor den Fernseher zu setzen. Sie werden sich besser und zufriedener fühlen.

6. Geist und Körper fordern

Um den täglichen Belastungen Stand zu halten, muss man geistig, wie körperlich fit bleiben. Leben Sie nicht einfach in Ihrem Körper. Fordern Sie ihn ebenso, wie Sie ihm die notwendige Erholung geben. Regelmässiger Ausdauer- und Kraftsport sowie ausreichender und regelmässiger Schlaf und Erholungspausen sorgen dafür, dass Sie im Beruf und im Alltag genügend Energie haben und sich in Ihrer Haut wohlfühlen. Gesunde Ernährung trägt ihr Übriges dazu bei. Fordern Sie aber auch ihren Geist. Lesen Sie ein anspruchsvolles Buch. Machen Sie auch mal etwas Handwerkliches oder Kreatives und trainieren Sie Ihre Koordinationsfähigkeiten, indem Sie Dinge einmal anders tun, als Sie es gewohnt sind.

7. Sich selbst treu bleiben

Wer sich vom Beruf oder auch in der Partnerschaft zu abhängig macht, wird schnell unzufrieden und verliert Dinge aus den Augen, die einem eigentlich viel bedeuten. Bewahren Sie sich Interessen, Hobbies oder Beschäftigungen, die Sie auch mal alleine machen. Nutzen Sie die Zeit der Ruhe für sich selbst, ohne das Gefühl zu haben, immer nur für andere da sein zu müssen. Schaffen Sie sich Freiräume, die nur für Sie reserviert sind, in denen Sie tun und lassen können, was Sie wollen. Sie bleiben auf diese Weise sich selbst treu und bewahren sich ihre eigenen Interessen und Ihre eigene Persönlichkeit.
Die Autorin
Yasmine Limberger ist bei Avanade, einem Anbieter für IT-Business-Solutions, verantwortlich für das Personalmarketing in Deutschland und der Schweiz. Sie ist Autorin des Buches: «IT-Survival Guide- Karriere- und Alltagsratgeber für Einsteiger und Professionals in der IT-Branche» und hat mehr als zwölf Jahre Erfahrung in der Auswahl von IT-Fach- und Führungskräften.


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