Google Chrome: Keine Revolution

Mit Chrome schickt Google einen eigenen Webbrowser ins Rennen. Interessant ist die Beta schon jetzt - interessanter ist aber, was aus der Software noch werden soll.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/16

     

Wahrscheinlich hat Google die Konkurrenz völlig auf dem falschen Fuss erwischt, als der Suchmaschinenriese Ende August quasi über Nacht seinen Chrome-Browser lancierte. Google hat sich stark für Firefox eingesetzt und Gerüchte, wonach man an einem eigenen Browser arbeite, stets dementiert. Google Chrome ist vorläufig als Beta deklariert (was Google Mail seit über zwei Jahren ist) und steht laut Google hauptsächlich unter der Open-Source-Lizenz BSD – Teile des Browsers sind allerdings anderen (OS-)Lizenzen unterstellt. Basis von Chrome ist die vom KDE-Browser und Apples Safari bekannte Rendering-Engine Webkit. Ausserdem wurde die Javascript-Engine V8 integriert, die die Per­formance von Multicore-Prozessoren voll aus­­nutzt.


Schlicht und ungewohnt

Auf den ersten Blick macht Google Chrome einen eher unansehnlichen Eindruck. Die Oberfläche ist Google-typisch schlicht. Gewöhnungsbedürftig ist allerdings, dass Google die Tabs nicht in den Browser, sondern quasi den Browser in die Tabs integriert hat: In Chrome verfügt jeder Tab über die Bedienelemente, die Adresszeile etc.
Was zunächst irritiert, ist allerdings durchaus durchdacht und bildet quasi die wichtigste Neuerung von Chrome an der Oberfläche ab: Der Google-Browser führt nämlich, anders als seine Konkurrenten, jeden Tab als eigenen Prozess in einer Sandbox aus.


Dies wiederum ist die Voraussetzung für einige Besonderheiten von Chrome. Praktisch ist es etwa, dass sich neu geöffnete Tabs rechts vom Mutter-Tab anordnen; damit lässt sich recht einfach die Übersicht behalten, wenn zahlreiche Tabs geöffnet sind. Nicht zu unterschätzen ist auch die Möglichkeit, Tabs per Drag&Drop in eigene Fenster umzufunktionieren. Legt man dann noch eine Desktop-Verknüpfung auf dieses Fenster mit der darin laufenden Anwendung an, hat man als Ergebnis eine Applikation, die sich in Look&Feel kaum noch von einer Desktop-Anwendung unterscheidet.



Eher zwiespältig steht man der automatisch personalisierten Startseite gegenüber: Chrome merkt sich bis zu neun der am häufigsten genutzten Webseiten und zeigt auf der Startseite je eine Miniatur davon an. Das kann ganz praktisch sein, um schnell Updates auf einer Site zu erkennen; allerdings dürfte es nicht jedem Surfer angenehm sein, wenn Chef, Kollegen oder Ehefrau auf den ersten Blick sehen, wo man sich häufig herumtreibt.


Kombinierte Adresszeile

Eine der Besonderheiten von Chrome ist die Adresszeile, die in jeden Tab integriert ist. Sie ist – anders als bei allen Konkurrenten – gleichzeitig auch der «Such-Schlitz». So können nicht nur URLs, sondern auch Suchbegriffe eingegeben werden; für die Ausführung der Suche lässt sich eine beliebige Suchmaschine vorgeben. Dabei schlägt Chrome ähnlich wie Firefox oder Opera bereits während dem Eintippen mögliche Suchbegriffe oder Webadressen vor. Chrome nutzt dafür allerdings nicht bloss die Bookmarks und die Browser-History, sondern auch die Google-Datenbanken. Mit diesen wird ständig kommuniziert, jedes Wort, das der Surfer in die Adresszeile eingibt, landet sofort auch in Mountain View. Von dieser Datensammelwut kann man halten was man will, wer Chrome nutzt, kommt nicht darum herum.


Im Offline-Modus arbeiten

Mit Chrome wird automatisch auch Google Gears auf dem Rechner installiert. Damit kann der Anwender kompatible Webanwendungen wie beispielsweise Google Docs, Google Reader oder Remember the Milk auch ohne Internet-Verbindung nutzen. Dokumente in Google Docs etwa lassen sich auch offline bearbeiten und speichern; sobald wieder eine Verbindung zum Netz besteht, werden die Änderungen mit dem Google-Docs-Server synchronisiert.


Irreführende Anonymität

Als ein besonderes Feature propagiert Google auch den sogenannten Modus «Anonym browsen». Dabei handelt es sich allerdings um eine Mogelpackung. Anders als beim «echten» anonymen Surfen über einen Proxy werden hier bloss keine Informationen wie Browserverlauf oder Cookies gespeichert. Websuchen etc. werden allerdings nach wie vor zu Google gesandt, wenn man dies nicht explizit unterbindet. Und anonym gesurft wird schon gar nicht: Auch in diesem Modus werden die IP-Adresse und Browser-Kenndaten an den angesurften Server geschickt, genau wie bei jedem anderen Web-Browser.
Für einige wenige Anwendungen mag dieser Modus durchaus praktisch sein, allerdings kann er nicht permanent eingeschaltet werden und bleiben, sondern muss immer wieder explizit gestartet werden.
Ob Chrome mit diesem Feature sicherer als andere Browser ist, sei dahingestellt. Der Sicherheit zuträglich ist aber immerhin, dass Tabs als eigene Prozesse in einer Sandbox laufen und dass Chrome vor Phishing-Seiten warnt – mit Hilfe des Google-eigenen Anti-Phishing-Dienstes, den auch Firefox nutzt.


Insgesamt magere Ausstattung

So praktisch einige der Features von Chrome sind, so mager präsentiert sich der Browser-Newcomer bei der Ausstattung. Google scheint seinen Browser wirklich nur als Plattform für Web-Anwendungen und zum Websurfen vorgesehen zu haben, und Letzteres auch eher halbherzig. Surfen funktioniert zwar prächtig, und auch die aktuellen Webstandards werden weitgehend eingehalten. Dafür fehlt allerdings eine Bookmark-Verwaltung – ein Feature, das wohl kein Surfer missen möchte.
Auch einen RSS-Reader sucht man vergebens. Für Google stellt dies allerdings nicht wirklich ein fehlendes Feature dar, vielmehr verweist man auf die Google-Reader-Webanwendung, die sich mit Chrome natürlich prächtig nutzen lässt.
Ärgerlicher als derartige «Mängel» ist, dass sich Chrome ungefragt in den Windows-Ordner «Dokumente und Einstellungen» installiert. Das hat zwar den Vorteil, dass sich so allfällige Installations-Einschränkungen für normale User insbesondere im Büroumfeld umgehen lassen, widerspricht aber sämtlichen Konventionen.


Interessant, aber ...

Insgesamt hinterlässt der Google-Browser im Test einen zwiespältigen Eindruck. Während man einige Features, insbesondere das clevere Tab-Handling, schon nach kurzer Zeit kaum mehr missen möchte, macht anderes einen unausgereiften Eindruck. Selbstverständlich muss man dabei immer berücksichtigen, dass es sich bei Chrome um eine Beta-Version handelt; bis zum finalen Release, wann immer der sein mag, dürfte sich noch einiges ändern.
Ob die Handvoll Features, die andere Browser in Kürze ebenfalls bieten dürften, angesichts des Datenhungers von Google viele Anwender zum Umstieg bewegen wird, wird sich zeigen.




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