Editorial

Wer hat Angst vor dem bösen Pinguin?

Der Computer hat den Alltag nicht etwa vereinfacht, sondern verkompliziert, das Internet schafft neue Klassenunterschiede in der Bevölkerung, die IT-Welt steht Kopf.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/44

     

Früher, da war die Welt noch einfach und idyllisch. Es gab keine Computer, kein Internet und auch keine Krisen in der IT-Branche. Das einzige, wovor man Angst haben musste, war der böse Wolf. Glaubte zumindest Rotkäppchen.



Heute ist alles anders: Der Computer hat den Alltag nicht etwa vereinfacht, sondern verkompliziert, das Internet schafft neue Klassenunterschiede in der Bevölkerung, die IT-Welt steht Kopf. Und Rotkäppchen ist nicht nur erwachsen geworden, sondern hat flugs die Fronten gewechselt: (RedHat) Linux und der böse Pinguin sind heute die gefährlichsten Feindbilder. Zumindest für einige.




Allen voran natürlich für den Softwaregiganten Microsoft, wo sich eine ganze Reihe lustiger Gesellen um ihren paranoiden Chef schart und die Entwicklung von Linux gar nicht lustig findet. Direkt ans Eingemachte würde es den Redmondern gehen, erklärt etwa CTO John Conners, sollte sich die Betriebssystem-Alternative Linux auf dem Desktop weiter etablieren können.



Kein Wunder: Bei einer Marge von rund 85 Prozent dürfte jedes nicht verkaufte Windows-Paket die Gewinne Microsofts empfindlich schmälern. Und in der typischen Schwarz/Weiss-Sichtweise spielt es auch keine Rolle, dass Linux auf Desktops gemäss IDC im Jahr 2001 eine Verbreitung von gerade mal 2,7 Prozent hatte - wenn auch mit steigender Tendenz.



Als wäre das noch nicht genug, jetzt auch noch das: Nachdem Dell, HP und Gateway sich bereits im August dazu entschlossen haben, ihre neuen Rechner in einigen Märkten mit Corels WordPerfect auszuliefern, sattelt Sony, wie letzte Woche gemeldet wurde, per Ende Jahr auf Suns StarOffice 6.0 um.



Microsofts Office? Klar, auch für Sony liefert der Marktführer noch immer das beste, was der Büroprogrammsuitenmarkt zu bieten hat, aber leider ein wenig zu teuer. Man muss ja schliesslich auf die Gewinnmarge schauen - auf die eigene, wohlverstanden.



Da die Office- wie die Windows-Sparte zu den Goldeseln gehören und die restliche Produktpalette quersubventionieren, wird Microsoft viele zusätzliche Pakete verkaufen müssen, um die Verluste wettzumachen. Aber wie, wo sich doch Rotkäppchen und der böse Pinguin gerade anschicken, die Desktops endgültig zu erobern?



Das ist der Stoff, aus dem Verschwörungstheorien gemacht sind. Und alle Welt freut sich auf den von Microsoft angestrengten Prozess, in dem sich Bill Gates über die bösen Konkurrenten beklagt, die ihn und seinen Nach-wie-vor-Monopolisten mit unlauteren Methoden vom Markt zu drängen versuchen.



Freuen Sie sich mit mir auf ein weiteres, spannendes IT-Jahr!




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