Schneller Bildverwalter

Einst kaum mehr als ein schneller Bildbetrachter, mausert sich ACDSee zum RAW-Workflow-Tool mit Profi-Ambitionen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/07

     

Es ist ein Fluch mit der digitalen Fotografie: Weil die Bilder nichts kosten, sitzt der Finger (zu) locker auf dem Auslöser. Die Folge davon ist eine wahre Bilderflut –waren früher in Unternehmen im besten Fall einige Produktaufnahmen und vereinzelte Bilder von Betriebsfesten im Mini-Archiv zu finden, füllen heute die Fotos meist gleich von mehreren Hobby-Knipsern die Festplatten und Server. Schliesslich soll die gesamte Firma an den lichtbildnerischen Trouvaillen teilhaben können. Dass diese Bilder, die zweifelsohne aufbewahrungswürdig sind, auch irgendwie verwaltet werden müssen, sollen sie denn irgendwann mit vertretbarem Aufwand wieder aufgefunden werden, merken viele erst, wenn das Chaos bereits überhand genommen hat.






Zum Zweck der Bildverwaltung gibt es mittlerweile viele Lösungen auf dem Markt. Längst nicht alle vermögen allerdings höheren Ansprüchen zu genügen: fehlende Unterstützung für verschiedene RAW-Formate (digitales Negativ), eingeschränkte Funktionalität, komplexe Bedienung oder zu hohe Spezialisierung können einem die Freude am Tool rasch vergällen. Einen goldenen Mittelweg will hier ACD Systems mit dem Pro Photo Manager beschreiten: das Programmpaket wird –ähnlich wie die wesentlich teureren Produkte Aperture von Apple und Lightroom von Adobe –als Komplettlösung für den gesamten Workflow beworben, das von der Bildanzeige über die Bearbeitung und Organisation der Fotos bis zur Archivierung alles beherrschen soll.


Gute Ergebnisse des RAW-Konverters

Mit ACDSee Pro trägt Hersteller ACD Systems der Tatsache Rechnung, dass immer mehr Fotografen teilweise oder sogar ausschliesslich auf das RAW-Format setzen. Dieses (für jeden Kamerahersteller prop-rietäre) Format erlaubt die höchstmögliche Freiheit bei der Bildbearbeitung und verspricht beste Qualität, muss aber zunächst zwingend bearbeitet werden. Dabei übernimmt die Konvertierungs-Software sämtliche Schritte, die bei anderen Formaten wie JPG bereits in der Kamera erledigt werden. Dazu gehören etwa die Berechnung des Weissabgleichs, die Schärfung des Bildes und weiteres.





ACDSee Pro bietet hierfür alle wichtigen Funktionen. So lassen sich zunächst mit intuitiv bedienbaren Werkzeugen und visuell über Kurven die Belichtungswerte justieren, bevor unter dem Reiter «Farbe» der Weissabgleich korrekt gesetzt und die Farbsättigung verändert wird. Als weitere RAW-Werkzeuge bietet ACDSee Pro Filter für die Schärfung des Bilds und die Rauschunterdrückung. Wie andere RAW-Konverter arbeitet auch ACDSee Pro nicht-destruktiv, das heisst, die Änderungen werden als separater Befehlssatz in der Bilddatei gespeichert und erst bei der eigentlichen Konvertierung angewandt, woraus ein neues Bild entsteht. Die Originaldatei bleibt in jedem Fall unverändert.






Die Resultate der ACDSee-RAW-Konvertierung sind qualitativ durchaus mit denjenigen von Adobes Raw-Konverter in Photoshop vergleichbar (und damit wesentlich besser als diejenigen von Apples Aperture). Überhaupt hat sich ACD Systems hier an Adobe orientiert, ist ACDSee Pro doch eines der wenigen Produkte eines Drittherstellers, der Adobes offenes RAW-Format DNG unterstützt. Positiv ist schliesslich noch zu erwähnen, dass ACDSee auch bei Anzeige und Bearbeitung von RAW-Dateien äusserst schnell (beispielsweise im Vergleich zu Adobe Bridge) arbeitet.
Mächtige Werkzeuge bietet ACDSee Pro auch für die Organisation der frisch von Kamera geladenen oder aus anderen Quellen importierten Bilder. Auf dem virtuellen Leuchtpult lassen sich die Bilder schnell auswählen, bewerten, beliebig definierbaren Kategorien zuweisen und mit Stichworten versehen. ACDSee Pro unterstützt dazu nicht nur EXIF, sondern auch den im professionellen Umfeld wichtigeren IPTC-Standard. Ausserdem lassen sich den Fotos in der Datenbank weitere Informationen zuweisen –und all diese Tasks lassen sich auch per Batch-Auftrag automatisieren.


Bildbearbeitung: Keine Stärke

Im dritten Schritt des Foto-Workflows –der Bildbearbeitung –offenbart ACDSee Pro einige Schwächen. Zwar sind alle wichtigen Tools integriert, einige sind im Vergleich zur Version 8 auch neu hinzugekommen. Dazu gehören etwa ein Werkzeug zur Korrektur von Linsenverzerrungen und ein Lichter/Schatten-Werkzeug, mit dem sich die Belichtung von Vorder- und Hintergrund angleichen lassen. Neu ist auch die Möglichkeit, Wasserzeichen in Bilder einzufügen. Ansonsten gibt es die üblichen Werkzeuge zur Bearbeitung der Bildhelligkeit und zur Korrektur von Farbstichen, aber auch zum Scharf- oder Weichzeichnen des Bilds. Im Vergleich zu spezialisierten Bildbearbeitungsprogrammen fehlen aber verschiedene Optionen. Problematisch ist auch, dass sich die Korrekturen nur auf das ganze Bild oder aber einen rechteckigen Ausschnitt anwenden lassen –Auswahlwerkzeuge für unregelmässige Auswahlen sucht man leider vergebens.






Gefallen haben dafür die Vorschauwerkzeuge: Jede Änderung wird sofort auf das Bild übertragen, wie das auch von anderen Programmen bekannt ist. ACDSee Pro verfügt zusätzlich über Buttons, die einen schnellen Vorher/Nachher-Vergleich ermöglichen; auf Wunsch ist sogar eine kleine Vorher/Nachher-Palette permanent einblendbar.
Der eigentliche Clou an ACDSee Pro sind aber die umfassenden Möglichkeiten für die Stapelverarbeitung. Fast jeder Befehl –nicht nur bei der Bildbearbeitung, sondern auch in anderen Programmbereichen –lässt sich per Batch-Auftrag auf zahlreiche Fotos gleichzeitig anwenden, was im Alltag viel Zeit sparen hilft. Die Funktionalität geht insgesamt zwar nicht ganz so weit wie etwa Photoshops Aktionen, ist dafür aber wesentlich einfacher zu hand­haben.


Vielfältige Ausgabemöglichkeiten

Zu einem kompletten RAW-Workflow gehört schliesslich auch die Ausgabe der bearbeiteten Bilder. Hier kommt ACDSee Pro mit einem breiten Set von Möglichkeiten, die allerdings teilweise spielerisch wirken und sich im professionellen Alltag kaum nutzen lassen. So bietet das Programm etwa Wizards zur einfachen Erstellung von Dia-Shows in verschiedenen Formaten (selbstlaufend bis Windows-Bildschirmschoner) oder zum Foto-Versand per E-Mail mit automatischer Grössenveränderung. Praktischer sind dagegen die Möglichkeiten zum Druck von Kontaktabzügen, zur Erstellung von PDFs oder für die Kreation von individuell anpassbaren Web-Galerien. Gefallen hat auch die einfach bedienbare Funktion zur Erstellung von Archiv-CDs oder -DVDs. Ein verstecktes, im professionellen Umfeld aber äusserst wichtiges Feature ist schliesslich das durchgehende Farbmanagement mit ICC- und ICM-Profilen. ACDSee Pro verfügt hier über alle wichtigen Optionen.






Zusammenfassend lässt sich sagen, dass auch ACDSee Pro keine eierlegende Wollmilchsau ist. Insbesondere in Sachen Bildbearbeitung zeigt das Programm Schwächen, die allerdings erst bei spezielleren Aufgabenstellungen wirklich ins Gewicht fallen. Im Vergleich zu seinen hochpreisigen direkten Konkurrenten im RAW-Workflow-Markt schneidet das Programm jedoch gut ab.




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