Das Beste aus zwei Welten: Windows «Whistler» Beta 1
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2000/43
Die Stabilität von Windows 2000, das Interface von Windows Me mit zusätzlichen Verfeinerungen, ein erweitertes Help-System und ein Kompatibilitätsmodus für Windows-95- und Windows-NT-Anwendungen, die unter Windows 2000 nicht laufen: Das ist die Essenz der neuen Windows-Version, die in der zweiten Hälfte 2001 auf den Markt kommen soll und bisher ausser dem Codenamen "Whistler" noch keine endgültige Bezeichnung hat.
Mit dieser Prämisse ist "Whistler" nichts Geringeres als die lange ersehnte softwaretechnische Vereinigung der Consumer- und Business-Betriebssysteme von Microsoft: "Whistler" ist die erste Windows-Version, die dem lästigen Erbe an Windows-9x-Code ein Ende macht; als Basis dient der Code von Windows 2000.
Aktuell steht für Entwickler eine erste Beta der Professional-Version zur Verfügung, die zwar funktional komplett ist, sich jedoch bis zum Release in den einzelnen Features noch stark ändern kann.
"Whistler" Beta 1 liess sich auf einem 266-MHz-Pentium-II-System mit 128 MB RAM - heutzutage eine eher schwache Maschine - ohne jedes Problem installieren, und es läuft mit ansprechender Geschwindigkeit. Wir haben allerdings nicht ein bestehendes Windows 9x oder NT aufgerüstet, sondern die neue Version auf einer separaten Disk mit genügend freiem Platz eingerichtet, so dass sie sich via Boot-Auswahl alternativ zu Windows 2000 starten lässt.
Die gesamte Hardware des Systems wurde anstandslos erkannt, darunter auch die eingebaute Soundkarte vom Typ Soundblaster Live Value, für die nur die Zusatzanwendungen separat installiert werden mussten. Nicht automatisch erfasst wurde dagegen der Drucker, ein bejahrter, nicht Plug&Play-tauglicher MFC6000 von Brother. Das Modell war aber erfreulicherweise in der Treiberdatenbank von "Whistler" enthalten, konnte über die Kontrollfeld-Option Add Printer ohne Beizug externer Quellen installiert werden, druckt problemlos und lässt sich von einer anderen Windows-2000-Station aus als Shared Printer nutzen. Die einzigen Probleme gab es mit einem Device, das auch sonst als Sorgenkind gilt: Ein an den Parallelport angeschlossenes Zip-Laufwerk wurde weder automatisch erkannt, noch zeigte der Hardware-Assistent einen mitgelieferten Treiber für das Gerät an.
"Whistler" wartet mit einer eleganten Oberfläche auf, die grafisch etwas an die neue Windows-CE-Version erinnert. Über weite Teile ist sie mit den von Windows 2000 her bekannten Ein- und Ausblendeffekten ausgestattet; das Aussehen der Fenster und Kontrollelemente kann mit der Appearance and Themes-Kontrollfeldoption eingestellt werden.
Der Welcome-Bildschirm bringt Windows-98-Benutzern Neues. Auf einem "Whistler"-System lassen sich neben dem Administrator analog zu Windows 2000 mehrere User mit jeweils eigenen Berechtigungen und Einstellungen für das Erscheinungsbild definieren. Zuerst erscheint deshalb ein bildschirmfüllender Dialog zur Benutzerauswahl und Passworteingabe.
Das Kontrollfeld kommt völlig neu daher und gibt dem Anwender instruktive Führung bei der Konfiguration seines PC. Als Erstes präsentiert es zehn Funktionsbereiche wie Printers and other Hardware, Sounds and Audio Devices oder Add or remove Programs. Durch Anklicken einer der Optionen kommt man in die nächste Ebene, die mehr Details zeigt: Zuoberst erscheinen die wichtigsten Aufgaben (zum Beispiel Increase space on my harddisk im Bereich Performance and Maintenance), darunter findet man die passenden Optionen (zum Beispiel Administrative tools), die man vom Windows-2000/98-Kontrollfeld her kennt. Am linken Fensterrand zeigt "Whistler" Querverweise auf verwandte Themen sowie kontextabhängige Links zu den Troubleshooting-Infos im Hilfesystem an.
Auch das Startmenü hat eine tiefgreifende Mutation erfahren und wirkt zunächst reichlich ungewohnt - gut, dass man es auf Wunsch auch im klassischen Windows-2000-Stil haben und mit zahlreichen Optionen dem persönlichen Geschmack anpassen kann.
Im weiss hinterlegten linken Bereich des als Default eingestellten neuen "Simple Start Menu" findet man die am häufigsten genutzten Programme, Internet- und E-Mail-Zugang. Der Zugriff auf die übrige installierte Software erschliesst sich erst nach einem Klick auf More Programs.
Daneben bietet die Simple-Variante auch Links zum Ordner My Documents samt den Unterverzeichnissen My Pictures und, neu dazugekommen, My Music. Beim Sichern entsprechender Dateitypen schlägt "Whistler" jeweils automatisch einen dieser Ordner vor.
Ebenfalls im Einzugsbereich des Simple-Startmenüs: Häufig genutzte Netzadressen und, irritierenderweise nicht mehr auf dem Desktop selbst vorhanden, das Icon My Computer zum Schnellzugriff auf sämtliche Festplatten und Wechselmedien.
Besonders Vielsurfer werden eine neue Eigenschaft der Taskleiste schätzen: Sobald der Platz nicht mehr reicht, werden verschiedene gleichzeitig laufende Instanzen eines Programms wie mehrere Internet-Explorer-Fenster in einem einzigen Button zusammengefasst; die jeweiligen Fenster lassen sich dann per Popup-Menü einzeln anwählen.
Ein weiteres platzsparendes Detail: Nach einiger Zeit werden nicht benötigte Notification-Icons (das sind die kleinen Statusanzeigen am rechten unteren Bildschirmrand) aus der Taskleiste ausgeblendet.
Wenig Freude bereitet Microsoft den Herstellern von CD-Brennsoftware: CD-R- und CD-RW-Scheiben behandelt das neue Windows fast wie andere beschreibbare Wechselmedien.
Um Dateien und Ordner auf eine CD zu brennen, zieht man sie einfach von einem Explorer-Fenster auf das geöffnete Fenster des CD-Brenners; dort werden sie als Files to add to the CD markiert, bis man mit dem Befehl Write to CD den Brennvorgang einleitet. Auch dieses Feature funktioniert in der Beta tadellos. Alternativ lässt sich ein Objekt auch per Klick mit der rechten Maustaste über den Befehl Send to Writable CD im Kontextmenü zum Brennen vormerken. Details wie den Abschluss der Session erledigt "Whistler" im Hintergrund vollautomatisch. Den erfolgreichen Abschluss der Brennsession signalisiert eine Sprechblase, die vom CD-Writer-Icon in der Taskleiste ausgeht.
Am Beispiel der integrierten CD-Writing-Software zeigt sich die Task-orientierte "Whistler"-Umgebung deutlich: In einem Explorer-Detailfenster werden je nach Typ des gewählten Objekts am linken Fensterrand passende Aufgaben präsentiert, die sich mit einem Mausklick ausführen lassen. Darunter bietet "Whistler" Direktzugriff zu Other Places, Papierkorb, My Documents sowie die Detailinformationen zum selektierten Objekt im Windows-2000-Stil.
Grundsätzlich sollte alle Software, die unter Windows 2000 keine Probleme macht, auch auf einem "Whistler"-System laufen. Wir haben diverse Anwendungen installiert und keinerlei Schwierigkeiten festgestellt. Nicht Windows-2000-konforme Programme bewältigt "Whistler" mit dem Windows-95/NT-Kompatibilitätsmodus, der allerdings bei jedem Start eines solchen Programms explizit aktiviert werden muss. Das funktioniert unterschiedlich gut; besonders hardwarenah programmierte Windows-98-Games, die unter Windows 2000 abstürzen, laufen auch im Kompatibilitätsmodus nicht. Der wirkliche Nutzen dieses Features wird sich allerdings erst in der definitiven Version erweisen.
Auch ältere Treiber für Peripheriegeräte machen Schwierigkeiten: Windows-98-Treiber arbeiten unter "Whistler" grundsätzlich nicht; da muss schon ein Windows-2000-konformer Treiber her. Bis zur Marktreife von "Whistler" dürften allerdings die meisten Gerätehersteller ihre Treiber angepasst haben.
"Whistler" soll eine Systemplattform für alle Arten von Anwendern werden. Das Betriebssystem wird in diversen Server-Versionen sowie einer Professional-Version für den Büroeinsatz und einer Personal-Ausgabe für das Consumer-Segment erhältlich sein. Interessanterweise ist das Consumer-orientierte Videoschnittprogramm Windows Movie Maker in der Professional-Beta ebenfalls enthalten; es ist nicht klar, ob Microsoft dies auch für die Release-Version plant.
Ein Blick auf den der Betaversion beiliegenden Feature Guide macht klar, dass der Windows-2000-Nachfolger nicht nur für den Einzelbenutzer gedacht ist: Von den insgesamt 132 Seiten befassen sich nur gerade 41 mit Verbesserungen für den Anwender; der Rest bezieht sich auf Informationen für Systemadministratoren, Entwickler und OEMs.
Eines der interessantesten neuen Features für den "Whistler"-Einsatz im Unternehmen ist Remote Assistance: Bei Problemen kann der Anwender direkt aus dem Help-System heraus per E-Mail von einem anderen User Hilfe anfordern.
Dieser kann über ein spezielles Client-Programm von seiner eigenen Station aus die Kontrolle über das System übernehmen, das Problem lösen und gleichzeitig dem hilfebedürftigen Anwender den Lösungsweg praktisch demonstrieren. Technisch entspricht dies einer Single-User-Version der Windows Terminal Services. Sollte diese Funktion noch weiter ausgebaut werden, dürften fortan auch die Hersteller von Remote-Control-Lösungen einen schweren Stand haben.