E-Government im föderalen Spannungsfeld

Neid unter Gemeinden verhindert durchgängige E-Government-Lösungen, obwohl die Voraussetzungen günstig wären.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/14

     

Die Voraussetzungen wären optimal, mit der Umsetzung hapert’s aber ganz gewaltig: Die Schweiz ist mit PCs und Breitbandanschlüssen reich gesegnet und tätigt hohe IT-Investitionen pro Kopf. Auch bei der «E-Government Readiness», also der generellen Fähigkeit der öffentlichen Hand, Online-Dienstleistungen zu erbringen, landet unser Land immerhin im europäischen Mittelfeld.


Potential schlecht genutzt

Betrachtet man aber die tatsächlich realisierten E-Government-Dienste, liegen wir in einem Benchmark von Capgemini, der europaweit 20 überall gängige Dienstleistungen der öffentlichen Hand auf ihren Online-Umsetzungsgrad hin prüft, abgeschlagen im letzten Drittel. Noch deprimierender sieht es bei vollständig online abzuwickelnden Transaktionen aus – hier steht nur Lettland noch mehr in den Miesen als die Eidgenossenschaft.
Zwar sind sämtliche 26 Kantone und etwa 60 Prozent der rund 2800 Gemeinden online. Das Angebot beschränkt sich aber oft auf Informationen zum Telefonverzeichnis der Gemeindeverwaltung über den Abfallkalender bis zu einfachsten Online-Formularen, mit denen sich zum Beispiel die gemeindeeigene Waldhütte reservieren lässt. Komplexere Transaktionen, die mehrere Amtsstellen auf verschiedenen politischen Stufen involvieren, sind praktisch nirgends rein online zu erledigen. Dabei brächten gerade solche Dienste den grössten Nutzen – sowohl für den Bürger als auch fürs kommunale Budget.
Amtliche Vorgänge finden in der Schweiz auf mindestens drei Stufen statt: Gemeinde, Kanton und Bund. Auf jeder Stufe geniessen die Akteure weitgehende Autonomie, was auch für den ICT-Einsatz gilt und direkte Folgen fürs E-Government hat, wie Jürg Römer, Delegierter für die Informatikstrategie des Bundes, in einem Referat feststellte: In 26 Kantons- und Hunderten von Gemeindelösungen, die oft die gleichen Aufgaben zu erledigen haben, wird das Rad immer wieder neu erfunden, und jedesmal kostet die Entwicklung unnötig Geld. Koordination sei bisher freiwillig. «E-Government wird heute in Strukturen und Verwaltungsprozessen sowie im Stil des 19. und 20. Jahrhunderts betrieben. Sicher besteht der Kern des Föderalismus nicht aus unterschiedlichen Werkzeugen für die gleichen Aufgaben», stellt Römer fest.


Zentralismus ist keine Alternative...

Der Föderalismus ist und bleibt die Basis der Schweizer Demokratie. Trotz intensiven Diskussionen über Gemeindefusionen und interkantonale Zusammenarbeit wird sich an der weitgehenden Autonomie prinzipiell wenig ändern. Römer warnt deshalb ausdrücklich vor einer zentralistischen Sicht auf die E-Government-Problematik: «Zentrales E-Government in einem dezentralen Staat mit dezentralen Verwaltungen funktioniert nicht. Verwaltungsstruktur und ICT-Struktur müssen iden-tisch sein.» Ein aus Bern diktiertes E-Government-Korsett kommt also nicht in Frage. Der Bund soll vielmehr gesetzliche Grundlagen schaffen – wie das Anfang Jahr endlich verabschiedete Gesetz zur elektronischen Signatur – sowie Standards festlegen und mit eigenen Projekten Prozesse, Schnittstellen und Netze im Stil von Faits-accomplis etablieren, an die sich die Partner dann halten müssen, wenn sie mitmachen wollen.


...aber der Föderalismus braucht eine Auffrischung

Römer plädiert für die 80/20-Regel: Als «E-Government des 21. Jahrhunderts» sieht er eine einzige Kantonslösung und einige wenige Gemeindelösungen pro Aufgabe, die jeweils den Grossteil der funktionalen Anforderungen erfüllen. Die Voraussetzung dafür sind harmonisierte Prozesse, klare Standards, Absprachen zwischen den Akteuren und der Verzicht auf die restlichen paar Prozent Funktionalität bei gemeinsamen Lösungen.
Damit dies möglich ist, muss diskutiert werden: Welche Entscheidungen werden wo getroffen? Welche Verwaltungsprozesse müssen wirklich kantons- oder gemeindespezifisch sein? Ist es sinnvoll, wenn jede noch so kleine Gemeinde alle Aufgaben selbst erledigt? Der Informatikstratege Römer kommt zum Schluss: «Die Grundsatzdiskussion muss rasch aufgenommen werden, bisher ist man ihr weitgehend ausgewichen.»
Fazit: Die Politiker sollten die Möglichkeiten von ICT und E-Government verstehen und sich vermehrt für eine nutzbringende Anwendung dieser Technologien einsetzen. In besonderem Mass gilt dies für die Gemeinden, denn sie sind die erste und wichtigste Anlaufstelle für Bürger und Wirtschaft. Bis dato mangelt es hier oft sowohl an Know-how als auch an Interesse, vor allem in kleineren Ortschaften, die nicht über die nötigen Ressourcen verfügen: Rund die Hälfte der Schweizer Kommunen hat ein ICT-Budget von weniger als 22'000 Franken pro Jahr. Hier helfen nur Zusammenarbeit und Koordination.


Das Fundament ist gelegt

Es fehlt keineswegs an Anstrengungen, der E-Government-Misere beizukommen – diskutiert wird viel, und immer mehr gelangen konkrete Standards und Empfehlungen ans Licht. Allerdings beschränkt sich die Diskussion bisher auf Fachkreise. Gesamtschweizerisch beschäftigen sich vor allem zwei vom Bund initiierte Organe mit dem Thema:


• Die Initative «e.vanti» dient unter Federführung des Informatikstrategieorgans des Bundes dem Erfahrungsaustausch, der Schaffung von Synergien und der Sensibilisierung der Politiker. Unter www.evanti.ch findet sich neben grundlegenden Informationen das «Portfolio», eine Liste von derzeit rund 150 konkreten E-Government-Aktivitäten, die entweder schon realisiert sind oder im Moment umgesetzt werden. Auf der Website wird auch eine ausführliche aktuelle Situationsanalyse zum Stand von E-Government in der Schweiz präsentiert, die die Ergebnisse verschiedener Studien eindrücklich zusammenfasst.


• Der Verein «eCH» fördert und verabschiedet E-Government-Standards. Die Mitgliedschaft umfasst 18 Kantone, die Schweizerische Informatikkonferenz SIK, bisher 13 Gemeinden sowie den Schweizerischen Städteverband. Eines der Ergebnisse der eCH-Fachgruppenarbeit ist SAGA, eine detaillierte Sammlung technischer Standards, die bei E-Government-Projekten zum Einsatz kommen sollen. Version 1.2 des Dokuments liegt vor; eine neue Version steht kurz vor der Veröffentlichung.



Auch Forschung und Lehre rund um E-Government sind in der Schweiz in Form des auch international anerkannten «Center of Excellence for Electronic Government» prominent etabliert. Es wird von der Uni St. Gallen und dem IT-Dienstleister Abraxas unter der Leitung von Professor Kuno Schedler als «virtuelles Netzwerk für anwendungsorientierte E-Government-Forschung» betrieben. Und zunehmend beschäftigen sich auch weitere Kreise mit dem Thema – die Schweizerische Staatsschreiberkonferenz widmete ihre Frühjahrstagung 2005 ganz dem
E-Government und kommt zum Schluss: «Föderalismus ist kein grundsätzliches Hindernis.»


Koordination konkret: Beispiele, die hoffen lassen

Das beste Mittel gegen föderalistischen Lösungswildwuchs ist die Koordination – ganz nach dem altbewährten Motto «gemeinsam sind wir stärker». Zumindest einige Projekte zeugen davon, dass dies in Politik und Verwaltung langsam verstanden wird. Besonders erwähnenswert sind Projekte in den Kantonen St. Gallen, Glarus, Zürich und Aargau:


• Im Kanton St. Gallen ist die elektronische Zusammenarbeit von Gemeinden und Kanton teilweise schon geregelt. Das Kommunikationsnetz KOMSG schafft die Basis für Anwendungen, die von allen angeschlossenen Gemeinden genutzt werden können, darunter ein Geoportal und Applikationen für Grundstückschätzung, informatikgestützte Geschäftsabwicklung sowie eine Steuerlösung für natürliche Personen und die Zivilstandslösung Infostar. St. Gallen geht aber noch einen Schritt weiter: Ein E-Government-Gesetz liegt im Entwurf vor. Es postuliert unter anderem ein interkommunales E-Government-Organ als Ansprechstelle für den Kanton und Vertreter der Gemeinden sowie einen paritätisch aus Vertretern von Kanton und Gemeinden zusammengesetzten E-Government-Rat, der Strategie und Standards ausarbeitet und den Vollzug überwacht. Das Gesetz sieht sogar vor, dass bei entsprechenden Mehrheitsverhältnissen einzelne Gemeinden zur Mitwirkung bei gemeinsamen E-Government-Anstrengungen verpflichtet werden können.


• Glarner Gemeinden, Werke und der Kanton Glarus haben den freiwilligen Verbund «Glarus hoch 3» ins Leben gerufen. Das Ziel sind kostengünstige und effiziente Verwaltungsprozesse auf der Basis einer zentralen Informatikplattform und standardisierter Abläufe nach dem Motto «Einmal gemeinsam statt 27 mal individuell.» Nachdem frühere Anstrengungen wie gemeinsamer Software-Einkauf und ein Gemeinschafts-Datacenter gescheitert waren, zeitigt «Glarus hoch 3» fast sofort Erfolge: In vier teilnehmenden Gemeinden reduzierten sich die Kosten für die IT-Dienstleistungen dank einer Standard-Basislösung um die Hälfte; insgesamt ergibt sich für die betroffenen Prozesse eine Kostenreduktion von 25 Prozent. Bis Ende September 2005 sollen 8 der 27 Glarner Gemeinden und 3 von 10 Elektrizitätswerken produktiv nach den Glarus-hoch-3-Vorgaben arbeiten.


• Die Kantonale Drucksachen- und Materialzentrale Zürich offeriert einen E-Formular-Service auf Basis interaktiver PDF-Formulare. Bürger und Firmen, die bisher mit Papierformularen zu kämpfen hatten, können Formulare nun elektronisch beziehen, ausfüllen und weiterleiten. Die KDMZ übernimmt für ihre Kunden – Ämter und Gemeinden – auch das Hosting der Formulare und die Integration in den bestehenden Webauftritt samt Beratung. Pro Formularvorgang lässt sich so fast die Hälfte der Kosten einsparen, die bei Papierformularen anfallen.


• Die Aargauer Gemeinden Rottenschwil und Unterlunkhofen haben im Frühling 2002 in einer mustergültigen Eigeninitiative den gemeinsamen Aufbau eines Internet-Auftritts an die Hand genommen und unter dem Projektnamen GIGA (Gemeinschaft Internet-Gemeinden Aargau) gleichzeitig weitere Gemeinden zum Mitmachen eingeladen. Nach dem Erstellen eines Pflichtenhefts, einer eingehenden Evaluation und der Auswahl eines Anbieters gingen Ende Januar 2003 bereits neun Gemeinden mit einer neuen, CMS-basierten Standard-Website online. Bis heute haben sich insgesamt 22 Gemeinden der Giga-Idee angeschlossen und präsentieren den Einwohnern eine Website mit Informationen samt Veranstaltungskalender, Ortsplan und Online-Schalter zum Bestellen oder Herunterladen von Formularen.


• Auch der Kanton Aargau betreibt intensive E-Government-Aktivi-täten: Er beschäftigt einen E-Government-Leiter und hat die Firma Public Info Services (PUBLIS) gegründet, eine Aktiengesellschaft im Besitz des Kantons und der teilnehmenden Gemeinden. PUBLIS bietet den Aargauer Gemeinden neben Know-how und Erfahrungsaustausch diverse IT-Dienstleistungen inklusive einer anbieterneutralen Budget-Beratung, drei Standard Gemeindesoftwarepakete nach Wahl sowie Büro- und Verbrauchsmaterialeinkauf zu Sonderkonditionen.

(ubi)


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