Editorial

Patentrecht und Software passen nicht zusammen


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/14

     

Genau 283 Patente gefährden Linux, deshalb zögert München nun bei der Umsetzung des geplanten Vollumstiegs auf das freie Betriebssystem. Zwar sind, wie das bundesdeutsche Justizministerium bekräftigt, «die vorgebrachten Sorgen nicht berechtigt. Es ist kein Fall in Deutschland bekannt, in dem freie Software in einem Patentverletzungsverfahren angegriffen wurde.» Die Sache mit den 283 Patenten stammt im übrigen ja auch bloss von einer Versicherung, die sich damit mit entsprechenden Risikobegrenzungsdiensten anbiedern will.





Aber dennoch – mit einem neuen EU-Patentrecht samt expliziter Abdeckung von Softwarepatenten, einer wildgewordenen SCO, die klagetechnisch nicht mal vor IBM zurückschreckt, und dazu noch dem Branchenleader Microsoft im Nacken, der immerhin 4500 lizenztechnisch bisher brachliegende Patente im Köcher hat, gehen die Bedenken nicht so rasch aus dem Kopf. Grosszügigerweise bietet die Gates-Firma ihr letzten Dezember gestartetetes Lizenzierungsprogramm auch Open-Source-Projekten an – das passt aber überhaupt nicht zu Free-Software-Lizenzen wie der GPL, insbesondere nicht zu deren siebtem Paragraphen. Der nämlich stellt lapidar fest, Software mit patentierten und aus diesem Grund nicht gebührenfrei weiterzugebenden Teilen genüge nur dann sowohl dem Patentrecht als auch der GPL, wenn sie gar nicht erst verbreitet werde.






Schwenken wir nun in die Schweiz und nehmen das hiesige Patentrecht unter die Lupe, das in den Grundzügen aus dem Jahr 1954 stammt. Gleich in Artikel 1 geht es um die Patentierbarkeit. Absatz zwei legt fest: «Was sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, ist keine patentfähige Erfindung.»
Ich bin zwar, Gott bewahre, kein Jurist. Der gesunde Menschenverstand sagt mir aber, dass viele der angesprochenen Patente von Microsoft & Co., in denen es ja meist um Kleinigkeiten wie das etwas längere Drücken eines Buttons zum Auslösen einer speziellen Funktion oder die Nutzung eines Browsers zum Zugriff auf eine Anwendung geht, vor dieser Regelung kaum Bestand haben. Triviales, das sich gewissermassen natürlich aus bestehenden Technologien wie Internet und Browser ergibt oder sich per Analogie aus anderen Lebensbereichen ableiten lässt, darf einfach nicht patentierbar sein und ist es hierzulande bisher offenbar tatsächlich nicht. Schliesslich kommt jeder halbwegs begabte Programmierer spätestens nach dem dritten Kaffee auf solche Ideen.






Die Entwicklung von Software – egal ob kommerziell motiviert oder vom Open-Source-Gedanken geprägt – passt aus einem weiteren Grund prinzipiell nicht ins Korsett der althergebrachten Patentgesetze. Diese sind allesamt für die klassische Industrie formuliert, in der sich die Produktentwicklungszyklen nach Jahren bemessen. Im IT-Sektor geht alles viel schneller: Was heute State-of-the-Art ist, kann morgen schon überholt sein. Die gesetzlich mögliche Dauer von Patenten, laut Schweizer Recht maximal 20 Jahre, trägt den neuen Gegebenheiten keine Rechnung – oft ist eine softwaretechnische Innovation schon kalter Kaffee, bevor das Patent überhaupt genehmigt ist. Was also tun – Fristen verkürzen? Statt 20 Jahre 20 Monate? Oder gar 20 Tage? Derart drastisch beschnitten bringt ein Patent ausser Spesen überhaupt nichts, also verzichtet man besser von Anfang an darauf. Die einzig vernünftige Lösung: Softwarepatente nein!

(ubi)


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