Editorial

Das iPhone und die Folgen


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/01

     

Damit hatte kaum jemand gerechnet, nicht zuletzt dank gezielt verbreiteter Gerüchte um Produkte, die gar nie wirklich geplant waren: Apple hat am neunten Januar nicht etwa ein kommunes Musikhandy oder einen iPod mit aufgepfropfter Telefonfunktion angekündigt, sondern – Originalton Steve Jobs – «das Telefon neu erfunden». Zumindest was die Bedienung eines Mobiltelefons angeht, scheint der Apple-Chef nicht zu übertreiben; ein Smartphone ohne Tasten hat es bisher wirklich nicht gegeben.



Ich will hier nicht weiter auf technische Details eingehen, auf Seite 7 und auf der Apple-Website gibt es dazu viel zu lesen – wenn auch nicht alles: Die Jobs-Keynote war nämlich trotz Überlänge in vielen Punkten vage genug, dass sich bis zum US-Markteintritt im Juni noch einiges ändern kann. Interessant sind vielmehr die Reaktionen auf die Ankündigung. Hier frenetischer Beifall der Apple-Fans, aber auch der Börsianer – Apple stieg sprunghaft, während zum Beispiel Nokia tauchte. Höchst interessiert sind auch die europäischen Telcos von Telefonica über Orange bis T-Mobile; sie alle hätten wohl am liebsten wie AT&T in den USA einen mehrjährigen Exklusivvertriebsvertrag.



Dort herbe Enttäuschung bei Forumsteilnehmern und teils bei der ICT-Presse: Das iPhone unterstütze weder Java-Applikationen noch biete Apple offene Schnittstellen für zusätzliche Anwendungen von Drittherstellern. Der Akku sei nicht auswechselbar, und es gebe keinen Speicherkartenslot. Das stimmt zwar zumindest teilweise – der Akku wird sich wie beim iPod zwar nicht durch den User, aber bei jedem Händler auswechseln lassen. Apple hat an einer Pressekonferenz nach der Keynote wirklich offiziell gesagt, man wolle keinen Wildwuchs an Third-Party-Applikationen und biete deshalb kein SDK. Ob damit das letzte Wort schon gesprochen ist, wage ich allerdings zu bezweifeln.



Wie bei allen sagenumwobenen Themen gab es ausserdem auch ganz exotische Behauptungen wie die fehlende Kamera (das Gerät hat eine 2-Megapixel-Kamera) sowie blosse Vermutungen, die naturgemäss ohne praktische Erfahrung geäussert werden. So befürchten Pommes-Frites-Liebhaber, der Touchscreen sei nach kurzem Gebrauch derart verfettet, dass das Gerät unbenutzbar werde. Alles in allem, so die schlimmsten Kritikaster, sei das iPhone hässlich, unbrauchbar und werde sich nicht verkaufen. Dem gegenüber steht das geradezu exorbitante Interesse, das zum Beispiel amazon.de (derzeit «Verkaufsrang» 50 in der Sparte Elektronik) schon dreiviertel Jahre vor dem vermuteten Verkaufsstart und ohne jede Preisangabe nachweist.



Ob sich das jetzt angekündigte Gerät gut verkauft oder nicht, ob es wie erwartet zahlreiche weitere Modelle geben wird oder nicht, ob Apple mit Erfolg in den Mobiltelefonmarkt eintritt oder kläglich floppt, eines ist jetzt schon sicher: Der Hersteller mit dem angebissenen Apfel und neu ohne «Computer» im Firmennamen hat den Smartphone-Markt gründlich aus seinem dornröschenschlafartigen Zustand aufgerüttelt, und die ganze Welt redet vom iPhone. Das hat schon länger niemand mehr geschafft.

(ubi)


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