Werkzeuge fürs elektronische Lernen
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/18
Was ist eigentlich E-Learning? Die Frage steht ganz oben auf der Startseite des Schweizerischen Bildungsservers educa.ch, eines Gemeinschaftsprojekts des Bundesamts für Berufsbildung und Technologie BBT und der Erziehungsdirektorenkonferenz EDK. Eine einfache Antwort findet sich dort aber nicht, eher neue Fragen: Bedeutet E-Learning Lernen am Computer, multimediales Lernen oder Teilnahme an einem Kurs in Kanada vom Schlafzimmer aus? Erschöpft sich E-Learning in Abkürzungen wie CBT, WBT und LMS? Eine Feststellung trifft für Thomas Tribelhorn, Autor des Educa-Dossiers E-Learning, aber auf jeden Fall zu: Auch beim E-Learning sollte ein durchdachtes didaktisch-methodisches Design die Hauptrolle spielen – es tritt aber angesichts der technischen Möglichkeiten oft in den Hintergrund.
Um Didaktik und Methodik soll es uns hier aber nicht gehen. Statt dessen möchten wir den Softwaremarkt etwas näher auf Produkte untersuchen, die unter dem Hype-Label «E-Learning» verkauft werden. Schon ein erster Blick zeigt, dass mit Hinweis auf die computerunterstützte Bildungsvermittlung die unterschiedlichsten Produkte angeboten werden. Am unteren Ende der Skala stehen Tools zum Aufzeichnen von Bildschirmaktivitäten, das High-end bilden Lernplattformen zur Verwaltung des elektronischen Kursangebots ganzer Unternehmen und Universitäten. Grob gesehen lässt sich der E-Learning-Markt in drei Softwarekategorien einteilen:
- Autorenwerkzeuge (Authoring Tools): Software zum Erstellen von Web- oder allgemein computerbasierten Lerninhalten. Neben dem Zusammenstellen von bereits elektronisch vorliegenden Texten, Bildern und Multimedia-Inhalten zu einem Kurs mit didaktisch sinnvoller Struktur bieten viele Autorenwerkzeuge auch die Möglichkeit, interaktive Fragen und Prüfungen in Form von Online-Fragebögen einzubauen. Dabei steht meist eine ganze Palette von Fragemethoden wie Multiple-Choice, Lückentext, freie Formulierung oder interaktiv manipulierbare Simulation zur Verfügung.
Die Ergebnisse solcher Tests werden entweder bloss unmittelbar dem Lernenden angezeigt, zusätzlich intern ausgewertet oder zur zentralen Auswertung an ein Learning-Management-System weitergeleitet. Ein gutes Authoring-Tool erlaubt zudem, anhand der Antwort auf eine bestimmte Frage zu unterschiedlichen Folgeinhalten zu verzweigen. Dem Lernenden stehen so je nach Lernerfolg mehrere Lernpfade zur Verfügung.
Gerade die letzte Feststellung zeigt: Mit der simplen Aneinanderreihung von Fakten ist noch lange kein brauchbarer E-Learning-Kurs gestaltet – didaktisches Know-how ist zwar schon bei der Planung, besonders aber auch bei der konkreten Gestaltung eines Kurses gefragt.
Eine Lernplattform deckt also die unterschiedlichsten Funktionsbereiche ab – und jedes System legt das Schwergewicht anders: Während ein Produkt mit starken Kollaborations-Features glänzt, eignet sich ein anders vielleicht besonders für die Kurs- und Teilnehmerverwaltung in grossen Organisationen. Auch einige allgemein einsetzbare Groupware- und Conferencing-Lösungen positionieren sich als E-Learning-Plattform; es mangelt diesen Produten aber meist an weitergehenden bildungsorientierten Features wie Kurs- und Ergebnisverwaltung. Wir haben sie deshalb ebensowenig in die Marktübersicht aufgenommen wie sogenannte Knowledge-Management-Lösungen, die sich teils ebenfalls im Dunstkreis von E-Learning sehen.
Wir haben den Markt für E-Learning-Tools bewusst nur grobkörnig eingeteilt. Andere Autoren unterscheiden zum Beispiel zwischen Kursmanagement-Systemen, Learning-Management-Systemen, Lernplattformen und Learning-Content-Management-Systemen. Bei unserer Kategorisierung geht es in erster Linie darum, ob der Fokus eines Produkts auf dem Erstellen der Lerninhalte, der Verwaltung von Kursen und Teilnehmern oder der mehr oder weniger vollständigen Zusammenfassung verschiedener Aspekte des E-Learning auf einer Plattform liegt. Die Marktübersicht erhebt im übrigen keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.
E-Learning erfolgt heute meist mit einem Webbrowser, Webformate sind also für die Präsentation von Inhalten Pflicht. Diverse Autorenwerkzeuge generieren als Endergebnis Flash-Movies, die sich direkt im Browser abspielen oder in einen anderen Kurs beziehungsweise in ein LMS-verwaltetes Kursangebot integrieren lassen.
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Captivate von Adobe, früher unter dem Namen Robodemo bekannt und kurz vor dem Release von Version 2, ist ein Screenrecording-Programm mit zusätzlichen E-Learning-Features: Neben der Aufzeichnung und Annotation von Bildschirmaktivitäten für Softwaredemos und Simulationen erstellt man mit Captivate auch interaktive Übungen und unterschiedliche Lernpfade. Am Schluss steht ein Flash-Movie, das den LMS-Standards SCORM, AICC und PENS entspricht.
Die ersten E-Learning-Anwendungen entstanden im akademischen Umfeld. Dementsprechend existieren bis heute zahlreiche Lernplattformen, die an Universitäten entwickelt und unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlicht werden. Wir haben die wichtigsten Vertreter dieser Gattung in die Marktübersicht aufgenommen.
Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass viele Open-Source-Lösungen, die sich als LMS verstehen, eigentlich eher Lernplattformen mit Schwergewicht auf Erstellung und Präsentation der Inhalte darstellen. Übergreifende Verwaltungsfunktionen gibt es zwar, sie sind aber weniger ausgeprägt als bei kommerziellen Enterprise-Lernplattformen oder speziell aufs Management zugeschnittenen freien Lösungen wie StudIP. Dies trifft zum Beispiel auf das beliebte Moodle, das Zürcher OLAT oder das belgische Claroline zu.
Andere Projekte wie Interact bieten gute Kollaborations-Features; zu Dokeos gibt es optional Flash-basiertes Live-Videoconferencing. Online-Kollaboration ist auch die Domäne des kommerziellen Produkts Breeze von Macromedia, das sowohl auf einem eigenen Server installiert als auch in Form eines Online-Dienstes abonniert werden kann.
Eine ausgezeichnete Übersicht über Open-Source-LMS-Produkte samt Testberichten, Tutorials und Interviews mit Entwicklern findet sich unter www.lmsnews.com. Eine weitere Informationsquelle ist die Website http://eduforge.org. Sie versammelt bildungsorientierte Open-Source- und Open-Content-Projekte und bietet Diskussionsforen und diverse Demo-Installationen von Authoring-Tools und LMS.
Bei kommerziellen Herstellern gibt es punkto LMS vor allem umfassende Learning-Management-Systeme für den Einsatz in grösseren Unternehmen. Die Produkte von Trivantis, 4system Viwis und anderen Anbietern arbeiten im Gegensatz zu den meist PHP/MySQL-basierten Open-Source-Lösungen auf der Java- oder .Net-Plattform und eignen sich allenfalls besser zur Integration in die bestehende Enterprise-Infrastruktur.
Damit E-Learning-Systeme herstellerübergreifend zusammenarbeiten können, braucht es wie überall in der Informatik einheitliche, offene Standards. Im Fall der elektronischen Bildungsvermittlung betrifft die Standardisierung drei Hauptbereiche: die Metadaten, mit denen die Lerninhalte zwecks Aufnahme im LMS und in Angebotskatalogen charakterisiert werden, die Spezifikationen für das Verpacken der Inhalte in LMS-konformen Austauschformaten und den Aufbau der persönlichen Profile der Lernenden. Aus praktischer Sicht am wichtigsten ist die Möglichkeit, mit verschiedenen Autorenwerkzeugen erstellte Lerninhalte unter einem LMS oder LCMS zu kombinieren.
- Der gängigste Standard für den Inhaltsaustausch heisst SCORM: Das Sharable Object Reference Model wurde im Rahmen der ADL-Organisation (Advanced Distributed Learning) ursprünglich vom US-Verteidigungsministerium entwickelt (www.adlnet.org). Heute unterstützen alle wesentlichen Standard-Organisationen die SCORM-Spezifikationen, die aktuell in den Varianten 1.2 und 2004 beziehungsweise 1.3 vorliegen. Die meisten Authoring-Tools und LMS unterstützen SCORM 1.2; SCORM 2004 ist nicht überall implementiert.
- Ein weiteres Standardgremium entstammt der Luftfahrtindustrie: Das Aviation Industry CBT Committee AICC (www.aicc.org) hat Richtlinien zur Entwicklung, Verbreitung und Evaluation computerbasierter Lernmaterialien festgelegt, die mittlerweile generell für technisch orientiertes E-Learning angewendet werden. Das AICC vergibt auch Zertifikationen für E-Learning-Angebote vom Authoring-Tool bis zum einzelnen Lerninhalt, die den Spezifikationen genügen.
- Daneben existiert eine Reihe weiterer Standards wie das von verschiedenen E-Learning- und Content-Management-Herstellern initiierte Package Exchange Notification System PENS, das unter anderem auch in die AICC-Richtlinien aufgenommen wurde. Für die praktische Interoperabilität ist heute jedoch nach wie vor die SCORM-Konformität am wichtigsten.