Web Services: Mythen und Realitäten
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/11
Ein Thema, das derart gehyped wird, wie dies momentan bei den Web Services der Fall ist, wird leider auch immer von Missverständnissen, Wunschdenken und falschen Versprechungen begleitet. Grund genug, drei der am häufigsten zitierten Mythen aus dem Weg zu räumen.
Technologischer Durchbruch: Web Services werden von vielen Anbietern als grosser technologischer Durchbruch gefeiert. Tatsache aber ist: Der Kern der Web-Service-Idee, Programmfunktionen auf einem entfernten System über sogenannte Remote Procedure Calls (RPC) aufzurufen, existiert bereits seit Jahren. Im Grunde genommen handelt es sich bei SOAP, dem Basis-Protokoll der Web Services, bloss um eine weitere RPC-Variante, die neu via HTTP kommuniziert und bisherige Grenzen wie Firewalls überwinden kann. Der grosse Vorteil von SOAP gegenüber seinen Vorläufern DCOM, Java RMI und CORBA IIOP ist, dass es von jedem namhaften Anbieter der Branche unterstützt wird. Diese breite Zustimmung ist eine echte Novität in der Softwarebranche und stellt die eigentliche Innovation dar. Es ist daher weitaus treffender von einem politischen statt technischen Durchbruch zu sprechen.
Revolution der Komponenten: Immer wieder wird davon gesprochen, Web Services würden den Bau von Anwendungen auf Basis von fertigen Komponenten ermöglichen, die via Internet oder Firmennetz publiziert werden. Zumindest im Intranet konnte man solche Applikationen bereits vor Jahren auf Basis von "alten" Technologien wie DCOM oder IIOP zusammenbauen. Dieser Ansatz wurde aber nicht oft praktiziert. Der Grund: Selten war eine dieser publizierten Komponenten so wertvoll oder nicht lokal replizierbar, dass man dafür die Nachteile einer zwischengeschalteten Netzwerkverbindung hätte in Kauf nehmen wollen. Die steigende Verbreitung von SOAP wird diesen Approach sicher vereinfachen. Insbesondere bei Internetanwendungen dürfte die Einbindung von externen Services zunehmen und auch Sinn machen. Hier von einer Revolution zu sprechen, ist aber übertrieben.
Dynamische Lösungen: Viel gepriesen wird die dynamische Interaktion von Web Services via Internet. Die Vision: Mit Hilfe des Verzeichnisdienstes UDDI (Universal Description, Discovery and Integration) sollen sich Applikationen die für die Lösung nötigen Dienste automatisch zusammensuchen und bei Bedarf diese sogar selbsttätig austauschen können. Aber Hand aufs Herz: Wer wird seiner Software schon erlauben, selbständig seine Business-Partner auszuwählen? Vielleicht werden in ferner Zukunft solche dynamische Umgebungen tatsächlich Realität. Eines der aktuellen Business-Probleme wird damit aber nicht adressiert. Die eigentliche Killerapplikation der Web Services ist die EAI (Enterprise Application Integration), auf unterschiedlichen Plattformen basierende Anwendungen im internen Firmennetz also, die darauf warten, miteinander verzahnt zu werden. Web Services sind geradezu dafür geschaffen, diesen Schuh, der die IT-Industrie schon seit Jahrzehnten drückt, endlich aus dem Weg zu räumen. Werden nun auch noch die offenen Probleme punkto Security gelöst, so dürfte die B2B-Integration schon sehr bald zum zweiten wichtigen Anwendungsgebiet der Web Services avancieren.
Grossspurige Visionen lenken von den wahren Business-Problemen bloss ab, sorgen für Enttäuschungen und helfen wenig, die Idee der Web Services zu verkaufen. Sich auf die Realitäten zu konzentrieren, kann in keinem Fall schaden.