Liebe auf den ersten Blick
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/02
Es ist Liebe auf den ersten Blick – oder eben nicht. Die entscheidende Frage aber lautet: Wie lange dauert der erste Blick? Gitte Lindgaard von der Carleton University im kanadischen Ottawa hat die Antwort – zumindest was die Zu- oder Abneigung gegenüber Websites angeht. Die Psychologin und ihre Kollegen haben herausgefunden, dass der
erste Eindruck bezüglich der Qualität einer Site innerhalb von nur 50 Millisekunden entsteht. Vor ihrer jüngsten Forschungsarbeit waren sie davon ausgegangen, dass es praktisch unmöglich sei, in weniger als 500 Millisekunden etwas so wahrzunehmen, dass sich ein erstes Urteil bilden kann. Die Resultate belegen, dass das Gehirn seinen ersten Blitzentscheid etwa gleich schnell bildet wie das Auge braucht, um Informationen zu erfassen.
Lindgaard ging in ihren Experimenten folgendermassen vor: Zuerst erstellte sie selber eine Rangliste ausgewählter Websites gemäss Kriterien wie Augenfreundlichkeit oder Unübersichtlichkeit. Dann konfrontierte sie die freiwilligen Teilnehmer an den Experimenten für 50 Millisekunden mit den Webpages. Dies entspricht in etwa einem Bildaufbau im Standard-Fernsehformat. Die Versuchskaninchen wurden dabei aufgefordert, ihre Eindrücke in einer fallenden Gefälligkeits-Skala einzutragen. Das Erstaunliche an diesem Experiment: Die Bewertungen nach 50 Millisekunden deckten sich praktisch mit den Beurteilungen der Teilnehmer, nachdem sie eine Site längere Zeit aufmerksam begutachtet hatten.
Die Resultate von Lindgaard, die sie im Fachjournal «Behaviour and Information Technology» veröffentlicht hat, sind von einer nicht zu unterschätzenden Tragweite. Denn in der dichtbesiedelten und hochkompetitiven Landschaft des World Wide Web geht es für die Unternehmen darum, mit E-Commerce Millionen zu verdienen. Das Verdikt von Lindgaard ist eindeutig. «Wenn der erste Eindruck nicht positiv ausfällt, sind die Besucher einer Site schon wieder weg – noch bevor sie feststellen könnten, dass Ihr Unternehmen bessere Produkte hat als Ihre Konkurrenz», stellt sie nüchtern fest.
Dem stimmen auch die Webdesigner zu. So etwa Marc Caudron von der Londoner Agentur Pod1. Er gibt sogar noch einen drauf, wenn er betont, dass 60 Prozent der Besucher einer typischen kommerziellen Site von einer Suchmaschine wie Google dorthin geführt werden. Dadurch, so Caudron, werde der erste Eindruck noch wichtiger. Denn wenn ein Anwender auf seine Abfrage hin eine ganze Liste von Sites erhält, klickt er sich durch. Ist der erste Blick nicht zufriedenstellend, ist er sofort wieder bei seiner Google-Liste. Caudrons Tip für eine gutaussehende Website: Nur wenige Grafiken – und schnelles Laden.