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Free and Open Source Software - vom Basar zum Kaufhaus

Der Schweizerischer Verband der Informations- und Kommunikationstechnologie SwissICT hat in Zusammenarbeit mit /ch/open im Sommer diesen Jahres eine Studie zur Verbreitung von Free and Open Source Software (FOSS) in der Schweiz durchgeführt. Zentrales Thema der Befragung war es, welche Spuren die OSS-Gemeinschaft in Schweizer Unternehmen hinterlassen hat. Die Studie zeigt deutlich die Herausforderungen, die FOSS noch zu bewältigen hat, um mehr Verbreitung und Akzeptanz zu finden.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/20

     

1 Von der Kathedrale zum Basar

Eric Raymond, der Mitgründer der Open-Source-Initiative, einer Organisation, die sich der Förderung von Open-Source-Software (OSS) widmet, prägte mit seinem Manifest «The Cathedral and the Bazaar» die Entwicklung der OSS-Gemeinschaft massgeblich. Raymond beschreibt darin die Vor- und Nachteile der im Open-Source-Bereich weit verbreiteten Entwicklungsmethode des «Basars» gegenüber der Methode der «Kathedrale». Die Kathedrale symbolisiert die herkömmliche Entwicklungsweise: Ein Chef überwacht ein Team, welches hierarchisch aufgebaut ist. Es gibt einen zu Beginn einen Bauplan, der die Entwickler anleitet. Wenn dieser erfüllt ist, ist die Software fertig.
Auf einem Basar dagegen, dem Bild, das er für die OSS-Gemeinschaft benutzt, bieten viele Menschen ihre Waren an ohne hierarchische Strukturen. Übertragen auf die Software-Entwicklung sind die Händler, welche ihre Waren feilbieten, die Programmierer, die neue Programmteile hinzufügen oder Verbesserungen vornehmen. Gerade hier sieht Raymond einer der Hauptvorteile des Basars: Während in der Kathedrale nur eine begrenzte Anzahl «Augenpaare» Fehler finden können, sind es im offenen Modell tausende, denn jeder Benutzer kann auch zum Mitentwickler werden. Nun stellt sich die Frage, was hat die Open-Source Gemeinschaft in der Schweiz mit dieser Organisationsform des Basars heute erreicht? Welche Spuren hat sie in Schweizer Unternehmen hinterlassen? Die Studie des SwissICT hatte das Ziel, die Verbreitung einzelner Applikationen sowie die Vorteile und Bedenken gegenüber Free and Open Source Software zu erfassen.


2 Verbreitung von Free and Open Source Software in der Schweiz

Die vorliegenden Ergebnisse basieren auf einer Online-Befragung, welche im Juni und Juli 2006 durchgeführt wurde. Über 300 Open Source-Interessierte aus verschiedensten Branchen und Organisationen haben an der Studie teilgenommen. Die Branchenzusammensetzung widerspiegelt das breite Interesse an Open Source Software.
Drei Viertel aller befragten Unternehmen setzen Open Source Software ein oder planen innerhalb eines Jahres dies zu tun. Die Hälfte davon berücksichtigt Open Source Software in ihrer IT-Strategie. Jede fünfte Unternehmung (20%) plant auch langfristig keinerlei Einsatz, nur 5% beschränken sich in ihrer IT-Strategie ausdrücklich auf kommerzielle Software. Das häufigste Argument gegen den Einsatz von Open Source Software ist, dass der Umstieg keine Vorteile bringt: «Wir sehen derzeit keine wesentlichen Vorteile, die den Einsatz rechtfertigen würden». Weitere Argumente sind der nötige Aufwand für die Umstellung und Vorgaben der Muttergesellschaft.


Um die Verbreitung genauer messen zu können, wurden die Teilnehmer der Studie gefragt, in welchen Bereichen sie FOSS einsetzen. Dabei wurde zwischen Server und Netzwerk, Entwicklungsumgebung und Desktopanwendungen unterschieden (vgl. Abbildung 1). Am häufigsten wird Open Source Software im Bereich Server und Netzwerk eingesetzt. Der grösste Zuwachs dürfte im Bereich Desktop realisiert werden, wo die Verbreitung heute auf dem niedrigsten Stand ist. Der Einsatz von Open Source Software schliesst allerdings nicht aus, dass ein Unternehmen auch proprietäre Software für denselben Verwendungszweck nutzt. Aus diesem Grund zeigt die folgende Abbildung nicht Marktanteile, sondern nur, ob ein Unternehmen Open Source Software einsetzt oder nicht. In welchem Mass ein Unternehmen dies tut und welche Bedeutung der Einsatz hat, wurde in der vorliegenden Studie nicht untersucht. Der häufigere Einsatz im Server / Netzwerk- und Entwicklungsumfeld wird durch die geringe Anzahl Mitarbeitende in diesen Bereichen begünstigt. Je weniger Mitarbeitende eine Schulung benötigen, desto geringer sind die Kosten für die Schulung. Möglicherweise wird dies auch durch eine höhere Eigenmotivation der Mitarbeitenden in diesem Bereich unterstützt.

3 Meinungen zum Einsatz von Free and Open Source Software

Die grössten Vorteile sehen die Open Source-Interessierten in den charakteristischen Eigenheiten von Open Source. Diese sind offene Standards, die Verfügbarkeit des Source Codes, die grosse Community zum Wissensaustausch sowie die Unabhängigkeit von Lieferanten. Darauf folgt die Kostenersparnis. Mögliche weitere Vorteile erlangen eine unterdurchschnittliche Zustimmung. Der grau eingefärbte Balken gibt den Mittelwert der Bewertungen an. Er hilft, die wichtigen von den unwichtigen Vorteilen zu unterscheiden (vgl. Abbildung 2).


So wird die Sicherheit beispielsweise nicht als wichtiger Vorteil erachtet, obwohl Open Source Software von den Befragten als eher sicherer eingeschätzt wird, wie in einer separaten Frage erhoben wurde. Kostensenkungen sind nach den charakteristischen Eigenheiten von Open Source Software der bedeutendste Vorteil. Dieser wurde genauer untersucht. Potential für Kosteneinsparungen sehen die Open Source-Interessierten vor allem in den Lizenzkosten. Diese Einsparung wird meist als nachhaltig eingeschätzt. Die Nachhaltigkeit erklärt sich vor allem durch die Einsparung kostenpflichtiger Updates. In der Schulung sehen die meisten Open Source-Interessierten kein Potential zur Kosteneinsparung. Bei der Wartung, den Weiterentwicklungen und den Upgrades sind die Kosteneinsparungen umstritten. Die Hälfte der Teilnehmer sagt, dass mit Open Source Software nachhaltige Kostenvorteile erlangt werden können. Genauso viele gehen aber von keinen Einsparungen aus. Die tieferen Lizenzkosten bedeuten nicht zwingend, dass die Total Cost of Ownership niedriger ausfallen.





Bedenken haben besonders viele der Open Source-Interessierten bezüglich fehlendem Support, fehlender Lieferantenhaftung, geringer Bekanntheit der Open Source Software bei den Anwendern, Schwierigkeiten bei Migrationen sowie wegen der geringen Bewährung und dem geringen Wissen über Open Source Software (vgl. Abbildung 3).

Abb. 3: Bedenken gegenüber FOSS.



Die wichtigsten zwei Bedenken beinhalten im Kern, dass der Einsatz von Open Source Software mehr Eigeninitiative der IT-Abteilung auf Anwenderseite fordert.
Der am schwersten wiegende Nachteil wurde in einer separaten Frage erhoben. Die Teilnehmer schätzen die Verfügbarkeit von Dienstleistungen als kritisch ein. Die eine Hälfte der Open Source-Interessierten findet nicht genügend Anbieter für sämtliche Bereiche. Die andere Hälfe findet die notwendigen Dienstleistungen nach einigem Suchen (vgl. Abbildung 4).

Abb. 4: Verfügbarkeit von Dienstleistungen


Unternehmen, welche den Einsatz von Open Source Software planen, bewerten die Verfügbarkeit besser. Die Einschätzung der Verfügbarkeit wird durch die Intensität der Suche positiv beeinflusst. Die eine Hälfte der Befragten ist also der Meinung: Wer sucht, der findet Lieferanten, die auch gute Dienstleistungen rund um die Open Source Software anbieten können. Voraussetzung für den Einsatz von Free and Open Source Software ist entsprechende Eigeninitiative. Die Befragten haben dies erkannt. Die Wichtigkeit der Eigeninitiative spiegelt sich auch in der Graphik über den Know-how-Bezug wider. Wissen über Open Source Software wird selbst aufgebaut (vgl. Abbildung 5).

Abb. 5: Quellen für Know-how zu FOSS.



Nur wenige wenden sich an Beratungsunternehmen oder Lieferanten. Wer Open Source Software einsetzen will, sollte also entsprechend internes Wissen aufbauen. Vor dem Hintergrund der Ressourcenengpässe (häufige Herausforderung), ist diese Notwendigkeit ein Hindernis für die Verbreitung von Open Source Software.

Fazit:

- Open Source Software wird von technisch kompetenten Usern in den Bereichen Server, Netzwerke, Web, Entwicklung eingesetzt


- Desktop-Applikationen sind auf dem Vormarsch.


- Eigeninitative der Entscheidungsträger ist gefordert, weil das Dienstleistungsangebot eingeschränkt ist


Die Studie fördert einen besonderen Nachteil des Basar-Gedankens zu Tage. Es fehlt den Entscheidungsträgern an Orientierungsmöglichkeiten, an Betreuung bei der Entwicklung und im Betrieb. Das sind die Kehrseiten des bunten Treibens auf dem Basar.
So erstaunt es nicht, dass mehr als die Hälfte (57%) der Teilnehmer sagen, dass Open Source Software zwar Markanteile gewinnen wird, aber nicht zur kommerziellen Software aufschliesse. Weitere 17% geben an, dass der Unterschied zwischen nicht- und kommerzieller Software zunehmend verschwinden werde.


4 Vom Basar zum Kaufhaus

Um ihre Kunden besser betreuen zu können, muss die FOSS-Gemeinschaft an ihren Vertriebsmodellen arbeiten. Für eine weitere Verbreitung und Akzeptanz ist es für die FOSS-Gemeinschaft essentiell, die Kunden besser in den Prozessen der Evaluation, der Implementierung und des Betriebs zu unterstützen. Nicht alle Unternehmen haben die möglichen Ressourcen und Motivation und Eigenintiative, sich mit FOSS auseinanderzusetzen. Hier gilt es Unterstützung anzubieten. Open Source ist geprägt von einem enormen Reichtum an Software-Lösungen, -Komponenten und -Plattformen.



Über 140’000 Projekte sind bekannt, täglich kommen neue Projekte hinzu. Die Identifikation von in Frage kommenden Lösungen aus dem riesigen Open-Source-Fundus ist anspruchsvoll. Deshalb vom Basar zum Kaufhaus: Der Kunde sucht nach Orientierungshilfen, Kundendienst, einer umfassenden Beratung, einer bedürfnisorientierten Dienstleistung. Open Source Software wird massgeblich in zwei Vertriebsformen vermarktet. Man kann zwischen dem passiven Vertrieb (auch isolierter Vertrieb) und dem aktiven Vertrieb unterscheiden. Unter passivem Vertrieb versteht man das blosse Abrufbarmachen auf einem öffentlichen Verzeichnis. Der Nutzer kann die Software zu den Bedingungen der Open Source Lizenz beziehen, erhält aber keine weitere Unterstützung vom Entwickler. Der Nutzer darf keine besonderen Erwartungen in die Qualität der Software haben. Vielmehr muss er selber abklären, ob die Software die für ihn wesentliche Qualität aufweist. Da der Sourcecode zur Verfügung steht, ist ihm diese Überprüfung sowohl möglich als auch zumutbar.
Im aktiven Vertrieb, d.h. im Vertrieb durch einen spezialisierten Mehrwertdienstleister, gelten andere Regeln. Der Anbieter sieht es als seine Aufgabe gegenüber seinem Kunden den Nutzen und die Qualität zu kommunizieren und zu argumentieren. Der Kunde wird in seinem Entscheidungsprozess unterstützt.





Die Forcierung aktiver Vertriebskanäle ist ein Schritt in die richtige Richtung. Der zweite liegt in der Organisation der Gemeinschaft. Die FOSS-Gemeinschaft muss sich stärker organisieren. Initiativen wie die Fachgruppe Free- and OpenSource des SwissICT, das FOSS-Directory von /ch/open (http://www.ch-open.ch) und der OSS-Katalog von Optaros und Computerworld (http://optaros-update.blogspot.com) bieten Kunden eine Anlaufstelle beim Suchen von Unterstützung. Solche Anstrengungen gilt es zu verstärken, um den Kunden ebenfalls Orientierungsmöglichkeiten und Anlaufstellen zu bieten.




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