IT-Spezialisten arbeiten am Kunden vorbei
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/13
Wenn alle Firmen zusammen ein Liedchen über IT-Berater singen würden, die ihr Geld nicht wert waren, würde das schon einen hübschen Chor ergeben. Nun aber werden die mangelnden Fähigkeiten von ICT-Anbietern und Führungskräften schwarz auf weiss und schonungslos offengelegt, und die Zahlen sind wenig schmeichelhaft.
Die Studie, die InfoWeek exklusiv vorliegt, wurde von Dr. Pascal Sieber & Partners erhoben. Beleuchtet wurden dabei beide Parteien eines IT-Projekts - sowohl die Anbieter aus den Bereichen Software-Entwicklung, Beratung und Integration (Unternehmen mit 5 bis 55 Mitarbeitern) sowie die Kunden aus den verschiedensten Branchen (Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern). Zum einen wurden Interviews mit Anbietern und Nachfragern zur Bewertung der Fähigkeiten und deren Einfluss auf den Erfolg eines Projekts geführt, zum anderen fand eine Online-Umfrage statt, bei der man herausfinden wollte, welche Fähigkeiten wichtig, welche vorhanden und welche eben nicht existent sind.
Besonders ICT-Berater bekamen bei der Erhebung ihr Fett weg. So schreiben die Studienverfasser: "Von allen erfragten Berufsgruppen überschätzen die ICT-Berater ihre Fähigkeiten am häufigsten." Dies wurde herausgefunden, indem man die Berater sich selbst beurteilen liess und parallel die Kunden befragte. Vor allem die eigene Fähigkeit als betriebswirtschaftliche Berater werden häufig überschätzt.
Die Berater werden den Erwartungen oft nicht gerecht. Ein Beispiel: Von ICT-Beratern wird verlangt, dass sie kundenorientiert arbeiten. Diesem Punkt wurde eine Bedeutung von 3,7 (auf einer Skala von 1 bis 4) beigemessen, bei der Erfüllung dieses Punktes erteilten die Kunden ihren Beratern aber nur eine Wertung von 2,8. Grosse Lücken gibt's aber auch beim Auffassungs- und Analysevermögen (Bedeutung 3,4; Erfüllung 2,7) sowie bei der Kommunikation und bei der Zusammenarbeit (Bedeutung 3,1; Erfüllung 2,4). Die Erwartungen erfüllt wurden hingegen beim IT-Know-how, leicht übertroffen sogar beim Beziehungsmanagement.
Am besten können laut Studie dagegen ICT-Verantwortliche ihre Fähigkeiten einschätzen. Zwar überschätzen auch sie sich beispielsweise beim Konfliktmanagement, der Entscheidungsvorbereitung oder beim Verhandlungsgeschick, jedoch nur geringfügig. Schwächen zeigen die IT-Entscheider bei der Anwenderorientierung. Dieser wird eine Bedeutung von 3,6 beigemessenen, die Erfüllung jedoch wird lediglich mit einem Wert von 2,5 beziffert. Nicht besser sieht es beim Konfliktmanagement aus, dem eine Bedeutung von 3,3 beigemessen, dessen Erfüllung aber nur mit 2,2 gewertet wird.
Eher schlecht stufen die Studienverfasser die Selbsteinschätzungsfähigkeiten von Projektleitern auf Anbieterseite ein, beispielsweise beim betriebswirtschaftlichen Nutzen der IT oder auch beim Darstellen, Präsentieren und Unterrichten. Am meisten Enttäuschung gab es für Kunden beim Projektmanagement. Diesem Punkt wurde eine Bedeutung von 3,5 beigemessen, der Erfüllung jedoch nur eine Wertung von 2,5 erteilt. Eine grosse Lücke klafft zudem auch beim Zeit- und Eigenmanagement (Bedeutung 3,2; Erfüllung 2,4).
Sich selber besser einschätzen können offenbar Projektleiter auf Anwenderseite, doch auch bei ihnen herrscht teils Selbstüberschätzung, beispielsweise beim IT-Know-how, beim Risikomanagement oder bei den Methodenkenntnissen.
Die grössten Lücken zwischen Bedeutung und Erwartung findet man bei internen Projektleitern im Bereich Projektmanagement (Bedeutung 3,4; Erfüllung 2,7) sowie beim Konfliktmanagement (Bedeutung 3,3; Erfüllung 2,6).
Zusammenfassend haben die Macher der Erhebung Top-5-Listen der wichtigsten Fähigkeitslücken erstellt, aufgeteilt in Nachfrager, Anbieter, Projektleiter und Führungskräfte (siehe Tabelle). Ein Blick auf die Listen zeigt, dass sich bei allen vier Gruppen Lücken im Bereich Anwender- beziehungsweise Kundenorientierung finden. Es wird also an der Realität vorbeigearbeitet. Schwächen findet man zudem auch in den Punkten Konflikt- und Projektmanagement.
Welche Schlüsse kann man nun aus dieser Flut von Listen, Bewertungen, Lücken und Selbstüberschätzungen ziehen. Das Team von Dr. Pascal Sieber & Partners fasst die Erkenntnisse aus der Studie folgendermassen zusammen:
ICT-Anbieter mit Erfahrung beurteilen zum einen die Verantwortlichen ihrer Kunden kritischer als unerfahrene Anbieter. Zudem werden auch die Projektleiter der Klientel generell schlechter beurteilt. Für den Kunden bedeutet das nun, dass vor allem die Verantwortlichen der eigenen Firma gefragt sind, wenn sie mit einem ICT-Anbieter mit Erfahrung zusammenarbeiten. Fehlt diese Erfahrung, wird empfohlen, ein externes Projektcoaching zu engagieren, weil sonst die Führung über die Projekte verloren gehen könnte.
ICT-Kunden mit Erfahrung hingegen beäugen die Kundenorientierung sowie das Konfliktmanagement ihrer Lieferanten kritischer als Auftraggeber ohne Erfahrung. Für Anbieter heisst das schlicht, dass sie bei erfahrenen Kunden - vor allem aus dem international tätigen Umfeld - besonderes Augenmerk auf diese beiden Punkte - Kundenorientierung und Konfliktmanagement - legen sollten.
Und noch einen zweiten Tip für ICT-Lieferanten haben die Studienverfasser auf Lager: Kunden aus der Industrie sollte ein besonders gutes Qualitätsmanagement geboten werden, zudem sollten die Mitarbeiter Erfahrung in mehreren Bereichen mitbringen. Bei den Interviews und Umfragen wurde nämlich festgestellt, dass Industriekunden genau diese beiden Anforderungen in den Vordergrund stellen, während Kunden aus dem Dienstleistungssektor weniger Wert auf diese Punkte legen.
Die Top 3 der unerfüllten Erwartungen
Die Berater-Branche leide an Selbstüberschätzung, stellt die Pacal-Sieber-Studie fest. Die Erhebung kommt zu diesem Schluss, weil die Beraterbranche die eigenen Fähigkeiten höher einstuft, als dies ihre Kunden tun. Dass den Beratern schnell einmal der Schwarze Peter zugeschoben wird, erstaunt nicht sonderlich. Allzu oft sind sie es, die ihrer Klientel zu unangenehmen - sprich kostspieligen - Schritten raten müssen. Unbequeme Analysen können dem Kunden auf zwei Arten beigebracht werden: Entweder man legt die Fakten ungeschönt auf den Tisch oder man versucht, die Missstände schönzureden. Ich empfehle die erste Variante. Sie ist ehrlicher, effizienter, kann aber dazu führen, dass dem betreffenden Berater Unfähigkeit in der Kundenorientierung, beim Konfliktmanagement oder der Kommunikation vorgeworfen wird.
René Dubach