Editorial

Wir sind doch alle krank!


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/21

     

An dieser Stelle hätten eigentlich (einmal mehr) bissige Kommentare über Herrn Jens Alder und seine Kompagnons aus der Swisscom-Geschäftsleitung – redaktionsintern als Alder-und-Co.-
Bashing bekannt und betitelt – folgen sollen. Verdient hätten es sich die Herren in Anzug, Krawatte und Mercedes allemal – ein 390-Stellen-
Abbau angesichts eines erneuten Milliardengewinns muss nicht nur für diejenigen, die den blauen Brief bekommen, wie eine Faust aufs Auge wirken.



Was mich aber vom Alder-und-Co.-Bashing abhält, sind nicht allein die grosszügigen Sozialpläne, die für die gefeuerten Mitarbeiter ausgearbeitet wurden. Vielmehr ist es ein Mitglied unserer InfoWeek-Community. «Benpal», so sein Pseudonym, macht uns alle ein bisschen verantwortlich und hat irgendwie auch ein bisschen recht. Er schreibt: «Unsere Jagd nach Billigangeboten führt dazu, dass Stellen abgebaut werden oder an die Konkurrenz übergehen, allerdings zu niedrigeren Kosten beziehungsweise Salären. Wir können nicht erwarten,
dass Swisscom soziale Aufgaben übernimmt und gleichzeitig tiefere Preise
verlangen.»




Klar, diese Argumentation hört man nicht zum ersten Mal. Doch gerade im
Telekom-Bereich ist sie heute richtiger denn je. Wir wollen ja gratis telefonieren, kostenlos das neueste Handy und dazu einen Glasfaseranschluss in unserem Ferienhaus in Hinterpfupfingen.



Okay, die Swisscom geht am Preiskampf nicht zugrunde und – egal was Herr Alder und Co. erzählen – würde es, auch wenn das Stellenniveau auf 20'000 Mitarbeitern gehalten würde, in absehbarer Zeit auch nicht gehen. Und ja, es ist immer noch eine
Perversion, wenn eine Firma mit neunstelligen Gewinnen jedes Jahr jeden fünfzigsten Arbeitsplatz abbauen darf und dafür durch steigende
Aktienkurse noch belohnt wird. Doch wer profitiert auch hier letztlich? Der
Aktienbesitzer! Wie viele von uns besitzen Aktien? Nicht nur von der Swisscom, andere Firmen sind keinen Deut besser. Wir machen letztlich Kohle auf dem Buckel anderer, ohne auch nur einen Finger krumm zu machen, ohne in
irgendeiner Weise produktiv zu sein. Es kranken nicht Jens Alder und Co.
Es krankt unser System, unsere globalisierte, einzig und allein auf Gewinn
ausgelegte Wirtschaft, unsere Gier und irgendwie kranken wir letztlich alle.





Marcel Wüthrich, Redaktor
mwuethrich@compress.ch

(mw)


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