Fragwürdiger ADSL-Vergleich
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/27
Für die Schweiz liegt die Zukunft im Kabel, so der vielsagende Titel einer Benchmark-Analyse der Firma bb consulting. Analysiert wurden die beiden Breitbandtechnologien ADSL sowie Kabelmodem. Eine spezielle Analyse sei durchgeführt worden, heisst es weiter, mit der die besondere Situation im Schweizer Markt untersucht worden sei und aufzeige, dass das Kabelmodem "eine bevorzugte Wahl für private und geschäftliche Nutzer ist". Die Analyse wurde - wenig überraschend - von der Cablecom in Auftrag gegeben.
Im internationalen Vergleich könne keine verallgemeinernde Aussage über die Überlegenheit der einen oder anderen Technologie gemacht werden. Die individuelle Qualität im Ausland hänge vom jeweiligen Provider und dessen Service ab. Die Verhältnisse in der Schweiz seien aber deshalb eine Ausnahme, weil unser Land breitbandig schon weit abgedeckt sei, weil die Glasfasertechnologie führend sei und weil ein enormes Potential von künftigen Anwendung, die über die Basis-Internetdienste hinausgehen, vorhanden sei.
"Für die Schweiz liegt die Zukunft im Kabel." Diese Behauptung wird
in der Analyse von 13 Argumenten untermauert:
An erster Stelle steht beispielsweise die Überlegenheit der Kabelnetzwerk-Technologie. Im Gegensatz zum Telefonnetz sei das Kabelnetz für die Übermittlung von breitbandigen Inhalten - also TV-Bildern - konzipiert worden. Das Telefonnetz sei jedoch nur für Telefongespräche und die Übertragung von schmalbandigen Inhalten ausgelegt worden. Deshalb seien beträchtliche Anpassungen am Netz von Nöten.
Die Cablecom biete Kunden, die den zusätzlichen Kostenaufwand vom Dial-up auf einen Breitbandanschluss scheuen, mit Hispeed economic einen Zugang an, dessen Kosten 40 Prozent tiefer liegen als ADSL-Einsteigerangebote.
Die Wahl für ADSL bedeute automatisch die Wahl für das Swisscom-Monopol.
Beim Surfen mit dem Kabelmodem könne uneingeschränkt telefoniert werden. Dies sei zwar auch mit ADSL möglich, jedoch müssen dazu Filter installiert werden, was erhebliche Qualitätseinschränkungen zur Folge habe, behauptet bb consulting.
Die Installation sei einfach, und zudem sei man immer online, da die Verbindung nicht wie bei gewissen ADSL-Anbietern nach einer bestimmten Zeit getrennt werde.
Cablecom verlange keine Aufschaltkosten, im Gegensatz zu den meisten ADSL-Anbietern, zudem sei keine Vertragsmindestlaufzeit vorgesehen.
Dass für die Schweiz die Zukunft im Kabel liegen soll, ist selbstverständlich keineswegs die Meinung der ADSL-Provider - ganz im Gegenteil. InfoWeek hat verschiedene Swisscom-Wholesale-Anbieter mit diesen Analyse-Ergebnissen konfrontiert. Und die Provider können ihrerseits zahlreiche Gründe ins Feld führen, weshalb die Schweizer Zukunft eben nicht im Kabel liegen soll:
Vor allem im Geschäftsbereich habe es das Kabelmodem schwer, sich durchzusetzen, und dies aus einem einfachen Grund: In vielen Firmen sucht man einen Kabelanschluss vergebens, während man eine Telefonbuchse praktisch immer vorfindet.
Die unsichere finanzielle Situation von Cabelcom, beziehungsweise des Mutterhauses NTL, fördere mit Bestimmtheit nicht das Vertrauen in den Internetzugriff via Kabelmodem.
Laut Sunrise sind heute zwar 84 Prozent aller Haushalte mit einem Kabelanschluss ausgestattet, aber nur 25 Prozent der Haushalte seien an einer technisch aufgerüsteten Infrastruktur angeschlossen, so dass Internet via TV-Kabel auch funktioniert. Bis Ende Jahr hingegen soll ADSL in 95 Prozent aller Haushalte erhältlich sein.
Letztlich zeigten die Antworten der befragten ADSL-Provider, dass sich auf jedes der in der Benchmark-Analyse angeführten 13 Argumente ohne weiteres ein Gegenargument finden lässt. Und nicht immer wurde der Herausforderer mit Samthandschuhen angegangen. Teilweise wurde eher geharnischt auf die Argumente eingetreten. So beispielsweise Green.ch:
"Cable wird nach wie vor als Wohnzimmer-Spiel-Teil wahrgenommen", äusserte CEO Guido Honegger als Erklärung, weshalb KMU sich eher für die ADSL-Technologie entscheiden. Zudem ist er der Meinung, dass die KMU aufgrund der aktuellen Börsensituation eher an die Zukunft der "Swisscom-Wholesale-Story" glauben als der "Cablecom- sprich NTL-Story".
Und so stellt sich denn die Frage, weshalb Cablecom einen solchen zweifelhaften Vergleich in Auftrag gibt, dessen Ergebnisse das Potential haben, vielmehr eine Kontroverse und Kopfschütteln als Zustimmung auszulösen. Und unklar bleibt vor allem auch, wem der Vergleich nützen soll. "Wir haben es als wichtig erachtet, dass sich jemand unabhängig mit der Thematik ADSL vs. Kabelmodem befasst" heisst es dazu von Cablecom.
Bleibt als weiterer Punkt die Frage offen, ob es die Cablecom wirklich nötig hat, mit solchen Guerilla-Marketing-Massnahmen dafür zu sorgen, im Gespräch zu bleiben. Eigentlich nicht, denn für den Privatanbieter ist das Kabelmodem durchaus eine Alternative, weshalb sich Cablecom vor der ADSL-Konkurrenz keineswegs panisch fürchten müsste. Und sowohl technisch als auch beispielsweise beim Support hört man von Kundenklagen bei ADSL-Anbietern und bei Cablecom.
In einer Stellungnahme auf diese offenen Fragen liess Cablecom folgendes verlauten: "Es war uns ein Anliegen, einen Vergleich von ADSL vs. Kabelmodem erstellen zu lassen. Wie der Titel des Vergleichs sagt, war uns das Aufzeigen des Zukunftspotenzials unseres Produktes wichtig."
Zudem in der Print-Ausgabe: ADSL vs. Kabelmodem - Stellungnahme von ADSL-Providern zu den Ergebnissen der Analyse von bb consulting.