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25 DVDs auf einer Briefmarke

Unter dem Namen «Millipede» entwickelt IBM eine Speichertechnik, die das Prinzip der Lochkarte auf kleinstem Raum auferstehen lässt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/23

     

Die Speicherkapazität von 25 DVDs auf der Fläche einer Briefmarke - das ist keinesfalls Science Fiction, sondern könnte schon 2005 Realität in unseren Handys, PDAs oder Digitalkameras sein.



Dies jedenfalls, wenn sich IBM entschliesst, das Forschungsprojekt mit dem Namen "Millipede", oder zu Deutsch "Tausendfüssler", in die Produktion zu schicken.




Das Projekt, das an IBMs Forschungsstation in Zürich entwickelt wird und weltweit für Aufsehen sorgt, verfolgt einen revolutionären Ansatz. Mittels tausender feinster Spitzen werden einzelne Vertiefungen (je ein Bit) in einen Kunststoffilm gestanzt. Die Dichte, die dabei erreicht wird, beträgt 1 Terabit pro Quadratzoll.



IBM gewährte InfoWeek einen Blick in die Labors, in denen "Millipede" entwickelt wird, und Projektleiter Peter Vettiger stand Rede und Antwort zu den Zukunftsaussichten der Entwicklung.

Alles hängt vom Prototypen ab

Bereits 6 Jahre ist es her, seit man das Projekt gestartet hat. Entstanden ist die Idee in den Köpfen des heutigen Projektleiters Peter Vettiger und des Nobelpreisträgers Gerd Binnig. Man sei selbst überrascht gewesen, dass das IBM-Management eingewilligt habe, ein Team an der revolutionären Idee arbeiten zu lassen, denn damals habe IBM in einer Krise gesteckt, erinnert sich Vettiger zurück.



Vor gut einem Jahr habe man gezeigt, dass der Grundgedanken umsetzbar ist, und jetzt gehe es darum, einen Prototypen anzufertigen, der im ersten Quartal 2003 fertig sein soll. Dieser Prototyp wird auf einer Karte gebaut, und zwar genügend gross, dass daran gearbeitet und getestet werden kann. Er soll aufzeigen, dass "Millipede" als System gebaut werden kann, weshalb diese Phase für den weiteren Verlauf der Entwicklung entscheidend sein wird. Augrund des Prototyps wird IBM entscheiden, ob aus dem Forschungsobjekt "Millipede" ein kommerzielles Produkt wird. Natürlich spielen für diesen Entscheid noch andere Faktoren eine Rolle, beispielsweise die Frage nach den Herstellungskosten. Bei dieser Frage zeigt sich Vettiger jedoch optimistisch: "Alle bisherigen Untersuchungen zeigen, dass das "Millipede"-Projekt sehr kompetitiv gegenüber seinen künftigen Konkurrenten wie dem Flash-Speicher ist." Dies vor allem, wenn man die Kosten pro Megabyte betrachtet.




Ebenfalls für das Projekt spricht die Tatsache, dass man für die Produktion, sollte es denn soweit kommen, bestehende Halbleiterlinien, welche lediglich optimiert werden müssen, benutzen könnte. Neue Fabrikationstechnologien, oftmals ein drückender Kostenfaktor, wären somit nicht von Nöten.



Also kann man schon bald mit ersten Produkten rechnen, so die berechtigte Frage. Vettigers Antwort hierzu: "Wenn man sich entscheiden würde, "Millipede" als Produkt herauszubringen, dauert es im besten Fall bis in die zweite Jahreshälfte 2005, bis man auf dem Markt ist." Jedoch müsste dazu wirklich alles optimal laufen.



Das Löschproblem

Zur Veranschaulichung vergleicht IBMs PR-Abteilung "Millipede" immer wieder mit der guten alten Lochkarte, was laut Vettiger gar nicht so falsch ist. Jedoch: Ist bei einer Lochkarte ein Loch einmal gestanzt, kann man es nicht wieder rückgängig machen. Im Gegensatz dazu lässt sich ein "Millipede"-Chip immer wieder löschen und wiederbeschreiben. Dies sei auch eines der grössten Probleme gewesen. Zuerst habe man versucht, den gesamten Polymerfilm zu erhitzen und so die Vertiefungen zu glätten, womit aber der ganze Chipinhalt gelöscht wurde. Später habe man ein Verfahren entwickelt, womit man auf den Chips die Bits zumindest punktuell auf der Grösse von einem Zehntel mal einem Zehntel Millimeter löschen konnte. Hier entstand das Problem, dass es enorm schwierig zu regeln war, wo sich auf dem Chip welche Daten befinden. Alle diese Probleme sind heute vergessen, denn inzwischen hat man ein Verfahren entwickelt, mit dem man ähnlich löschen kann, wie geschrieben wird. Dazu wird unmittelbar neben einer Vertiefung mit der Spitze gestanzt, wodurch sich durch die Verdrängung das Bit-Loch wieder auffüllt. Dieser Vorgang sei bei einem Bit versuchshalber schon rund 100'000 Mal erfolgreich durchgeführt worden.




Zukunftsmechanik

Die Idee hinter Millipede, so Vettiger, lasse sich am besten mit dem Ausspruch "zurück zur Zukunft der Mechanik" beschreiben. Nicht umsonst ist "Millipede" in der Gruppe für "Mikro- und Nanomechanik" entstanden - und Mechanik habe Potential. Vettiger klärt auf: "Sollte "Millipede" auf den Markt kommen, und eine zehn Mal höhere Dichte als ein
Magnetspeicher aufweisen, ist das zwar beachtlich, rechtfertigt aber die Lancierung noch nicht. Jedoch steht dann der nanomechanische Speicherchip erst am Anfang, währenddem der Magnetspeicher langsam an seine Grenzen stösst. Ich bin überzeugt, in 10 Jahren bauen wir Millionenfüssler." Zudem glaubt Vettiger, dass irgendwann einmal das Atom selbst adressiert werden kann. Heute machen die Spitzen Löcher mit einem Durchmesser von 10 Nanometern. Um ein einzelnes Atom zu adressieren, müsste die Spitze zwar nochmals 50 Mal kleiner sein, früher oder später sollte dies aber machbar werden.



Ein weiterer Vorteil der Technologie liegt im geringen Energiehunger. Das System stellt soviel Leistung zur Verfügung, wie sie die Bandbreite eines mobilen Gerätes verarbeiten kann. Im Gegensatz dazu ist die Leistung eines Flash-Speichers vom System ausgebremst. Die Leistung von "Millipede" steht nach oben offen, einzig der Stromverbrauch steigt proportional zum höheren Performance-Anspruch.




Wenn alle Prototypen-Tests erfolgreich sind, dürfen wir uns also schon in wenigen Jahren auf neue Speicherdimensionen im mobilen Bereich freuen. Projektleiter Vettiger streicht auch zum Schluss nochmals heraus: "Wir stehen erst am Anfang."



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