ETH probt die multimediale Zukunft
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/22
Glücklich ist derjenige Fussballverrückte, der während dieses Monats an einem Rechner einer Schweizer Universität oder Hochschule sitzt: Er kann nämlich über das Internet die gesamte Fussball-WM mitverfolgen. Dies aus dem einfachen Grund, weil die Informatikdienste und das Network for Educational Technology (NET) der ETH Zürich derzeit einen Video-over-IP-Test durchführen. Und an diesem Test können wie erwähnt Schweizer Universitäten und Hochschulen teilnehmen, während die Übertragung für Rechner ausserhalb dieses Netzwerks gesperrt ist.
Die ETH Zürich überträgt die WM-Spiele aber keineswegs um des Fussballs Willen. "Uns geht es darum, eine Technologie im realen Einsatz und nicht unter Laborbedingungen zu testen, die in Zukunft eine grosse Bedeutung im Bereich Multimedia besitzen wird", so Armin Brunner, Chef Kommunikation der Informatikdienste der ETH und Leiter des WM-Projekts. Die besagte Technologie nennt sich IP-Multicasting und ist im Grunde genommen alles andere als neu.
IP-Multicasting gibt es bereits seit den frühen Neunziger Jahren, konnte sich aber nie durchsetzen. Im Prinzip wird bei Multicasting ein Multimedia-Stream vom Server einmal ausgesendet, woauf er sich dann im Netz vermehrt und an die Clients verteilt, wobei deren Anzahl theoretisch unbegrenzt sein kann. Beim herkömmlichen Streams, muss der Video-Server die Datenmengen so oft senden, wie es Clients gibt, die sie empfangen wollen, was den Server irgendwann an seine Grenzen bringen wird.
Beim ETH-Test wird folgendes Equipment eingesetzt: Die Fernsehsignale von vier verschiedenen Sendern werden mittels MPEG-1-Encoder umgewandelt und als RTP-Streams (Realtime Transport Protocol) innerhalb der Zürcher ETH sowie via Switch-Netzwerk zu anderen Schweizer Universitäten nach dem IP-Multicast-Prinzip verbreitet. Drei Mal kommt der Encoder VBrick-3000 zum Einsatz, der die Streams mit 1,5 Mbps ins Netz schickt, einmal ein IP/TV Broadcast Server von Cisco, der gar einen 3-Mbps-Stream generiert. Der ausgesendete Datenstrom, der zu den einzelnen Clients fliesst, ist dabei immer gleich gross, womit Universitäten mit Mietleitungen und Anbindungen unter 2 Mbps erst gar nicht in den
Genuss der Bilder kommen. Auf Seiten der Clients muss lediglich ein IP/TV-Plug-in für Windows beziehungsweise ein QuickTime-Plug-in für Macs heruntergeladen werden. Auch ein Unix-kompatibler Viewer steht bereit.
Die Fussball-WM ist der erste Multicast-Test im grösseren Rahmen, den die ETH durchführt. Man will die Qualität der Daten-Ströme testen und vor allem herausfinden, wie sich diese Streams auf das Produktions-Netzwerk auswirken, was mit einem künstlich erzeugten Szenario schwierig geworden wäre. In den ersten Tagen verliefen die Tests offenbar nicht überall und immer reibungslos. Teils waren die Live-Bilder gar nicht zu sehen, teils konnte man die Spiele zwar verfolgen, aber der Rest des Netzwerks lag lahm. Jedoch funktionierten offenbar auch schon in den Anfangstagen beide Komponenten - sowohl Streams wie auch Produktions-Netzwerk - zeitweise einwandfrei.
Armin Brunner sieht ganz konkrete Nutzen in diesem Test. Es gehe vor
allem darum, herauszufinden, welche Komponenten wie stark belastet werden können, und ob das Netz für die Zukunft gerüstet sei. "Sollten die Test erfolgreich sein, wäre es beispielsweise denkbar, dass ein Campus-TV in diesem Verfahren über das Netz ausgestrahlt wird, oder dass wir Live-Events oder gar Vorlesungen mittels IP-Multicast übertragen", so Brunner.
Für die breite Öffentlichkeit jedoch wird IP-Multicast - beispielsweise via ADSL - noch Zukunftsmusik bleiben, und das gleich aus mehreren Gründen, wie Brunner erläutert. "Zuerst müssten alle Provider ihre Netzwerke Multicast-fähig machen, was in absehbarer Zeit nicht passieren wird, da dieser Schritt zu teuer wäre, das ganze Verfahren zudem noch zu wenig zuverlässig ist und die Stabilität des Netzes leiden könnte.
Ausserdem sind die heute via ADSL oder Kabelmodem verfügbaren Bandbreiten nicht wirklich genügend, um High-Quality-Video via Multicast zu übertragen. Man müsste den Multimedia-Content mit wesentlich kleineren Bandbreiten aussenden, als sie derzeit an der ETH verwendet werden." Deshalb ist der Projektleiter überzeugt: "In den nächsten drei Jahren wird kein Provider mit IP-Multicast kommen." Jedoch können die Content-Anbieter vielleicht von den Erfahrungen der ETH profitieren, sollte es dann doch mal so weit sein.