Informatiker unter Stress

Schweizer Informatiker gehören zu den am meisten gestressten Berufsleuten. Abhilfe verspricht nur Spezialisierung und dauernde Weiterbildung.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/03

     

Vor dem New-Economy-Crash zählte der Informatiker zu den Traumberufen. Jeder, der sich ein wenig für IT interessierte, konnte auf den lukrativen Zug aufspringen und ein Stück vom Kuchen für sich abschneiden. Die Löhne lagen sogar für Quereinsteiger jenseits der heutigen Vorstellungskraft.
Diese Zeiten sind bekanntlich vorbei. Das Bild, das sich heute präsentiert, sieht ganz anders aus: Es dominieren Stress und Leistungsdruck, und die Löhne sind längst kein Argument mehr für den Einstieg in die IT. Dies zumindest ist der allgemeine Tenor, der unter den Usern der InfoWeek-Community derzeit vorherrscht.
Angeregt wurde die Diskussion durch eine Studie des internationalen Personaldienstleisters Kelly Services. Das Ergebnis der Umfrage unter rund 19‘000 europäischen Angestellten: Die Schweizer Informatiker gehören zu den am meisten gestressten Arbeitnehmern in ganz Europa. Laut der Kelly-Studie gehört Stress in der Schweiz zum Berufsalltag. Rund 33 Prozent aller Schweizer Arbeitnehmer gaben an, unter sehr grossem Stress zu leiden, und die am meisten gestresste Berufsgruppe in der Schweiz ist mit 46 Prozent die der Informatiker.


Supporter leiden häufig

Aus der derzeitigen Diskussion in unserem Forum geht hervor, dass es hauptsächlich der Support-Mitarbeiter ist, der unter Dauer-stress leidet. «Helpdesk und User-Support sind wohl das Schlimmste, was einem Informatiker passieren kann», sagt ein Online-User, der alleine für rund 160 Anwender verantwortlich ist. Dabei ist er täglich mit den gleichen Problemen konfrontiert. So etwa mit Anwendern, die den Vorortsupport bemühen, weil sie das Passwort vergessen haben. «Ein Informatiker muss nicht nur stressresistent sein, sondern auch die nötige Portion Gefühlsleere mitbringen», so das Fazit des frustrierten Supporters, der aus Angst vor einem Burnout seinen Job so schnell wie möglich wechseln möchte.
«Ich möchte den Job des Supporters nicht machen, auch wenn ich mir das früher noch gewünscht habe. In diesem Bereich ist man nicht mehr der Freak, der die Leute mit seinem Wissen erstaunen kann, sondern man ist nur noch der Idiot, wenn etwas mal nicht läuft», resümiert ein anderes Mitglied der Community.






• Die Spar-Schere in den Unternehmen hat dazu geführt, dass ein Supporter einerseits immer mehr User betreuen muss. Andererseits beklagen sich die Informatiker aber auch über schlechte Anstellungsbedingungen und tiefe Löhne. So hätten sie immer straffere Arbeitszeiten, fühlten sich zunehmend als Werkzeug der Anwender und verdienten nur ein paar Franken mehr als eine Hilfskraft.
«Kein Wunder will heute niemand mehr Informatik studieren», sagt ein anderes Mitglied, das zusammen mit seinem Kollegen rund 350 Arbeitsplätze betreut. Weitere Aussagen wie «hätten wir doch was Anständiges gelernt» oder «in meinem nächsten Leben züchte ich Schafe oder werde Gärtner, dann kann ich sicher nichts falsch machen», machen jeden Kommentar überflüssig.


Quereinsteiger bleiben

Ein weiterer Online-User sucht nach Erklärungen: «Im Bereich Support wurde eine Unmenge von Leuten beschäftigt, deren Ausbildung mangelhaft war und keine Hoffnung auf langfristige Beschäftigung geben konnte. Bis die Reste dieser Dinosaurier verschwunden sind, hat die Restpopulation Stress mit der Umgebung.» Damit spricht er die vielen Quereinsteiger an. Doch diese Spezies wird wohl nicht so schnell aussterben. Denn obwohl diese längst nicht mehr so viel verdienen, sind nach wie vor rund drei Viertel in der IT Quereinsteiger. Wie der emeritierte Informatikprofessor Carl August Zehnder kürzlich in einer Rede analysierte, wird das aufgrund immer höherer Anforderungen und unzureichender Ausbildungsmöglichkeiten auch weiter so bleiben. Die Quereinsteiger seien auch meist jene, die ihre Weiterbildung vernachlässigten, so Zehnder.


Zu wenig Nachwuchs

Allgemein scheint das Interesse an einem IT-Studium immer kleiner zu werden. Während die Zahl der ICT-Hochschulabschlüsse in der Schweiz in den letzten 15 Jahren kontinuierlich anstieg und sich von rund 1000 auf knapp 5000 fast verfünffachte, sehen die Prognosen für die Zukunft eher düster aus. So prognostiziert das Bundesamt für Statistik für die nächsten fünf Jahre nur noch einen moderaten Anstieg. Im Jahr 2010 sollen nur knapp 6000 Absolventen ein Studium in Informatik und verwandten Richtungen abschliessen. Dass sich immer weniger Studenten für ein IT-Studium immatrikulieren, hat aber auch andere Gründe. Ein Grund könnte die Angst vor einer Verlagerung der eigenen IT-Stelle in Billiglohnländer sein, wie eine US-Studie behauptet. An einigen Unis seien die Immatrikulationen in den letzten Jahren um bis zu 60 Prozent zurückgegangen, sagte kürzlich der CA-CTO Yogesh Gupta.
Trotz aller Veränderungen gibt es noch Informatiker, die an ihrem Beruf Spass haben. «Ich arbeite vier Monate im Jahr effizient und zielgerichtet, verbringe drei Monate auf Schulungen und den Rest der Zeit verjuble ich das Geld, das ich reichlich verdiene», sagt ein Entwickler. Diese Meinung ist vielleicht etwas übertrieben, wird aber von der Aussage eines anderen Schreibers gestützt: «Leute, die in einem Serverraum arbeiten, oder passionierte Security-Freaks sind immer noch die, die einen wirklich genialen Job haben.»


Spezialisten haben Zukunft

Um dem Frust zu entkommen, hilft also nur die Spezialisierung, die auch eine Zukunft verspricht. Der deutsche Branchenverband Bitkom verkündete kürzlich, dass die Nachfrage nach Fachkräften häufig grösser als das Angebot ist, eine entsprechende Qualifikation und Ausbildung vorausgesetzt.
Problematisch kann es hingegen werden, wenn sich jemand nur auf ein Gebiet spezialisiert. So sind etwa Avaloq- oder ERP-Modul-Spezialisten heute gesucht. Was aber, wenn der Profi mit 55 Jahren aufgrund technologischer Veränderungen wieder auf Jobsuche gehen muss? Häufig bleibt dann nur noch der Gang zum Arbeitsamt. Wer sich dies ersparen möchte, kommt nicht um das vielzitierte lebenslange Lernen herum.
Warum Weiterbildung so wichtig ist und weshalb sie immer noch zu stark vernachlässigt wird, lesen Sie in einer der nächsten Ausgaben von InfoWeek.



Kommentare
Aktualisierung: Februar 2022 Situation noch immer so wie im Artikel beschrieben. Sogar etwas verschärft. Früher war es tatsächlich besser. Würde nicht mehr in die Informatik gehen. Legt was auf die Seite und hört früher auf. Das wollt ihr nicht bis zur Rente machen. Bin demnächst raus. Halleluja.
Dienstag, 15. Februar 2022, Vango

ich habe die schnauze voll als informatiker mir ständig von mehreren schlaumeiern etwas sagen zu lassen
Dienstag, 7. Juli 2020, mike



Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wieviele Zwerge traf Schneewittchen im Wald?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER