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Integrierte Ticket-Kanäle

Dank einer Service-orientierten Architektur können die SBB im Personenverkehr neue Services einfach einführen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/22

     

Sbb.ch ist eine der beliebtesten Webseiten der Schweiz. Der derzeitige Auftritt, der seit Herbst 04 aktuell ist, hat denn auch SBB Personenverkehr indirekt den Publikumspreis des Swiss IT Award 2005 eingebracht. Doch was für den Nutzer einfach und unkompliziert wirkt, bedingt im Hintergrund eine Fülle von Funktionen, Prozessen und Daten, die nicht nur für den Online-Auftritt genutzt werden.
Zu Beginn war die Realisierung eines neuen Webauftritts nur eines von vielen Zielen der SBB. Diverse weitere Vorhaben standen 2004 vor der Realisierung. Dabei fokussierte sich die Sicht der jeweiligen Auftraggeber immer auf die Umsetzung ihrer individuellen Projekte. Genauso konzentrierten sich ihre Visionspapiere und Analysearbeiten auf die Realisierung einzelner, alleinstehender Lösungen.


Verschiedenste Verkaufskanäle

Um die einzelnen Vorhaben unter einen Hut zu bringen, wurde schliesslich das Projekt «Multi Channel Services» (MCS) aufgesetzt. Die Kombination der Anforderungen mehrerer Auftraggeber legte dabei die Basis für die Idee einer Serviceorientierten Architektur in der Systemlandschaft des Personenverkehrs SBB. Diese sollte eine neue Generation von Verkaufsanwendung im Internet, für Privat- und für Businesskunden sowie eine Workflow-Anwendung zur Unterstützung des Bestellprozesses über Contact-Center und Bahnhofschalter ermöglichen – natürlich ausbaufähig, auch für zukünftige neue Verkaufskanäle.
Bei der Umsetzung dieses anspruchsvollen Projekts war für die SBB ein «Grüne-Wiese»-Ansatz keine echte Option. Zu gross war das Risiko, sich lange auf den Neubau zu konzentrieren, während gleichzeitig die bestehenden Systeme weiter altern. Deshalb entschied man sich für ein etappiertes Vorgehen zur Umsetzung der zukünftigen Anwendungen: Das Einführen und Ablösen der bestehenden Systeme wurde so geplant, dass eine Ablösung erst dann erfolgt, wenn sich die neuen Lösungen im Betrieb bewährt haben.


Dieselbe Verkaufslogik

Bereits früh in der Phase des fachlichen Designs und der technischen Architektur kristallisierte sich ein service-orientierter Ansatz als Lösung heraus. Eine Multi-Kanal-Vertriebsanwendung ist dafür prädestiniert: Sämtliche Verkaufskanäle greifen auf dieselbe Verkaufslogik zurück, da sie alle ähnliche Informationen benötigen, um den Kunden zu bedienen. Dabei unterscheiden sie sich aber grundlegend im Komfort der Anwendung. Während die Selbstbedienungskanäle im Internet und am Automaten auf Transparenz und einfache Bedienbarkeit fokussiert sind, zählen die Schnelligkeit und die professionelle Beratung bei diffizilen Reiseverbindungen am Schalter oder im Contact-Center zu den Schwerpunkten.


Klassische Schichtung

Diese Überlegungen wurden auf die Architektur übertragen und bildeten die Rahmenbedingungen für das «Multi Channel Architectur»-Framework. Sehr klassisch ist die Architektur aus verschiedenen Schichten aufgebaut: Die Business-Schicht bietet hochwertige Schnittstellen
zur Erfüllung der fachlichen An-
forderungen. Zudem kapselt sie teilweise bestehende Business-Komponenten auf verschiedenen Legacy-Systemen. Die Client-Schicht ist architektonisch nach denselben Service-orientierten Aspekten implementiert. Sie hat jedoch kanal- beziehungsweise kundenspezifische Schwerpunkte Klassische vSchichtungund selbst die eingesetzten Technologien unterscheiden sich je nach Kanal erheblich. Die einzelnen Applikationen wurden iterativ realisiert und etappiert eingeführt. Als erster produktiver Service stand bereits nach 4 Monaten ein Ticket-Druckservice für Reisebüros zur Verfügung.






In der Begeisterung für diese Modelle geraten Techniker und Consultants gerne ins Schwärmen. Es fallen Begriffe wie flexible Zusammenstellung von Applikationen, Einsatz von Standards, Erweiterbarkeit, Wiederverwendung, Return of Investment, Senkung der Betriebskosten und viele mehr. Aus technischer Sicht wirkt denn auch alles klar strukturiert und abgrenzbar. Eine Gesamtschau zeigt jedoch, dass weitreichende fachliche und organisatorische Konsequenzen in Betracht zu ziehen sind. Und bis aus dem derzeitigen Hype der service-orientierten Architektur wirklich etwas Nutzbares für das Unternehmen entsteht, ist es ein langer Weg. Er verlangt viel Disziplin und einen langen Atem.

SOA in der Organisation

Ist die Philosophie der Service-Orientierung nur in der Architektur verankert, so wird das Vorhaben auf lange Sicht scheitern. Die Organisationsstruktur, der Planungsprozess, ein professionelles Release und Change Management sind weitere Grundlagen dafür. Service-Orientierung erstreckt sich also über die gesamte Organisation und den gesamten Lifecycle des Produktes.
Lebt ein Team die Service-Orientierung, baut es eine hohe Fachkompetenz bei den Mitarbeitern auf: Wo früher der Generalist sämtliche Aspekte einer Anwendung analysierte, designte und entwickelte, steigt man heute in allen Bereichen bereits auf einem sehr viel höheren Niveau ein. Allerdings besteht dadurch das Risiko der begrenzten Kapazitäten und des maximalen Umfangs an fachlichen Ausbauschritten, die ein Service pro Release bewerkstelligen kann.


Erstbesteller zahlt für alle

Selbst die Auftraggeber müssen konsequent in diese Denkweise einbezogen werden. Durch seine Konzentration auf eigene Projektziele hat er keine Veranlassung, andere Bereiche mit der Verbesserung von Services auf seine Kosten zu unterstützen. Die Kosten werden häufig dem ersten Besteller belastet. Die späteren Besteller sind dann die Nutzniesser. Zusätzlich sinkt die Motivation für die Erstbestellung durch die Tatsache, dass die gleiche Businesslogik in der Ausprägung als mehrfach verwendbarer Service ungefähr 30 bis 50 Prozent mehr in der Erstimplementierung kostet. Ausschlaggebend für den Erfolg ist daher eine starke Managementunterstützung.





Dem stehen mächtige Vorteile gegenüber, sowohl technischer, wie auch fachlicher Natur. Es gilt: «Die Summe der Gesamtlösung ist mehr als die Addition der Summen jedes Einzelvorhabens.» Der Kostenvorteil und Time to Market zeigen ihre Vorteile, wenn auf einen Grundstock von Funktionen zurückgegriffen werden kann. Obwohl die Erstellung der Basiskomponenten teurer war, profitieren sämtliche Nachfolgevorhaben. Inzwischen bedienen die Businesskomponenten der Multi Channel Services über 10 verschiedene Clients, die früher in Einzellösungen entwickelt wurden. Insbesondere kleine Anwendungen verursachen durch ihre Integration in MCS im Betrieb quasi keine Kosten mehr.
Ein solches Nachfolgevorhaben war das Projekt Mobile Ticketing, das seit dem 1. Dezember live geschaltet ist. Es nutzt, vollständig integriert, möglichst viele der bestehenden Services. Der sichtbare Vorteil für den Endkunden ist die Integration in die Online- und Telefon-Bestellwege. Somit war eine schnelle Realisierung zu niedrigen Kosten möglich. Zu vergleichbaren Kosten wurden in Vor-MCS-Zeiten lediglich kleine Markttests mit stark eingeschränkten Funktionalitäten als Stand-alone-Lösungen realisiert.





Die Mulit-Channel-Services-Arichitektur der SBB

Die Autorin

Silke Ragg ist Projektleiterin eBusiness und Roland Haberbosch technischer Gesamtleiter MCS
bei SBB Personenverkehr.




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