RFID erobern das Gesundheitswesen

Funketiketten können im Gesundheitswesen nicht nur Kosten sparen sondern auch die Qualität erhöhen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/17

     

Seit Walmart und Metro bekannt gegeben haben, dass sie in einigen Jahren nur noch mit RFID-Chips ausgestattete Paletten und Kartons von ihren Lieferanten entgegennehmen werden, ist die Technologie «Radio Frequency Identification» – die Identifikation von physischen Dingen über Funk – in aller Munde. Die RFID-Technologie, deren Ursprung 40 Jahre zurückliegt, wurde 2004 von der IT-Branche selbstlos zum Allheilmittel erklärt, von vielen hoffnungsvollen Anwenderbranchen als Wundermittel zur Lösung aller bisher auf der Strecke gebliebenen Probleme hochstilisiert und von George-Orwell-Lesern und Verschwörungstheoretikern als nächste «Enabling Technology» einer «Brave New World» abgetan.
Heute, Mitte 2005, verkündet Gartner Research – nicht ganz zu Unrecht – , dass die Technik die Talsohle der Desillusion auf der bekannten Hypecyle-Kurve bald erreicht hat. Damit entwickelt sich RFID endlich zu einer ernstzunehmenden Informationstechnologie mit nachhaltigen wirtschaftlichen Konsequenzen in allen Branchen.


RFID ist der Anfang

RFID ist die erste in der Öffentlichkeit bekannte Technologie einer breiten technologischen Entwicklung namens Ubiquitous Computing (dt. allgegenwärtig). In der Vision des Ubiquitous Computing verschmelzen alle möglichen Alltagsgegenstände wie Verpackungen, Autoreifen, Medikamente oder Krankenbetten mit kleinsten und billigsten Minicomputern, wenn der Nutzen aus dieser Verschmelzung die entstehenden Kosten übersteigt.
Dass bereits heute 98 Prozent der neu produzierten Chips in Gegenständen verbaut werden, die wir nicht als Computer bezeichnen würden, wie in Autos, Waschmaschinen und Spielzeuge, zeigt, dass die Umsetzung der Vision des ubiquitären Rechnens schon unaufhaltsam angerollt ist.






Doch welchen Nutzen stiften RFID und verwandte Technologien? Mit RFID bekommen Informationssysteme erstmals Augen und Ohren. Bisher mussten sie sehr kosten- und zeitaufwendig von Menschen mit Hilfe von Tastatur, Touchscreen und Barcode-Leser mit Daten gefüttert werden. Nun können Informationssysteme Daten aus der realen Welt automatisch in Echtzeit zu einem Bruchteil der Kosten sammeln. Dies ermöglicht einerseits die wirtschaftliche Gewinnung von wesentlich feingranulareren Daten (Ist die Blutkonserve richtig behandelt worden? Passt das Medikament zum Patienten?) und andererseits deutlich differenziertere Managementregelkreise. Denn Unternehmen können nur managen, was sie auch messen können; Erst wer Out-of-Stock und Diebstahl messen kann, kann wirksame Gegenmassnahmen einleiten. In einem ersten Schritt führt RFID damit zu sichereren, schnelleren und effizienteren Prozessen, in einem zweiten Schritt zu neuen «smarten» Produkten und Dienstleistungen.


Healthcare-Anwendungen

RFID kann folglich immer dann Nutzen stiften, wenn die kostengünstige Gewinnung zusätzlicher Daten aus der realen Welt ein relevantes Problem lösen kann – und dies ist im Gesundheitswesen häufig der Fall. In Projekten werden heute bereits Blutkonserven, Patienten, Pflegepersonal, Bettgestelle, Matratzen, Rollstühle, Medikamente, Blister, Proben, Operationsbesteck, Medizinschränke und medizinische Gerätschaften mit RFID-Tags ausgestattet.
Die unterschiedlichen Anwendungen verfolgen dabei Ziele wie die Erhöhung der Patientensicherheit durch einfachere und fehlerfreie Patientenidentifikation, einfacheren Zugriff auf Patientendaten und höhere Dosierungsgenauigkeit, die Reduktion von gefälschten beziehungsweise nicht rechtmässig verwendeten Medikamenten, die Optimierung der Bewirtschaftung medizinischer Geräte oder ganzer Stationen, die Vereinfachung von Leistungsverrechnung oder Inventarkontrolle, die Verbesserung von Logistikprozessen im Hinblick auf Verfügbarkeit, Verderb und Kosten, die Erhöhung der Compliance beispielsweise bei klinischen Tests, die Vermeidung von Kunstfehlern, die Unterstützung der Medikamenten-Entnahme beziehungsweise ihrer Kontrolle oder die Reduktion von Bearbeitungszeiten.






Darüber hinaus ist der Einzug der Sensorik in medizinischen Anwendungen bereits heute absehbar: Matratzen überprüfen elektronisch, ob sich ein Patient bald wund liegen wird, das Nachthemd misst laufend Körpertemperatur, EKG- und Pulswerte, und der umgefallene Rollstuhl meldet sich bei der Notrufzentrale – genauso wie der Teetopf, den sein Besitzer einen Tag nicht verwendet hat.
Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben im Gesundheitswesen öffnet sich aus bekannten Gründen immer weiter. Nicht nur darum ist es sinnvoll, die Lösungskraft von RFID und verwandten Technologien für diese Branche im Detail zu durchleuchten und dort zum Einsatz zu bringen, wo sie die medizinische Qualität erhöhen und/oder Kosten sparen helfen.


Passive und aktive Tags

Im einfachsten Fall speichern die RFID-Minicomputer lediglich eine Identifikationsnummer und kommunizieren sie über Radiowellen bis zu einigen Metern weit. Sie bestehen aus einem Mikrochip und einer Antenne, können unterschiedlichste Formen annehmen, sind sehr klein und kosten zur Zeit zwischen 1 Franken und 10 Rappen. Ihre Energieversorgung erfolgt drahtlos von aussen über Lesegeräte. Wer heute von RFID spricht, meint in der Regel derartige, sogenannt passive RFID-Tags und deren Anwendung.
Die Funk-Tags können aber auch mächtiger sein. Sie können beispielsweise über eine eigene Energieversorgung (Batterie, Solarzelle etc.) verfügen, mittels Sensoren (Licht, Druck, Beschleunigung, Orientierung, chemische Zusammensetzung usw.) Information über ihre Umwelt sammeln, weiterverarbeiten, speichern und sich mit anderen Minicomputern oder aber auch dem
Internet austauschen oder über Minirobotik den Zustand ihrer nächsten Umwelt verändern.


E-Healthcare Kongress

Der 5. Schweizerische eHealthcare Kongress vom 25. und 26. Oktober im Forschungszentrum in Nottwil widmet dem Thema RFID im Gesundheitswesen ein Keynote-Referat (Prof. Fleisch) und ein Praxis-Symposium.




Infos unter www.ehealthcare.ch


Der Autor

Prof. Dr. Elgar Fleisch ist
Co-Vorsteher des Auto-ID Lab und des M-Lab der Universität
St. Gallen und der ETH Zürich, sowie Mitautor des Buchs «Das Internet der Dinge: RFID und Ubiquitous Computing in der Praxis», Springer 2005.
Sie erreichen Ihn unter ihelgar.fleisch@unisg.ch.




Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wie hiess im Märchen die Schwester von Hänsel?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER