BI- & Web Services - Nutzen Sie Ihre (Business) Intelligence
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/20
Jeder Autofahrer weiss, dass Fahrzeuge oder Gegenstände im Rückspiegel weiter entfernt erscheinen, als sie es tatsächlich sind. Die Fahrer müssen sich also darüber im Klaren sein, dass die Realität eigentlich verzerrt ist. Sie sollten demnach bei einem sich nähernden Porsche nicht überholen, auch wenn es so aussieht, als wäre er noch 200 Meter entfernt. In der Geschäftswelt ist es ähnlich, wenn es um Informationen geht, von denen die Entscheidungen, Taktiken und Strategien eines Unternehmens abhängen. Trotz der Bemühungen Ihrer IT-Abteilung ist es gut möglich, dass die Ihnen zur Verfügung stehenden Informationen veraltet und unbrauchbar sind, vergleichbar etwa mit einem
LKW, der auf Sie zurast: Die Gefahr zu erkennen bleibt jedoch meist den Umständen oder dem Glück überlassen.
In den letzten zehn Jahren haben Unternehmen BI-Software eingesetzt, um Entscheidungsträger und Analysten mit immer besseren und zuverlässigeren Daten zu versorgen. Es hat sich bezahlt gemacht, und obwohl es andere IT-Bereiche schwer hatten, haben Unternehmen weiterhin in Business Intelligence investiert. Dennoch gibt es Probleme, es lässt sich noch manches besser machen. Im Grossen und Ganzen bietet BI einen Rückblick auf historische Daten. Nun gibt es Web Services, eine Technologie, mit der BI ihre Potenziale als Katalysator für eine proaktive Entscheidungsfindung realisieren kann, die von präzisen und umfangreichen Echtzeitinformationen im gesamten Unternehmen gesteuert wird.
Wie Sie vielleicht schon gelesen haben, geht es bei Web Services im Grunde genommen um Interoperabilität. Sie haben sich als Kommunikationsmittel für Anwendungen sehr schnell entwickelt und dienen so praktischen Zwecken wie dem automatisierten Auffüllen von Warenbeständen, sobald diese unter einen bestimmten Grenzwert fallen. Aber das ist nur der Anfang: Wir haben uns im letzten Monat in Darwin angesehen, inwieweit die Datenintegrationstechnologie mit Web Services zusammenarbeiten kann, um eine Grundlage für vollständige, zuverlässige – sprichwörtlich einzig wahre – Informationen mit immensem Wert für Geschäftsanwender zu schaffen. Mithilfe von Web Services nutzt Business Intelligence diese Datenintegrationsgrundlage, um verschiedene Schwachstellen in herkömmlichen BI-Systemen auszugleichen, und baut auf den Erfolg, den Benutzer weltweit bereits durch die Abfrage, das Berichtswesen und die Analyse von Daten erzielt haben. Vorausdenkende Unternehmen sehen Web Services als Grundlage für Pervasive Enterprise BI, die Folgendes bietet:
Schnelleren Echtzeitzugriff auf dynamische
Informationen
Sofortige Verfügbarkeit zahlreicher, nicht
kompatibler Datensysteme
Proaktive Entscheidungsfindung kontra
Rückblick auf historische Daten
Bessere Verfügbarkeit von Analysen für
mehr Benutzer
Kennzahlgesteuerte Leistungsmessung,
Verwaltung und Warnmeldungen
Datenaustausch und -analyse zwischen Funktionsbereichen (Supply Chain, Marketing, Buchhaltung, Vertrieb usw.), die miteinander in Beziehung stehen
Jahrelang waren dies die Ziele von Business Intelligence und Data Warehousing. Üblicherweise bestand der Ansatz darin, eine Plattform für Datenintegration (manchmal auch Extraktions-, Transformations- und Loading-Tool genannt) zu nutzen, um Daten zentral in einem Data Warehouse abzulegen. Von dort können Geschäftsanwender mit einem Frontend-BI-Tool auf Informationen zugreifen und diese analysieren.
Business Intelligence ist ein stabiles und bewährtes System, wenn es von einem Data Warehouse gesteuert wird. Web Services erhöhen einerseits die Erträge, die ein Unternehmen aus diesen Systemen zieht, und andererseits vereinfachen sie deren Einsatz und Wartung. In den vergangenen Jahren haben Unternehmen enorm viel Zeit und Geld in den Aufbau einer Warehousing-Architektur investiert. IT-Mitarbeiter waren massgeblich daran beteiligt, Legacy- und bestehende Anwendungen mit dem Warehouse zu verbinden und Daten in einem Zentralspeicher abzulegen. Obwohl der Aufbau eines Warehouse immer sehr aufwändig ist, sorgt die standardbasierte Interoperabilität, die mit Web Services verfügbar ist, für eine verhältnismässig einfache Handhabung und geringere Kosten. Darüber hinaus ermöglichen Web Services Geschäftsanwendern mehr Flexibilität beim Zugriff auf aktuelle Daten. Mit einem Web Service/BI-System müssen Daten nicht mehr in ein Warehouse verschoben werden und können stattdessen direkt aus Anwendungen und auf Wunsch auch aus
einem Warehouse bezogen werden. Durch diese so genannte dienstorientierte Architektur werden Wartezeiten, die mit Warehousing einhergehen, vermieden. Dies ist ein wichtiger Aspekt für Initiativen wie die weiter unten erläuterte Überwachung von Geschäftsaktivitäten, kurz BAM (Business Activity Monitoring).
An dieser Stelle sei angemerkt, dass sich der
Web Services-Charakter der BI bestens für «einfache» Abfragen und «einfaches» Berichtswesen eignet (was dem Bedarf der meisten Geschäftsanwender entspricht). Er ergänzt ein Warehouse, ist aber kein Ersatz für tiefer gehende, mehrdimensionale Analysen und fortgeschrittenes Data Mining.
Ein Grundsatz der Web Services besteht in der Verwendung von Standardprotokollen für eine Interoperabilität mit nicht kompatiblen Anwendungen, darunter hauptsächlich XML (Extensible Markup Language), SOAP (Simple Object Access Protocol), UDDI (Universal Description, Discovery and Integration) und WSDL (Web Services Description Language). Diese Protokolle erleichtern Entwicklern die Verbindung ungleicher Systeme. Heutzutage werden diese Protokolle standardmässig von
vielen führenden Datenintegrationsplattformen
und BI-Analyse-Tools unterstützt. So sind die
Voraussetzungen für Web Services geschaffen,
die nicht nur die Entwicklung integrierter Systeme vereinfachen und beschleunigen, sondern
deren Geschäftsanwender auch von einem zuverlässigeren Einblick in Kunden-, Buchhaltungs- und Supply-Chain-Daten sowie in die Marktlage profitieren.
Die meisten Geschäftsleute nutzen Unternehmensanwendungen für Finanzberichterstattung, Produkt- und Supply Chain Management sowie Vertrieb und Marketing. Das Problem liegt darin, dass die Informationen in solchen Anwendungen eher Fragen aufwerfen als Antworten liefern. Meist handelt es sich dabei um Rohdaten – blanke Zahlen – mit wenig bis gar keiner Aussagekraft bezüglich der Bedeutung für das Business und seiner Beziehungen zu anderen Informationen. Oft ist die Anwendung zudem an sich eine Sackgasse, die keine Antworten auf Ihre Fragen bietet. Fragen können recht simpel sein: Warum ist unser Absatz im Nordosten rückläufig? Weshalb wächst unser Warenbestand? Wer erzielt im Onlinevertrieb im Vergleich zum Einzelhandel die beste und wer die schlechteste Leistung? Eine direkte Antwort ist hier recht schwierig, weil die Wahrheit nur bruchstückhaft vorliegt. Web Services sind leistungsfähig und können die Grenzen zwischen Ihren Unternehmensanwendungen auflösen und sie mit BI-Analysefunktionen bereichern. Hierdurch erhalten mehr Benutzer die Möglichkeit, sofortige Abfragen durchzuführen und nahtlos verschiedene Systeme zu durchsuchen.
Eine BI-Abfragefunktion kann z.B. als Web Service in eine Call-Center-Anwendung von Siebel integriert werden. Wenn ein Anruf eines Kunden bei einem Mitarbeiter Ihres telefonischen Kundendienstes eingeht, kann er sofort eine Abfrage starten, bei der in mehreren Kanälen nach Kundeneinkaufsmustern gesucht und Daten über die Aktivitäten des Kunden mit Ihrem technischen Kundendienst ausgegeben werden. Die Daten werden sofort bereitgestellt, während der Kunde noch in der Leitung ist. In einem anderen Beispiel kann der Einkaufsleiter über eine Debitorenanwendung ermitteln, dass sein Unternehmen im vergangenen Jahr bei einem bestimmten Lieferanten 500.000 US-Dollar ausgegeben hat. Der Vertrag des Lieferanten muss verlängert werden. Welche Leistungen hat dieser Lieferant im Hinblick auf Komponentenqualität, rechtzeitige Lieferung und Einhaltung des Service Level Agreement erbracht? Wie sieht das Preismodell des Lieferanten im Vergleich zu einem Konkurrenten aus, der vergleichbare Komponenten für die südamerikanische Produktionsstätte des Unternehmens liefert?
Diese Informationen sind natürlich nicht in der Debitorenanwendung vorhanden. Die Suche nach diesen Informationen erfordert mitunter einen kennwortgeschützten Zugriff auf nicht autorisierte Anwendungen oder das altmodische Telefon und
E-Mails, was alles wertvolle Zeit vergeudet. Wenn dieses Unternehmen eine dienstorientierte Architektur entwickelt hat, werden Anwendungen mühelos über XML, SOAP UDDI und WSDL kommunizieren. Dieselbe Struktur unterstützt die Integration eines
BI-Layer für Datenanalysen, über den Echtzeitinformationen auf Knopfdruck zur Verfügung gestellt werden. In den vergangenen Jahren wurden führende BI-Tools um Funktionen wie gesteuerte Analysen erweitert, die ein solches Szenario noch zwingender machen. Eine gesteuerte Analyse bezieht sich auf Workflow-gesteuerte Abfolgen, die Benutzern bei der Suche nach Informationen helfen. Diese Eigenschaft ist vor allem für den Zugriff auf mehrere Anwendungen besonders wertvoll.
BAM klingt nach einer ziemlich einfachen Idee. Welcher Berufstätige überwacht nicht die Aktivitäten in seinem Geschäftsbetrieb? Die Frage ist jedoch, ob die Überwachung rechtzeitig erfolgt und wie effektiv sie ist. Wenn ein Manager am Quartalsende feststellt, dass die Umsätze im Einzelhandel zurückgegangen und die Online-Umsätze gestiegen sind – und der Warenbestand gleich geblieben ist, was zu einem Überschuss im Einzelhandel und einem Engpass im Onlinevertrieb geführt hat –, ist die Überwachung offensichtlich nicht sehr effektiv. Und dennoch gibt es Data-Warehousing-Systeme der ersten Generation, bei denen eine solch ausgeprägte Verzögerung nicht ungewöhnlich ist. Bei BAM geht es demgegenüber um die zeitnahe Überwachung von Ereignissen mit dem Ziel, die Leistung des Geschäftsbetriebs zu überwachen, zu erfassen und zu verbessern. Und hierbei können Web Services und BI ihr ganzes Können unter Beweis stellen. Ein mit Web Services ausgestattetes BI-System bietet eine ideale Plattform für BAM und seine Zielsetzung einer sehr genauen Überwachung von Geschäftsereignissen (wie Kundenbestellungen, Logistik, dynamische Preisstruktur). Eine Datenintegrationsplattform hält nach Ereignissen in Anwendungen Ausschau, die über eine dienstorientierte Architektur miteinander verknüpft sind. Anschliessend werden diese Informationen erfasst und auf der BI-Schnittstelle eines Desktop oder auf einem mobilen Gerät bereitgestellt. Diese Warnungen oder Meldungen von Ausnahmen sind immens wichtig für schnellere Reaktionszeiten, um entweder Chancen zu nutzen oder auf widrige Umstände zu reagieren. Gleichzeitig werden vordefinierte Kennzahlen und wichtige Leistungsindikatoren vom System bereitgestellt.
Viele Manager sind sich des Wertes bewusst, den eine Echtzeit-BAM-Architektur für nahezu jeden vertikalen Markt bieten kann – Einzelhandel, Finanzwesen, Gesundheitswesen, Verkehrswirtschaft, verarbeitende Industrie und andere. Laut einer Studie von The Data Warehousing Institute (TDWI) im November 2003 hat eine Umfrage bei 846 IT-Fachkräften und Geschäftsanwendern ergeben, dass 50 Prozent der Befragten Echtzeit-BI-Systeme einsetzten oder deren Einsatz planten. Hierbei haben die Befragten wichtige Zielbereiche für BAM genannt, zu denen Vertrieb, Marketing, Rechnungswesen und Kundendienst gehörten. Jeder dieser Funktionsbereiche wird üblicherweise von verschiedenen Anwendungen unterstützt, die von der über Web Services erzielten Interoperabilität profitieren würden. Kennzahlen und Warnmeldungen auf ungewöhnliche Ereignisse sind nur die Spitze des BAM-Eisbergs. Das System nutzt die Vorteile der über Web Services bereitgestellten Interoperabilität. Es liefert Managern auf Anfrage Daten aus dem gesamten Unternehmen und bietet ihnen die Möglichkeit, Ursachen und Auswirkungen zu untersuchen. Diese Fähigkeit ist für eine abteilungsübergreifende Sicht der Performance unerlässlich. Manager haben damit ausgezeichnete Möglichkeiten, Ursache und Wirkung innerhalb komplexer Systeme besser zu verstehen – inwieweit die Supply Chain Auswirkungen auf die Preisstruktur hat, in welcher Beziehung Qualitätskontrolle und Vertrieb stehen oder welche Auswirkung das Marketing auf die ausstehenden Forderungen der Woche hat.
Die Geschäftsdynamik und die begrenzte Transparenz von Informationen führen zu Szenarien, die geradezu im Lehrbuch für Chaostheorie stehen könnten. Physiker haben im Rahmen von Studien zur Chaostheorie beobachtet, dass kleine Ursachen grosse, unvorhersehbare Wirkungen haben können. Häufig wird dieses Phänomen «Schmetterlingseffekt» genannt, denn der Schlag eines Schmetterlingsflügels in China kann einen gewaltigen Wirbelsturm über New York auslösen. Es ist nicht schwierig, sich eine Parallele in der Geschäftswelt vorzustellen: Ein kleines, fehlerhaftes Teil aus Fernost löst eine kostspielige Rückrufaktion eines Produkts aus und hat für einen Hersteller in München den Verlust an Glaubwürdigkeit zur Folge. Die Echtzeittransparenz von Informationen durch Web Services und BI bietet Unternehmen eine bessere Chance, auf Abweichungen zu reagieren und Schaden zu mindern. Web Services stecken noch in den Kinderschuhen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird ihr Einsatz in Ihrem Unternehmen vorerst weitgehend taktischer Natur sein; eventuell werden zur Unterstützung einer Transaktionsverarbeitung Anwendungen miteinander verknüpft. Im Zuge der Entwicklung dieser Systeme haben Geschäftsanwender und IT-Fachleute jedoch die Möglichkeit, sich Gedanken darüber zu machen, inwieweit Web Services nicht nur die Entwicklung erleichtern und IT-Infrastrukturen ebnen, sondern in Form von Business Intelligence einen langfristigen, strategischen Wert für Entscheidungsträger bereitstellen.