Das Zürcher e-Voting Projekt
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/14
Die Trendparameter im Bereich e-Government für die Schweiz zeigen ein ernüchterndes Bild über den aktuellen Stand des elektronischen Schalters in der Schweiz. Die Bevölkerung hat noch nicht viel gespürt, von den Investitionen, die der Staat diesbezüglich getätigt hat.
Die Schweiz will initiativ sein. In der direkten Demokratie haben wir nun die Möglichkeit, international wieder einmal ein Zeichen zu setzen. Die Schweiz hat zurzeit drei e-Voting Projekte am laufen. Allen voran, zieht das Zürcher Projekt die Aufmerksamkeit aus anderen Kantonen, aber auch aus dem Ausland auf sich.
Schon zu Beginn wurde darauf geachtet, dass das e-Voting System ins Ausmittlungssystem (Errechnen der eingegangenen Stimmen) voll integriert werden kann. Das WABSTI (Wahl und Abstimmungssystem resp. Ausmittlungssystem), das in den Kantonen Zürich, St. Gallen, Thurgau und Solothurn im Einsatz steht, ist das Führungssystem. So ist es heute möglich, die elektronischen Stimmen am Abstimmungssonntag per Knopfdruck aus dem e-Voting System ins Ausmittlungssystem zu übernehmen.
Der Autonomie der 171 Zürcher Gemeinden (von Kleinstgemeinden, bis zur Stadt Zürich) musste Rechnung getragen werden. Eine nicht ganz einfache Aufgabe. Die Stimmregister werden heute dezentral in den Gemeinden verwaltet. Um e-Voting betreiben zu können, musste erst die Möglichkeit geschaffen werden, die Stimmregisterdaten per Stichtag zusammen zu ziehen, damit unter anderem Stimmrechtsausweise gedruckt werden können. Allein im Kanton Zürich sind acht verschiedene Softwareprodukte, in mehreren Versionen im Einsatz, um die Einwohnerregister zu verwalten.
Ziel des Zürcher Projektes war es auch, gleich zu Beginn, zwei Technologien einzuführen: Das Internet und die Telefonie (SMS). Das e-Voting System ist Modular aufgebaut, so dass auch zukünftige Technologien problemlos integriert werden können.
Das System deckt sämtliche Anforderungen ab, die das elektronische Wählen und Abstimmen stellt: So können nicht nur Sachgeschäfte, sondern auch Mayorz- und Proporzwahlen, damit durchgeführt werden.
Ein e-Voting System zu realisieren, bedeutet weit mehr, als das reine Erstellen einer Informatiklösung. Politische Rahmenbedingungen (Gesetze, Verordnungen, Weisungen) mussten zuerst geschaffen werden. Das e-Voting Projekt ist eine stetige Gradwanderung von politischen Vorgaben und informationstechnischen Möglichkeiten. Das Gesetz über die Politischen Rechte wurde erst im Januar 2004 durch den Bund in Kraft gesetzt. Als Informatikerin war es nicht immer einfach, die politischen Gegebenheiten und die Denkweise von Kanton und Bund nachzuvollziehen. Einige der Rahmenbedingungen sind auf den ersten Blick schwer verständlich und scheinen einem manchmal etwas verstaubt, müssen aber dennoch eingehalten werden. Umso interessanter war es, auch hier gangbare Lösungen zu finden.
Ein e-Voting System muss sicher sein. Dies ist wohl eine unumstrittene Tatsache. Nicht auszumalen, was geschehen würde wenn Stimmen in grossem Masse manipuliert werden könnten. Nach der Verordnung des Bundes muss ein e-Voting System gleich sicher sein, wie die herkömmliche Stimmabgabe. Einzelne Gesetzeswidrigkeiten werden immer vorkommen – mit dem
e-Voting System aber weniger oft als es heute der Fall ist.
Das e-Voting System hat unterschiedliche Benutzergruppen: Einerseits der Stimmbürger und andererseits die Gemeinden, die Wahlbüros und die kantonalen Kontrollstellen. Auf der Seite der Stimmbürger treffen wir auf ein sehr differenziertes Umfeld. Das System muss von der Bedienung her so einfach sein, dass die angesprochenen Benutzergruppen problemlos damit zurecht kommen. Eine Abstimmung findet nur ca. alle drei Monate statt. Da muss das Vorgehen schon sehr einfach sein – und trotzdem absolut sicher. Mit dem Handy werden wohl jene Abstimmen, die auch sonst oft SMS verschicken. Hier ist anhand des kleinen Bildschirms die Usability heute noch etwas eingeschränkt. Die junge Generation ist jedoch mit dem Handy aufgewachsen und hat einen selbstverständlichen Umgang mit diesem Medium entwickelt. Erfahrungen an den Studierendenratswahlen an der Universität Zürich haben gezeigt, dass es durchaus möglich ist, via Handy auch an Proporzwahlen teilzunehmen. Für einen grösseren Teil der Bevölkerung wird vor allem das sehr einfach zu Hand habende Abstimmen und Wählen über Internet von grossem Interesse sein.
Ein e-Voting System zu realisieren bedeutet weit mehr als einen Server zu kaufen und eine Datenbank darauf zu installieren. Um die strengen Sicherheitsnormen zu erfüllen, mussten Hardware- und Softwaremässige Vorkehrungen, wie auch organisatorische Massnahmen getroffen werden.
Über das kantonale Netzwerk werden die Stimmregisterdaten aus den gemeindeeigenen Stimmregistern via SSL-Verschlüsselung übermittelt und auf dem e-Voting Server temporär gespeichert. Haben
alle Gemeinden die Daten übermittelt, werden die Codierungen für die Stimmrechtsausweise erstellt. Dies sind zum einen eine Identifikationsnummer und ein dazugehöriger PIN (dieser wird auf dem Stimmrechtsausweis verdeckt angezeigt), zum anderen die Codetabelle, welche für die Teilnahme per SMS nötig ist. Die Stimmrechtsausweise werden im PDF Format erstellt und von zertifizierten Druckereien
(hohe Sicherheitsvorkehrungen) gedruckt und teilweise direkt verschickt. Zu diesem Zeitpunkt sind die Daten auf dem e-Voting System bereits anonymisiert. Bei der Stimmabgabe ist kein Rückschluss auf die Person möglich. Voten und Stimmrechtsausweise werden bei der elektronischen Stimmabgabe separat abgelegt. Ein Rückschluss wer, was
gestimmt hat ist zu keinem Zeitpunkt möglich. Erst
am Abstimmungssonntag, nach Urnenschluss (herkömmliche Wahlurne) werden die Stimmen decodiert und an das Ausmittlungssystem per Knopfdruck übermittelt. Hier werden die elektronischen Voten mit den von Hand ausgezählten Stimmen zusammengeführt und das Wahl- bzw. Abstimmungsresultat wird ermittelt.
Am 30. Oktober 2005 wird die Stadt Bülach als erste Zürcher Gemeinde, bei einem kommunalen Sachgeschäft, zusätzlich zu den konventionellen Abstimmungsverfahren auch die elektronisch Stimmabgabe anbieten. Am 27. November werden dann weitere Gemeinden, erstmals über kantonale- und eidgenössische Vorlagen, mittels e-Voting abstimmen können. Im April 2006 wird den Stimmberechtigten der Stadt Bülach die Möglichkeit gegeben, an den Behördenwahlen ihre Stimme elektronisch abzugeben.
Das e-Voting Projekt hat «Pionier» Charakter. Die technischen Voraussetzungen und die Abdeckung von Internet und Handy in der Bevölkerung sind in der Schweiz gegeben. Mit e-Voting hat die Schweiz die Möglichkeit, wieder einmal auf sich aufmerksam zu machen und ein Zeichen des Fortschritts zu setzen. Auch für die Wirtschaft könnte dieses Projekt positive Impulse setzen. Zu hoffen bleibt, dass auch die Politik etwas mutiger wird und Vertrauen hat in die neuen Möglichkeiten, die heute zum täglichen Alltag der Einwohner dieses Landes gehören.
Das e-Voting System ist letztlich nicht nur eine technische, sondern wie viele andere Informatikprojekte, eine organisatorische Herausforderung.
Die technische Lösung wurde realisiert. Der Einsatz und die Verbreitung dieser Lösung in einem staat-
lichen Umfeld, mit zahlreichen Schnittstellen, erfordert jedoch einiges an Wissen und Erfahrung um das System erfolgreich einsetzen zu können. e-Voting in der Schweiz könnte schon heute Realität sein. Wie schnell das e-Voting System flächendeckend eingesetzt wird, hängt jedoch letztlich von politischen Entscheiden ab.