Kaktus für die Geschäftsleitung der "Winterthur"
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/07
Im Februar hat die Winterthur/Credit Suisse den Abbau von insgesamt 1250 Stellen in der Schweiz angekündigt. Am Hauptsitz der Winterthur sind 350 Stellen betroffen, was 28 Prozent der gesamten Arbeitsplätze ausmacht. In der IT-Abteilung werden total 150 Stellen gestrichen. Begründet wird der Abbau durch strukturelle Veränderungen. Einerseits wurden die Sparten Sach- und Lebensversicherung zusammengelegt, andererseits wurden einige europäische Projekte gestrichen.
Das Debakel gefällt den Betroffenen überhaupt nicht. Nach der Kommunikation des Stellenabbaus haben Angestellte die Interessengemeinschaft WIN IT ins Leben gerufen und den Kontakt mit der Online-Gewerkschaft Syndikat hergestellt. Die WIN IT setzt sich in erster Linie für die IT-Mitarbeiter ein, mit dem Ziel, Kündigungen oder Freisetzungen durch neue Arbeitszeitmodelle zu vermeiden.
An einer Veranstaltung vom 27. März in Winterthur, an der 130 "Winterthur"-Angestellte sowie Persönlichkeiten wie Mitglieder des Winterthurer Stadtrates oder Professor Eberhard Ulich, Spezialist für Arbeitszeitmodelle, teilnahmen, wurde eine Resolution verabschiedet, die die einzelnen Forderungen an die Geschäftsleitung beinhaltet.
Als Schwerpunktmassnahme wird die Einführung der flexiblen Vier-Tage-Woche gefordert. Dabei wird eine Beteiligung der Arbeitslosenkasse (zur Übernahme des Verdienstausfalls) angestrebt. Weiter werden für die Umsetzung von Arbeitszeitmodellen faire, sorgfältig ausgehandelte Lösungen verlangt. Dazu gehört ein Kündigungsschutz für die Zeit, in der mit reduziertem Pensum gearbeitet wird, angemessene Regeln für den Umgang mit den Sozialversicherungen, und dass die Betroffenen bei der Ausgestaltung ein Mitspracherecht haben. Als dritten Punkt beinhaltet die Resolution die Forderung nach sofortiger Verhandlung mit der Firmenleitung.
Da die CS zu diesem Zeitpunkt zu keinen weiteren Gesprächen bereit war, kam man zum Schluss, dass mit gezielten Aktionen Druck für Verhandlungen aufgebaut werden muss. Eine erste Veranstaltung fand am 2. April statt. 150 Angestellte der "Winterthur" legten für kurze Zeit die Arbeit nieder und forderten erneut Verhandlungen. Symbolisiert wurde die Aktion durch die Übergabe von 150 Kakteen (für jede betroffene IT-Stelle eine) und einer Rose für den gewünschten Dialog.
Dass die CS/Winterthur keineswegs wegschaut, beweisen jedoch verschiedene Korrespondenzen im Vorfeld. "Wir nehmen die Sache sehr ernst", kommentiert Georg Söntgerath, Mediensprecher der Credit Suisse, die bereits bei der Ankündigung des Stellenabbaus einen umfassenden Massnahmenkatalog vorgelegt hatte. Dieser hat einen Unterschied zu den Forderungen von WIN IT, nämlich, dass jeder Mitarbeiter individuell betreut werden soll. "In Einzelbereichen ist man immer zu Lösungen bereit. Überall die Vier-Tage-Woche einzuführen ist nicht möglich", so Söntgerath. Der Abbau sei strukturell bedingt und deshalb nicht nur vorübergehend.
Anderer Meinung ist Beat Ringger, Vorstandsmitglied von Syndikat: "Für uns ist es störend, davon auszugehen, dass man jetzt Sachen für die Ewigkeit baut." Für Ringger sind die Aussagen der Geschäftsleitung unglaubwürdig: "Wer weiss denn heute, wie die Marktlage und die Business-Pläne der 'Winterthur' in drei bis vier Jahren aussehen werden? Wir erachten es auf jeden Fall für sinnvoll, für die nächsten zwei Jahre möglichst viele Jobs zu erhalten."
Der Freisetzungsprozess ist mittlerweile in vollem Gang und wird bis zum Erscheinen dieser InfoWeek-Ausgabe voraussichtlich abgeschlossen sein. Gemäss Syndikat zeichnet sich ab, dass hauptsächlich Stellen im User-Support betroffen sind. Auf Projekt-Seite sei es sehr unterschiedlich, aber deutlich geringer, so Ringger.
Immerhin konnten Syndikat und WIN IT bereits einen Teilerfolg verbuchen: Die CS-Tür ist in der Zwischenzeit für weitere Gespräche aufgegangen, und mindestens zehn der ursprünglich zum Abbau vorgesehenen Stellen im User-Support konnten vorerst gerettet werden.
Syndikat kündigte an, an einer Aktion am Mittwoch dieser Woche der Geschäftsleitung als Dank für die neuerliche Gesprächsbereitschaft diesmal einen ganzen Strauss Rosen zu überreichen. Anschliessend sollen die Betroffenen über die Modalitäten diskutieren, wie die Vier-Tage-Woche bei der "Winterthur" implementiert wird, erklärt Ringger.