Peer-to-Peer-Networking: Tupperware-Party im Netz
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2000/32
Vier grosse Plattenmultis hat MP3.com von einer Kooperation überzeugen können. Doch der Fünfte im Boot, Universal Music, weigerte sich standhaft - und scheint nun belohnt zu werden:
Ein US-Richter sprach der Firma einen Schadenersatz von 25 000 Dollar pro CD zu, die MP3.com in ihrem Online-Musikarchiv für Abrufer bereithielt. Es geht um bis zu 250 Mio. Dollar.
Aus juristischer Sicht gibt es daran nicht allzuviel zu rütteln. Musikstücke wurden ohne Erlaubnis kopiert, was zweifellos eine Urheberrechtsverletzung darstellt. Dieses Zeichen ist jetzt deutlich gesetzt worden. Doch ist das (nicht rechtskräftige) Zwischenurteil wirklich ein Gewinn für Universal und die Branche? Wohl kaum. Erstens wird MP3.com mit dem Entscheid in die nächste Instanz gehen, weil sie gar nicht anders kann - oder sie müsste womöglich ihre Bilanzen deponieren. Das Verfahren zieht sich damit unweigerlich in die Länge. Zweitens vergibt Universal eine gute Chance, ein langfristiges Geschäft aufzubauen, von dem sie sehr viel mehr profitieren würde als vom Scherbenhaufen, den das Urteil hinterlassen dürfte. Überdies werden jetzt auch die anderen Plattenfirmen wieder neue Lizenzvereinbarungen aushandeln wollen.
Eines ist klar: Für die Manager eines nicht agilen, traditionsreichen Konzerns wie Universal Music erscheinen Internet-Firmen wie MP3.com in erster Linie als eine Bedrohung bestehender Pfründe. Diese gilt es zu verteidigen, koste es was es wolle. Doch während sich Universal auf die Verletzung seiner Urheberrechte fixiert, entgeht dem Konzern, dass eben Firmen wie MP3.com genau das anbieten könnten, wozu er selbst bisher nicht in der Lage war: Erweiterte Vertriebsmodelle zu schaffen, die den Bedürfnissen des Publikums entsprechen. Innovative Online-Vertriebsmethoden sollten deshalb als Chance und nicht als Gefahr betrachtet werden.
MP3.com hatte noch vor dem Richterspruch angekündigt, über 20 "reale" Musik-CD-Shops in den USA zu eröffnen, in denen Kunden - natürlich gegen Bezahlung - autorisierte Musikstücke an Terminals zu persönlichen CDs zusammenstellen könnten. Ist der Service ausreichend bequem, werden ihn sicherlich manche Kunden der Bastelei auf dem eigenen PC mit CD-Brenner vorziehen. So wird letztlich Umsatz generiert, den es bisher in dieser Form nicht gab.
Auch Kosten könnten mit ein wenig Innovationsfreude signifikant gesenkt werden. Das von Napster eingeführte Peer-to-Peer-Vertriebsmodell wurde bisher zwar vorwiegend für den Austausch von Raubkopien benutzt. Doch das muss nicht so bleiben. So wäre es gut denkbar, über dieselben Netze auch kostenpflichtige Inhalte zu vertreiben. Die dezentrale Struktur kann dabei gezielt ausgenutzt werden. Interessierte Konsumenten treten - frei nach dem Vorbild der Tupperware-Partys - nicht mehr nur als Kunden auf, sondern werden in den Vertrieb aktiv eingespannt und etwa über Kommissionen, Rabattgutschriften und andere Methoden für die Mitarbeit belohnt. Da in diesem Modell zudem weder klassische Händler noch physische Ware existieren muss, kann grundlegend anders kalkuliert werden und die Kunden profitieren wiederum davon. Derweil bieten die moderne Technik der Verschlüsselung und die digitalen Signaturen jede nötige Handhabe, um den zu erwartenden Missbräuchen vorzubeugen. Bereits haben Branchengrössen wie Intel reges Interesse am Peer-to-Peer-Modell bekundet und wollen das Verfahren in der einen oder anderen Weise für ihre eigenen Bedürfnisse einsetzen.
Es ist freilich nachvollziehbar, dass es für einen Medienkonzern, für den sich letztlich alles um Urheberrechte dreht, nicht leicht sein wird, über seinen eigenen Schatten zu springen. Doch genau darum geht es: Wer in der Welt der neuen Kommunikations- und Medienformen einen besonderen geschäftlichen Erfolg erzielen will, der muss bereit und fähig sein, aus bestehenden Strukturen auszubrechen und "quer" zu denken. Dann wird sich häufig zeigen, dass ein vermeintlicher Konkurrent oder eine vermeintliche Gefahr sich letztlich für die eigenen Belange einspannen lässt. Und das ist keineswegs nur für die Musikbranche gültig.