Die Rolle des CIO verändert sich
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/22
InfoWeek: Fangen wir mit einem überaus populären Thema an: Green IT. Was macht IBM in diesem Bereich?
Mark Hennessy: Zuallererst: Green IT ist nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch fürs Business. Wir reden darüber, aber gleichzeitig setzen wir innerhalb von IBM auch auf grüne IT. Ein gutes Beispiel dafür sind unsere Bemühungen rund ums grüne Datencenter. Wir fokussieren darauf, die Anzahl Server, die in unseren Datencentren im Einsatz stehen, drastisch zu reduzieren. Beispielsweise konsolidieren wir Tausende von Intel-Servern auf einige Dutzend System z-Server, auf denen Linux läuft. Dieser Schritt wird uns grosse Kosteneinsparungen bringen, gleichzeitig werden wir deutlich weniger Strom verbrauchen. Parallel arbeiten wir mit unseren Kunden zusammen, damit diese verstehen, was wir in diesem Bereich machen. Wir versorgen sie mit Roadmaps sowie Tools, und wir lernen von ihnen und ihren Bemühungen, effizienter zu werden.
Doch was steht denn bei IBM im Mittelpunkt: Geld zu sparen oder die Umwelt zu schützen?
Ganz klar beides. Denn wir sehen die Vorteile auf beiden Seiten. Wie gesagt, unsere Betriebskosten sind dank effizienterer IT dramatisch gesunken. Zudem: Das Geld, das wir einsparen, können wir in unsere Transformationsprozesse re-investieren. Gleichzeitig ist es für uns wirklich wichtig, weniger Energie zu verbrauchen, um die Umwelt zu schonen.
Wie sieht ihr Tag eigentlich aus, als CIO eines so grossen Unternehmens wie IBM?
(Lacht) Eine gute Frage. Lassen Sie mich ein wenig über die Rolle eines CIO sprechen. Diese ist im Moment markanten Veränderungen unterworfen, und zwar unabhängig davon, ob man meine Position als IBM-CIO betrachtet oder über die Rolle eines CIO in einem anderen Unternehmen spricht. Anfang 2006 haben wir mehr als 760 CEOs rund um den Globus befragt, unter anderem darüber, wie die Business-Strategie und die IT integriert werden. 80 Prozent haben ausgesagt, diese Integration – der Link zwischen Business-Strategie, Business-Zielen und den IT-Tools und -Prozessen – sei kritisch für den langfristigen Unternehmenserfolg. Aber nur 50 Prozent der CEOs zeigten sich zufrieden mit der Effizienz dieser Integration. Man wusste also, dass sie vollbracht werden muss, aber nicht genau wie.
Ist das eine der Herausforderungen, mit der man auch bei IBM konfrontiert war?
Absolut. Und ich glaube, das war eine der wesentlichen Herausforderungen für CIOs in der jüngeren Vergangenheit. Inzwischen gelingt das uns – und damit meine ich grundsätzlich uns CIOs – schon deutlich besser. Wir hatten kürzlich ein CIO-Leadership-Meeting in New York mit rund 250 CIOs. 69 Prozent haben dabei ausgesagt, sie seien inzwischen persönlich involviert in die strategischen Ziele ihres Unternehmens. Diese Transformation der CIO-Rolle findet also statt im Markt.
Können Sie das etwas ausführen?
Zum Beispiel wurde in der Vergangenheit oft über das ‹Global Integrated Enterprise› gesprochen und darüber, wie viele Unternehmen sich von regionen- oder länderfixierten Unternehmen zum global integrierten Unternehmen gewandelt haben. CIOs haben eine entscheidende Rolle dabei gespielt, dies möglich zu machen. Ein anderes gutes Beispiel dafür ist, wie CIOs helfen, Innovationen im Unternehmen voranzutreiben. Dank den Tools und den Möglichkeiten der IT kann ein Unternehmen erfolgreicher werden. CIOs unterstützen Unternehmen bei ihren langfristigen Wachstumsstrategien und dabei, innovativer, erfolgreicher zu sein und neue Services und Produkte auf den Markt zu bringen. Dies ist eine grosse Veränderung für den CIO, und dies sind auch die Herausforderungen für mich: IBM und IBMs Kunden dabei zu helfen, erfolgreicher zu sein.
Sie glauben also, dass CEOs und das Management einer Firma langsam begreifen, was die IT für Sie tun kann, anstatt sie nur als Kostenfaktor zu sehen?
Absolut. Und das ist wirklich eine grosse Veränderung.
Qualifiziertes IT-Personal zu finden, ist nicht einfach. IBM wächst und ist entsprechend auf Spezialisten angewiesen. Gibt es Probleme, diese zu finden?
Ein grosser Vorteil, den wir als global agierendes Unternehmen haben, liegt darin, dass wir aufgrund dessen, wo Skills verfügbar sind, operieren können. Auf diese Skills können wir dann wiederum global zugreifen. Eines der wichtigsten Elemente dabei, IT-Staff für sich zu gewinnen und diesen auch produktiv arbeiten zu lassen, liegt in den Tools und Möglichkeiten, die man zur Verfügung stellt. Auch hier können CIOs eine führende Rolle spielen. Das Aufkommen sozialer Netzwerke und kollaborativer Werkzeuge hilft, die Mitarbeiter produktiver werden zu lassen. Und diese Tools helfen auch, eine Umgebung entstehen zu lassen, in der Mitarbeiter arbeiten wollen, innovativ sein wollen. Sie können zusammenarbeiten und Dialoge mit Kollegen rund um den Globus führen. Sie spüren, dass sie wertvoll sind. Das wird aber nicht nur von unseren Mitarbeitern geschätzt, sondern macht uns auch als Arbeitgeber für neue Mitarbeiter attraktiv.
Also hat IBM keine Mühe im Recruiting?
Schauen Sie, abhängig vom Markt und von bestimmten Fähigkeiten wird es immer Bereiche geben, in denen ein Spezialisten-Mangel herrscht. Wir versuchen einfach, den Arbeitsmarkt zu beobachten, Skills für uns zu gewinnen und vor allem zu schauen, dass unsere Mitarbeiter produktiv sein können.
IBM ist führend, wenn es um Patente geht. Wie funktioniert Innovation bei IBM?
Entscheidend ist dabei, wie man seine Mitarbeiter in den Innovationsprozess einbinden kann. Und das ist nebenbei wiederum ein Bereich, in dem CIOs einen wesentlichen Unterschied machen können. Lassen Sie mich einige Beispiele nennen: Innovation passiert in mehreren Stufen. Die Kreation von Ideen steht zuerst, gefolgt von der Entwicklung dieser Ideen. Danach geht es darum, den Mehrwert der Ideen einzufangen, unabhängig davon, ob es sich um ein Produkt, einen Service oder einen neuen Prozess handelt. Diese drei Stufen sind alle nötig, denn Innovation um der Innovation willen generiert nicht zwingend einen Mehrwert.
Ich werde die drei Stufen etwas erläutern. Für die Kreation von Ideen kommen Tools zum Einsatz. Eines davon ist der sogenannte ‹Jamming Process›, ein Online-Forum, wo Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt zusammengebracht werden. Dieses Tool, dieses Forum, wurde bereits 2001 bei IBM intern genutzt. Schon da hat sich gezeigt, dass der ‹Jamming Process› einen interessanten Collaboration-Prozess in Gang setzt. IBM-Mitarbeiter merkten plötzlich, dass ihre Meinungen gehört und geschätzt wurden. Sogar unser Chairman nutzte das Tool, und die Mitarbeiter konnten ihm direkt Fragen stellen. Im Jahr 2006 dann riefen wir auf dieser Basis den sogenannten ‹Innovation Jam› ins Leben, und 140’000 Menschen haben an diesem Event partizipiert – Mitarbeiter, Akademiker, Business-Partner und Kunden. Für die besten Ideen hat unser CEO Sam Palmisano 100 Millionen Dollar bereitgestellt. So ist es etwa geschehen, dass das Thema Green Datacenter, über das wir zuvor sprachen, am Innovation Jam ein Thema war, und ein Teil dieser 100 Millionen fliessen in Innovationen rund um Green IT.
Auch für die Umsetzung der Ideen – den zweiten Faktor – setzen wir Tools ein. Eines davon ist ein Programm namens ‹BizTech›. Bei ‹BizTech› handelt es sich um eine Reihe kleiner Teams, welche sich die Ideen aus den ‹Jams› oder auch aus ‹Think Place›, einem anderen Ideen-Forum, im Detail anschauen und diese mit Experten diskutieren. Erst vor wenigen Wochen habe ich einen Event gehosted, an dem neun solcher Teams Ideen präsentiert haben. Fünf der präsentierten Ideen wurden abgesegnet, und basierend auf diesen fünf Ideen haben wir 20 Patente beantragt. Im Moment werden diese Ideen in Produkte umgesetzt.
Sie sehen also, diese Tools und Communities sind ein grossartiger Weg, Ideen zum Leben zu erwecken – und zwar absolut unbürokratisch. Dieses Community-Denken entfesselt die Kreativität, die innerhalb unserer Organisation vorhanden ist. Speziell unsere neueren Mitarbeiter schätzen diesen Weg der Zusammenarbeit. Die wollen keine Memos und telefonischen Anfragen, die wollen Social-Networking-Tools, über die sie sich mitteilen können.
Können andere Firmen diese Tools von IBM für sich adaptieren?
Ja, sicher. Es geht ja um das Generieren von Ideen. Es gibt einige Beispiele von Unternehmen, welche unsere ‹Jam›-Technologie nutzen. Es spielt eigentlich keine Rolle, um welchen Industriezweig es sich handelt. Wir reden von Innovations-Tools, und jede Firma kann diese nutzen.
IBM wirkt, speziell seit dem Verkauf der PC-Division, mehr und mehr wie ein Anbieter ausschliesslich für Grosskonzerne. Schätzt man KMU als Kunden überhaupt noch?
KMU werden von uns als Kunden definitiv geschätzt. In Tat und Wahrheit sind KMU in gewissen Bereichen für unser Wachstum hauptverantwortlich. Wir wollen den Markt verstehen und verbringen deshalb viel Zeit mit KMU. Ausserdem, so glaube ich, werden wir besser und besser darin, Produkt- und Service-Pakete zu schnüren, welche den Bedürfnissen von KMU entsprechen. Klar haben wir viele unserer Lösungen ursprünglich für den Enterprise-Bereich entwickelt. Diese können wir aber massgeschneidert auch für KMU anbieten.
Hersteller wie HP oder Dell lancierten in Vergangenheit aber Produkte, die speziell für KMU entwickelt wurden. Dies mit dem Argument, dass KMU bislang nur Feature-reduzierte Enterprise-Lösungen vorgesetzt bekamen. Genau das scheint auch IBM zu tun: Man «kastriert» für KMU Enterprise-Lösungen.
Schauen Sie: Die Technologie unserer Unix- oder Linux-Systeme wurde gross angelegt entwickelt. Das heisst, Skalierbarkeit, Sicherheit und Verfügbarkeit sind so ausgelegt, um einer Enterprise-Umgebung zu genügen. Doch diese Charakteristiken sind so auch in unseren Lösungen für KMU zu finden. Das ist doch ein Vorteil für diese Kunden. Klar haben kleinere Firmen andere Ansprüche. Deshalb passen wir die Pakete entsprechend an. Beispielsweise werden die Services für Unix- und Linux-Systeme in speziellen Servicepaketen angeboten, die es für KMU einfach machen, diese Services zu nutzen. Wir versuchen, so flexibel wie möglich zu sein, um die Kundenbedürfnisse abzudecken.
Wir haben nun oft über die Rolle des CIOs gesprochen. Meinten Sie dabei jeweils den CIO grundsätzlich oder den CIO eines Grosskonzerns? Können Sie überhaupt nachvollziehen, was der CIO eines kleineren Unternehmens macht?
Durchaus. Die Themen bezüglich Wachstum und Innovation und die Frage, wie die Leistungsnehmer besser und effizienter bedient werden können, beschäftigen jeden CIO gleichermassen – unabhängig der Grösse eines Unternehmens oder der Branche, in dem es sich bewegt. Ausserdem glaube ich, dass gute Ideen in jede Richtig fliessen können. CIOs von grossen Konzernen können bezüglich Prozessen, Ideen und simplifizierten Ansätzen von ihren KMU-Kollegen durchaus lernen.
Das Interview mit Mark Hennessy führte Marcel Wüthrich.
Mark Hennessy's Rolle als globaler CIO von IBM ist relativ neu. Er bekleidet das Amt seit Juli 2007. Bedeutend länger ist seine Geschichte bei Big Blue. Er gehört IBM seit 1981 an und war in diversen Bereichen – primär im Verkauf und im Marketing – tätig. Seine Kunden zeichneten für rund 10 Prozent des globalen IBM-Umsatzes verantwortlich. Seit 1996 trägt er den Titel eines Vice Presidents bei IBM. Seinen Abschluss in Wirtschaft machte Hennessy 1980 am Boston College. 1990 gesellte sich ein MBA der Universität Chicago hinzu. Hennessy lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Westport, Connecticut.