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Interview: «Wir wissen gar nichts über Sie»

Google-Vize Douglas Merrill spricht im Interview über Themen wie Online Storage und Privacy und verrät, was die Konkurrenz besser macht.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/19

     

InfoWeek: Beginnen wir mit einem Thema, das momentan wohl öfters mal zur Sprache kommt: Was halten Sie von Mobiltelefonen?


Douglas Merrill: (lacht) Nun, ich habe eins gleich hier... Aber das ist wohl kaum die Antwort, die Sie gesucht haben.
Das Mobiltelefon weiss vermutlich mehr über einen selbst als alles andere auf der Welt. Das Mobiletelefon weiss, wo man ist, mit wem man gesprochen hat. Es kennt alle unsere Geheimnisse und ist auf eine unheimliche Art irgendwie unser bester Freund. Wir bei Google glauben deshalb fest daran, dass Suche eine mobile Komponente haben sollte. Wäre es nicht grossartig, wenn das Telefon einem sagen könnte, wo das nächste Restaurant ist? Oder in welche Richtung man fahren muss? Doch wie soll das ablaufen? Wie gibt man eine Frage ein, in welcher Form wird die Antwort ausgegeben? Sicher ist, Suche muss in Zukunft Mobiltelefone beinhalten, doch die Wahrheit ist: Wir wissen noch nicht, wie das funktionieren soll. Die Suche mobil zu machen, ist nicht einfach. Doch wir glauben, dass der Markt für mobile Suchapplikationen riesig ist. Alleine schon deshalb, weil man in Gebieten, in denen es zwar kein Internet gibt, Millionen von Mobiltelefonen findet – in der Subsahara-Zone zum Beispiel. Zwar wissen wir noch nicht, wie die mobile Suche genau ablaufen soll, doch wir experimentieren mit verschiedenen Dingen.





Also ist nichts dran an den Gerüchten um ein Google Phone oder einem Google-Betriebssystem für Mobiltelefone?




Wir kommentieren keine Gerüchte rund um Mobiltelefone. Aber Applikationen für Telefone – unabhängig von deren Hersteller – sind mit Sicherheit enorm spannend.





Google selbst soll Berichten zufolge Google Apps zu 100 Prozent einsetzen, ist das richtig?



Das ist so. Google als Firma funktioniert mit Google-Applikationen. Als Sie hereingekommen sind, habe ich meine E-Mails auf Gmail abgerufen. Diesen Business-Trip nach Europa, bei dem Leute aus verschiedenen Ländern und verschiedenen Zeitzonen involviert sind, die nicht alle gleichzeitig online waren, haben wir mit Google Docs & Spreadsheets geplant. Wir müssen unsere Firma mit unseren Produkten betreiben. Schliesslich behaupten wir ja, dass unsere Produkte grossartig für den Consumer-Markt seien. Wenn sie so grossartig für Consumer sind, weshalb sollten sie dann nicht auch grossartig fürs Business sein?





Heisst das also, ich finde keine Office-Installationen mehr bei Google?



Doch, natürlich. Auch hier auf meinem Rechner ist Office installiert. Google Docs & Spreadsheets ist nicht wirklich ein Konkurrenzprodukt zu Office – das sind zwei ziemlich unterschiedliche Produkte.




Aber ich kann doch mit den Google Apps mehr oder weniger dasselbe machen wie mit Microsoft Office.



Sehen Sie, Microsoft arbeitet mit Hunderten Entwicklern seit Jahren an Office. Office hat grossartige und nützliche Funktionen – aber auch einige Schwachpunkte. Zusammenarbeit mit Microsoft Word zum Beispiel ist nicht ganz einfach. Unsere Tools sind im Vergleich zu Office deutlich simpler, aber komplett auf Collaboration ausgerichtet. Wir zwei könnten zum Beispiel ein Dokument gemeinsam und zur gleichen Zeit bearbeiten. Zusätzlich haben wir umfangreiche Suchfunktionen in Docs & Spreadsheets eingebaut. Nimmt man Suche und Kollaboration zusammen, ergibt sich eine Umgebung, in der die Anwender schnell und mit minimalem Aufwand Ideen teilen und Communities aufbauen können. Aber: Google Docs fehlen einige Funktionen, die man in Microsoft Word findet – allein schon die Möglichkeit zur Offline-Arbeit. Doch solche Funktionen streben wir gar nicht an. Docs & Spreadsheets ist keine Konkurrenz zu Microsoft Office.




Doch eigentlich wäre es keine grosse Sache, Docs & Spreadsheets um einige zusätzliche Funktionen – etwa für die Offline-Arbeit – zu ergänzen. Wäre es nicht grossartig, eine Firma müsste nicht mehr zwei Lösungen einsetzen – eine für die Offline-Arbeit und eine für Collaboration-Aufgaben?



Nun, wir glauben fest daran, dass es für Docs & Spreadsheets einen grossen Markt gibt. Doch gerade in grossen Firmen stelle ich immer wieder fest, dass in gewissen Abteilungen Funktionen genutzt und benötigt werden, die Google Spreadsheets beispielsweise nicht bietet, Excel aber schon – etwa bei komplexen Formeln. Andere Abteilungen derselben Firma hingegen haben bereits voll auf Docs & Spreadsheets gewechselt. Kurzfristig glaube ich nicht, dass grössere Unternehmen komplett auf das eine oder andere Produkt setzen sollten.




Und langfristig?



Wer weiss schon, was auf lange Sicht passieren wird. Wir zumindest glauben, dass Collaboration und Suche immer wichtiger werden.




Ein grosser Teil der Anwender könnte im Prinzip die tägliche Arbeit mit Google-Applikationen im Internet erledigen. Eigentlich benötige ich den PC und das Betriebssystem lediglich, um online zu gehen. Ist es möglich, dass ich irgendwann nur noch einen Client brauche und der ganze Rest über eine Art virtuellen Google-Desktop erledigt wird?



Wir glauben daran, dass Computing und Storage vermehrt im Netz stattfinden sollten – aus Gründen der Sicherheit, der Zuverlässigkeit und der Einfachheit. Ein Beispiel: Eines der grössten Sicherheitsprobleme ist ein gestohlener oder verlorener Laptop. Meinen Laptop hier können Sie gleich mitnehmen, wenn sie wollen, mir ist das egal. Alles Wichtige – von meinen Aufklebern mal abgesehen – ist in Google Docs gespeichert. Das heisst, in spätestens 10-15 Minuten könnte ich wieder arbeiten. Computing im Netz bedeutet aber auch, dass das Backup-Problem sich erledigt hat. Der häufigste Grund, weshalb Daten verloren gehen, ist ein fallengelassener Rechner. Wenn die Files aber in Gmail gespeichert sind, werden sie auch noch dort sein, wenn der Rechner kaputt ist. Ausserdem kann man prinzipiell von jedem Endgerät aus arbeiten.
Doch zumindest in absehbarer Zukunft wird es immer wieder Situationen geben, in denen man nicht online ist – im Flugzeug oder in der U-Bahn zum Beispiel. Computing auf Client-Seite wird also noch immer benötigt und ist je nach Situation auch sinnvoll. Bis vor kurzem war Client-seitiges Computing gar das einzig Sinnvolle. Heute jedoch ist das etwas anders.




Sie haben Online-Storage erwähnt. Bis heute bietet Google aber keine sinnvollen Tools an, um Daten online abzulegen. Man kann Gmail auf Umwegen als Online-Speicher nutzen, aber eine echte Online-Harddisk wie sie AOL mit dem Xdrive hat, findet man bei Google nicht. Ist hier etwas in Planung?



Ich kann hier keine Ankündigungen machen. Sicher ist: AOLs Xdrive ist ein gutes Produkt. Aber wenn man daran denkt, was die User speichern, sind das meist Dokumente. Dokumente sind in Google Docs und somit in Googles Datencentern gespeichert, genauso wie auch die E-Mails aus Gmail. Als Gmail-User kann man sich selbst Files senden und diese so speichern.


Trotzdem, Speicherplatz, um beispielsweise ein MP3 online zu sichern und zu sharen, fehlt bei Google.


Für MP3s stimmt diese Aussage. Doch beispielsweise für Fotos gibt es Picasa. Der beste Weg, ein Video zu sharen, ist YouTube. Und für Dokumente gibt es wie gesagt Docs & Spreadsheets. Aber Sie haben recht, für MP3s haben wir keine gute Sharing-Methode.




Und hier kommen wir zum Punkt, an dem der Release einer Online-Harddisk Sinn machen würde.




Möglicherweise. Ich kann dazu nur soviel sagen: Man kann sich in diesem Zusammenhang sicher Use-Cases vorstellen, für die die Google-Infrastruktur geeignet wäre.




Ein anderes Thema: Wie zufrieden ist man bei Google mit Google Talk? Ich kenne zwar eine Menge Gmail-User, doch keiner von denen nutzt Talk.



Wirklich? Was nutzen die denn?




Nun, die populären Tools wie ICQ oder MSN.



Interessant. Wir bei Google nutzen unsere eigenen Tools und arbeiten demnach häufig mit Google Talk. Was ich an Google Talk schätze, ist die Tatsache, dass ich während einer E-Mail-Konversation zu Google Chat wechseln kann, sofern mein Gesprächspartner online ist, und dass der Chat dann in die E-Mail-Konversation integriert wird. Ausserdem kann man alles durchsuchen. Wir sind ziemlich zufrieden mit Google Talk, und ohne hier und jetzt etwas ankündigen zu wollen: Im Laufe der nächsten Wochen und Monate kann man mit einigen spannenden Neuerungen rund um Google Talk rechnen.




OK, warten wir's also ab. Der nächste Punkt auf meiner Liste lautet "Google und Security". Was macht Google in diesem Bereich? Wie sorgt Google dafür, dass das Internet sicherer wird?



Sicherheit ist für uns äusserst wichtig. User-Privacy und -Security haben oberste Priorität für Google. Wir haben ein äusserst komplexes und umfangreiches Security-Programm. Früher war Security einfach: Sie war ein Infrastruktur-Problem. Firmen mussten nicht miteinander kommunizieren, man sagte den Usern, was sie tun dürfen und was nicht, und baute riesige Firewalls. Heute aber sind praktisch alle Unternehmen in irgendeiner Form eng mit anderen Unternehmen verknüpft. Zum Beispiel Benefits-Outsourcing – kaum eine Firma wickelt noch Arbeitgeberleistungen wie Löhne selbst ab. Plötzlich passt der Sicherheits-Approach von früher nicht mehr richtig.


Google verfolgt deshalb einen anderen Ansatz. Jeder Ingenieur, der bei Google anfängt, bekommt ein Training im Bereich Security – wie man sicher codiert, wie Code nicht geschrieben werden sollten und so weiter. Diese Trainings werden periodisch wiederholt. Zusätzlich haben wir eine Reihe von Tools mit der Bezeichnung "Lemon", die unseren Code automatisch auf bekannte Sicherheitslücken untersuchen. Immer, wenn ein Build fertig ist, wird dieser von "Lemon" auf Probleme hin überprüft. Angriffe auf unsere Infrastruktur werden zudem überwacht, und wenn wir einen Angriff sehen, den wir so noch nicht kannten, werden diese Informationen "Lemon" hinzugefügt. Somit wird unser Selbsttest immer intelligenter, parallel zu den Leuten, die uns angreifen. Zu guter Letzt haben wir eine Gruppe mit gut 100 Sicherheits-Ingenieuren, die intern Projektberatung in Bezug auf Security machen. Ausserdem hat diese Gruppe unsere wichtigsten Sicherheitselemente entworfen, um beispielsweise die Infrastruktur zu schützen, in der User-Daten oder Kreditkarten-Informationen gesichert sind. Diese Entwicklungen werden von anderen Abteilungen weiterverwendet.


Nicht zu vergessen: Wir verfolgen einen etwas anderen Ansatz als andere Firmen in Bezug auf Security-Researcher. Kontaktiert ein Security-Researcher eine Firma, um ihr mitzuteilen, dass er ein Leck in einem ihrer Produkte gefunden hat, passiert es nicht selten, dass die Firma zuerst einmal die Polizei ruft, um den Finder hinter Gitter zu bringen. Wir glauben nicht, dass dies der richtige Ansatz ist. Wir ermutigen Security-Researcher, gefundene Lecks verantwortungsbewusst offenzulegen – will heissen: Wenn jemand ein Problem mit unseren Produkten findet, soll er uns anrufen. Wir sprechen darüber, wie und wann das Leck geflickt wird, und sobald es geflickt ist, kann der Finder damit an die Öffentlichkeit gehen und die Lorbeeren für seinen Fund einheimsen. In Tat und Wahrheit findet man unter www.google.com/corporate/security.html eine Seite, auf der wir Researchern danken, die Lecks in unseren Produkten gefunden haben. 'Responable Disclosure' nennen wir das, was nichts anderes bedeutet, als dass wir den Kontakt mit Security Researchern suchen, und wenn jemand ein Leck findet, wollen wir das wissen. Und anstelle der Cops senden wir T-Shirts! 'Danke für die Hilfe!'


Für uns ist es entscheidend, dass unsere Produkte sicher sind. Alle unsere Produkte haben eine API, damit Entwickler ihre eigenen Applikationen und Mash-ups bauen können. Damit das funktioniert, müssen wir dafür sorgen, dass unsere Applikationen solid und sicher sind.




Ich habe mal gelesen, das Google den Ansatz verfolgt, unsichere Webseiten aus dem Index auszuschliessen, um das Web sicherer zu machen. Ist das so?



Nein, ich glaube, hier wurden wir missverstanden. In Googles Toolbar kennzeichnen wir potentiell gefährliche Seiten, etwa Phishing-Sites. Die Datenbank, die wir dazu nutzen, ist als API für Third-Party-Produkte verfügbar. Ausserdem werden Spam- und Malware-Websites nicht vorne im Ranking angezeigt. So können wir User in einem gewissen Mass schützen. Sehen Sie: Das Internet ist ein bisschen wie eine Grossstadt: Der grösste Teil davon ist sauber und sicher und voll mit interessanten Dingen und Personen. Daneben gibt es aber Strassenecken, wo man sich vielleicht nicht herumtreiben sollte. Wir wollen unseren Usern sagen, welches diese Strassenecken sind.




Aber der beste Weg, diese Strassenecken zu finden, ist gleichermassen Google.



Ja, weil wir alles sehen. Wir sind nicht das Internet, aber wir sehen das Internet, weil wir es durchsuchen.




Google bietet bekanntermassen ein breites Spektrum an Tools. Security gehört aber nicht dazu, richtig?



Nein, wir bauen momentan keine Security-Tools, bieten aber Produkte von den Drittherstellern Symantec und Ad-aware im Google Pack an. Für diese Tools haben wir überdies Lizenzmodelle verhandelt, die ein User sonst nicht bekommen würde.




Aber das Wissen und die Erfahrung für Sicherheits-Tools hätte Google.



Ja, aber wir sind eine Suchfirma, und wir fokussieren uns auf Tools rund um Suchlösungen.




Ein anderes Thema, über das man sprechen muss, ist Google und Privacy ...



Gut!


Speziell hier in Europa scheint es, als würden die User Mühe mit dem Vertrauen in Google bekunden. Google sammelt zu viele Daten, heisst es etwa, oder verkauft diese Daten an Werbekunden. Für manchen User dürften die Sorgen um die eigenen Daten ein Grund sein, keine Google-Tools zu benutzen. Wie können Sie sicherstellen, dass die User-Daten bei Google sicher sind und auch dort bleiben?



Privacy hat bei uns oberste Priorität, und ich glaube, wir sind industrieweit Leader, wenn es um Privacy geht. Ich spreche also wirklich gerne über dieses Thema. Zuerst einmal: Das Gros unserer Services kann anonym genutzt werden. Für den Fall, dass wir wissen müssen, wer unsere User sind – in Gmail etwa – lassen wir den User auch wissen, dass wir erfahren wollen, wer er ist. Aber selbst dann zielt die Werbung nicht direkt auf den User. Es spielt eigentlich keine Rolle, ob wirklich der User eingeloggt ist. Wir blenden unsere Werbung aufgrund des Contents in den Mails, nicht aufgrund des Users ein. Wir durchsuchen die Mail-Nachrichten ähnlich wie dies ein Virenscanner tun würde. Wir wollen auch nicht mehr über den Inhalt eines Mails wissen als dies ein Virenscanner will. Auch Werbeeinblendungen bei einer Suche mit Google sind nicht auf den User ausgerichtet, sondern auf den jeweiligen Suchbegriff.
Ausserdem: Alle 24 Monate löschen wir Cookies beim User automatisch. Und alle 18 Monate löschen wir unseren anonymisierten Suchtraffic. Diesen Traffic behalten wir ohnehin nicht, weil uns der User per se interessieren würde, sondern weil er uns erlaubt, nützliche Funktionen anzubieten.





Inwiefern?



Nun, nehmen wir das Beispiel Rechtschreibeprüfung. In den USA gibt es eine Künstlerin, die nennt sich Britney Spears. Ihr Name wird auf eine merkwürdige Art und Weise geschrieben, nämlich B R I T N E Y. Die weitaus üblichere Schreibweise in den USA wäre aber B R I T T A N Y. So passiert es also immer wieder, dass User nach Brittany Spears suchen. Und sie erhalten auch einige Resultate. Das ist eines der grossen Phänomene des Web: Egal, wie falsch man etwas eintippt, irgendjemand anderes hat es schon mal genauso falsch geschrieben.

Aber das Problem ist, das bei falscher Schreibweise nicht gerade viele Resultate erscheinen, vor allem keine guten. Also versucht der User weitere Suchabfragen, andere Schreibweisen, um irgendwann zu B R I T N E Y zu gelangen und so am meisten Resultate zu finden und damit auch länger auf den Resultatseiten zu verweilen. Wir wiederum merken so, dass er wahrscheinlich die richtige Antwort gefunden hat. Maschinenbasiertes Learning und anonymisierte User-Daten helfen uns also festzustellen, dass jemand, der Brittany eintippt, vermutlich Britney meinte. So können wir entsprechende Empfehlungen abgeben, den User darauf hinweisen, dass er vermutlich nach Britney sucht. Das aber können wir nur tun, weil wir anonymisierten Suchtraffic nutzen. Doch noch einmal, nach 18 Monaten werden diese Daten wieder gelöscht.


Nicht zu vergessen auch: Wir geben jedem User die Möglichkeit, unsere Dienste nicht weiter zu nutzen und alle seine Daten mitzunehmen beziehungsweise zu löschen. Sagen wir, jemand ist ein Gmail-User und entscheidet, nicht mehr mit unseren Diensten arbeiten zu wollen. Das ist seine Entscheidung. Er kann alle seine Gmail-Mails via POP herunterladen und uns dann wissen lassen, wir sollen vergessen, dass er jemals existiert hat. Wir sagen dann: 'OK, sorry, komm zurück, falls Du uns je wieder lieb haben solltest!' Und das ist wichtig. Es ist wichtig, dass der User wählen kann, was er will. Wir wollen unsere User nicht einschliessen, und vor allem: Die Daten gehören dem User, und wenn er denkt, dass wir mit den Daten nicht korrekt umgehen und er uns nicht mehr traut, dann soll er diese Daten für sich haben. Wenn er dann irgendwann wieder zu uns zurückkommt, werden wir ihn mit offenen Armen empfangen.




Doch wie wird mit den User-Daten umgegangen, die Google intern tatsächlich besitzt?



Auch intern tun wir alles, was möglich ist, um die Privacy des Anwenders zu schützen. Selbst für unsere Ingenieure ist es nicht einfach, Zugang zu solchen Daten zu erhalten. Die Dinge, die wir aufgrund der Userdaten machen, basieren praktisch komplett auf maschinenbasiertem Learning. Unsere Mitarbeiter sehen sich diese Logs nicht an, Maschinen sehen sich die Logs an. Und zu guter Letzt: Wir geben keine Daten heraus, ohne dass wir gerichtlich dazu aufgefordert werden. Und selbst dann kämpfen wir grundsätzlich gegen jede dieser Anfragen. Andere E-Mail-Provider gehen mit solchen Anfragen weit lascher um und geben Daten heraus – wir jedoch tun das nicht.




Trotzdem: Es gibt manchmal schon zu denken, wie viel Google über einen weiss. Manchmal schreibe ich eine Mail in Gmail, schaue mir die Werbeeinblendungen auf der Seite an und frage mich: 'Wie können die dies oder das wissen?' Beängstigend! Als User fragt man sich dann schon, weiss diese Firma zu viel über mich?



Wir wissen gar nichts über Sie. Wir wissen bloss, was Sie schreiben, sehen uns die Worte im E-Mail an. Das System kümmert sich nicht um Personen. Vielmehr wird das E-Mail gelesen, als wäre es ein E-Mail voll mit Suchbegriffen. Wenn jemand nach den Worten im E-Mail suchen würde und entsprechend relevante Resultate erhalten würde, wäre er glücklich. In Gmail hingegen fragen sich die User, weshalb diese Anzeigen auftauchen. Dabei steckt eigentlich genau dieselbe Technologie dahinter.




Man liest, dass Google rund 70 Prozent seiner Ressourcen in die Suche investiert. Ist dieser Anteile eher sinkend oder steigend?



Genau genommen sind 70 Prozent ein Ziel, das wir definiert haben. 70 Prozent sollen in die eigentlichen Suchtechnologien fliessen, 20 Prozent in suchverwandte Technologien, beispielsweise die Suche in Maps. Und 10 Prozent werden für Dinge aufgewendet, die wir ausprobieren, ohne zu wissen, ob sich daraus je etwas ergibt. Ausserdem soll jeder Ingenieur 20 Prozent seiner Arbeitszeit für etwas anderes aufwenden als seine eigentliche Arbeit. Diese 20 Prozent sind Teil unserer Innovations-Engine. Unsere Mitarbeiter haben Ideen, und können diese so zu verwirklichen versuchen.

Trotzdem scheint es, als wäre die Suche als solches nicht mehr so wichtig für Google wie vor ein paar Jahren. Google ist an so vielen Fronten tätig, dass es manchmal schwierig ist, die Strategie dahinter zu erkennen. Können Sie mich aufklären?



Ja, wir verfolgen eine Suchstrategie. Nehmen wir Docs & Spreadsheets als Beispiel. Docs & Spreadsheets ist nicht das mächtigste Office-Tool, das es gibt, aber Docs & Spreadsheets ist ein grossartiges Such-Tool. Oder unsere Bemühungen im Mobile-Bereich: Klar, wir sprechen von mobilen Applikationen, aber dahinter steckt eine Suchstrategie für den mobilen Bereich. Google Checkout vereinfacht den E-Commerce rund um den Globus, was wiederum bedeutet, die User rund um den Globus werden vermehrt nach Dingen suchen, die sie kaufen wollen.



Wir sind eine Search-Company, das ist es, was wir tun, das ist unser Kerngeschäft, und das wird immer unser Kerngeschäft bleiben! Klar, manchmal wirken Lösungen von uns etwas diversifiziert, aber jede einzelne Google-Lösung besitzt eine Suchkomponente. Weil wir glauben, Suche ist der Sauerstoff der heutigen Welt. Niemand kann mit der heutigen Informationsflut umgehen, ohne suchen zu können.


Oft werde ich auch gefragt, warum wir dieses oder jenes Tool anbieten, schliesslich würden wir damit kein Geld verdienen. Wir bieten auch Tools an, welche User dazu bringen, das Internet häufiger zu benutzen. Und wenn sie das Internet häufiger benutzen, suchen sie auch häufiger, und dort verdienen wir unser Geld.




Manchmal habe ich das Gefühl, dass es heute schwieriger ist, mit Hilfe von Google etwas im Internet zu finden, als es dies noch vor zwei Jahren war.



Ich hoffe nicht, denn eigentlich sollte es einfacher sein. Die Informationsmenge im Web ist halt gewaltig gewachsen. Sie verdoppelt sich alle fünf Monate, und 10 Prozent des Internet verändern sich jeden Monat. Jedes Jahr also wird das Web 2,5 Mal grösser, und die gesamten Informationen im Web ändern sich plus/minus jährlich. Nichtsdestotrotz wird unser Ranking in fast jeder Sprache laufend besser. Demnach sollte es auch einfacher werden, etwas zu finden.




Doch da gibt es beispielsweise die zahlreichen Suchmaschinen-Optimierer, welche versuchen, Suchresultate zu verfälschen. Machen die Google Sorgen?



Der Markt der Suchmaschinen-Optimierer funktioniert grundsätzlich so, dass versucht wird, Content zu erstellen, der möglichst nützlich oder relevant ist. Wenn die Optimierer den Content tatsächlich nützlicher oder relevanter gestalten, sollte dieser auch zuoberst im Ranking erscheinen. Suchmaschinen-Optimierer sind nicht der Feind. Uns ist egal, wie die Internet-Welt entsteht. Wir wollen eine Welt, in der der User eine Frage stellen kann und die bestmögliche Antwort auf die Frage zuoberst in den Resultaten erscheint. Ob sie dorthin durch Suchmaschinen-Optimierung gelangt, durch tollen lokalen Content oder durch User-generiertes Tagging, das ist uns eigentlich egal. Wir wollen dem Anwender das Top-Resultat anzeigen.




Andere Firmen gehen hier einen anderen Weg: Es gibt einige interessante Start-ups mit spannenden Entwicklungen im Suchbereich.



Oh ja, es gibt viele grossartige Suchprojekte.




Was halten Sie persönlich von diesen Suchprojekten – Projekten wie Mahalo oder Search Wikia?



... Und es gibt viele andere dazu. Doch zuallererst: Konkurrenz ist gut für den Anwender. Als wir in den 90er-Jahren anfingen, dachten alle, Suche ist ein gelöstes Problem, niemand arbeitet an Suchfunktionen. Was damals als offensichtlich und klar galt, war falsch. Denn es hat sich gezeigt: Google ist besser. Deshalb kann ich heute auch nicht hier sitzen und sagen: 'Es gibt keinen Grund, etwas neues auszuprobieren, Google ist die Antwort auf alle Fragen.' Das wäre genauso falsch.

Wir schätzen Konkurrenz, wir wollen, dass andere Ansätze ausprobiert werden. Wir können selbst nicht alles ausprobieren, denn wir haben auch nur eine gewisse Anzahl an Entwicklern, und die sind bereits ziemlich beschäftigt. Sollte nun jemand eine bessere Lösung finden, als wir sie haben, werden die User zur Konkurrenz wechseln, und das ist gut so. Das ist gut und richtig für den User. Dinge wie Wikia sind speziell spannend, weil sie Open Source sind. Wir sind grosse Anhänger der Open-Source-Bewegung. Welcher Suchansatz nun aber der Richtige ist, wird sich zeigen. Ich denke, in den nächsten Jahren wird man eine Mischung sehen aus maschinen- und anwenderbasierter Suche.

Wir setzen bereits heute stark auf anwendergeneriertes Tagging, um unsere Resultate besser zu machen. Dass ausschliesslich anwendergenerierter Content zum Einsatz kommt, ist hingegen unwahrscheinlich. Das hat schon Ende der 90er nicht funktioniert, weil das Web einfach zu schnell gewachsen ist, und wird vermutlich auch heute nicht funktionieren. Doch wie dem auch sei, für uns ist es enorm spannend zu sehen, was diese Start-ups machen, wie sie arbeiten und wie sie bei den Usern ankommen.




Wenn jetzt eine Firma etwas entwickelt, das Google selbst noch nicht hat. Würde man eine solche Entwicklung auch abkupfern?



Klar, warum auch nicht. Aus Erfolg zu lernen ist immer gut. Es gibt beispielsweise Länder, in denen wir nicht der grösste Suchanbieter sind. Ich war die letzten Tage in einigen solchen Ländern, und es ist faszinierend zu sehen, wie lokale Produkte arbeiten und was diese besser machen als wir.




In Südkorea etwa soll Google einen Marktanteil von 7 Prozent haben. Dominierend ist dort eine Suchmaschine namens Naver.com. Weshalb hat Google beispielsweise in Südkorea keinen Erfolg?



Nun, Naver ist ein grossartiges lokales Produkt. In Tschechien findet man Seznam, ein weiteres tolles, lokales Produkt. Es gibt einfach Märkte, in denen wir nicht der grösste Anbieter sind.




Doch weshalb ist das so? Ist Südkorea, um beim Beispiel zu bleiben, einfach ein anders funktionierender Markt?



Offensichtlich waren unsere Produkte in Südkorea bislang nicht so gut wie die von Naver. Also müssen wir unsere Produkte verbessern, und wir wenden eine Menge Energie auf, um auch besser zu werden. Dann wird auch unser Marktanteil wachsen.




Aber denken Sie, dass ein Produkt wie Naver auch in anderen Märkten funktionieren würde – sofern es nicht nur in koreanisch erhältlich wäre?



Naver als Beispiel zu nehmen, ist eigentlich gar nicht so interessant. Naver macht gewisse Sachen besser als wir in Südkorea, Seznam macht Dinge besser in Tschechien, und es gibt weitere Beispiele. Interessant ist die Betrachtung der Länder, in denen wir nicht die Nummer 1 sind. In diesen Ländern gibt es in der Regel einen interessanten, lokalen, intelligenten Mitbewerber. Was mir also tun müssen, ist in diesen Ländern in die Qualität und die Abdeckung des lokalen Contents zu investieren. Um lokale Skills zu erlangen, braucht man lokale Entwickler.




Das ist also der Grund, warum Google ausserhalb der USA massiv Stellen schaffen will?



Ja, und das ist auch der der Grund, warum wir dieses Entwicklungscenter haben, genau hier in Zürich.




Ok, lassen Sie uns noch etwas über die Zukunft sprechen. Wie werden wir das Internet – oder grundsätzlich Information – in zwei, fünf oder zehn Jahren durchsuchen? In welche Richtung entwickelt Google, und was halten Sie von Entwicklungen wie Human Powered Search.



Im Moment sieht man eine Menge spannender Entwicklungen. Über gewisse Dinge haben wir schon gesprochen. So müssen wir in den nächsten Jahren herausfinden, wie man ein Mobiltelefon besser als Such- und Informations-Device nutzen kann.


Viel Arbeit haben wir auch schon in automatisierte maschinelle Übersetzung investiert – um beispielsweise von Englisch auf Arabisch oder von Englisch auf Chinesisch zu übersetzen. So könnten Sie beispielsweise etwas in Deutsch suchen und würden auch Resultate in Englisch erhalten – könnten diese aber in Deutsch lesen.

Die Suche in einer Sprache durchzuführen und Resultate unabhängig ihrer Sprache zu erhalten und zu verstehen, das ist die Idee. Stellen sie sich vor, wir Amerikaner könnten lesen, was über uns in Arabisch geschrieben würde? Eine grossartige Sache für die Welt.
Intensiv weiterarbeiten werden wir auch am Ranking, an unserer Idee der universellen Suche. So dass bei einer Suchabfrage nicht nur Webseiten angezeigt werden, sondern auch Bücher, News, Bilder und Videos.

Das wäre enorm nützlich für den User, ist aber extrem schwierig zu werten. Wie kann man ein Ranking dafür erstellen, wie entscheiden, was zuoberst erscheinen soll?


Zusammengefasst sehe ich in Zukunft die Suche auf jedem Gerät auf der Welt, in jeder Sprache der Welt und über sämtliche Informationen auf der Welt. In jedem dieser Bereiche gibt es aber noch faszinierende Probleme, die es erst zu lösen gilt.




Das Interview mit Douglas Merrill führte Marcel Wüthrich.

Zur Person

Einen CIO sucht man bei Google vergebens, doch Douglas Merrill, der den Titel Vice President, Engineering trägt, ist beim Suchmaschinen-Riesen wohl das, was einem CIO am nächsten kommt. Merrill machte seinen Abschluss in «Social and Political Organization» an der Universität Tulsa und erarbeitete sich danach den Master sowie das Doktorat in Psychologie an der renommierten US-Universität Princeton. Später arbeitete er für die RAND Corporation als Information Scientist, im Bereich Security für Price Waterhouse sowie für Charles Schwab als Senior Vice President Information Security. 2003 wechselte Merrill zu Google. Der heute 37-jährige wuchs in Arkansas auf, war als Folge einer Infektion im Alter von 3 bis 6 Jahren taub und ist ausserdem Legastheniker. Er gilt als eine der schillerndsten Persönlichkeiten bei Google und setzt sich unter anderem für den technologischen Fortschritt in Drittweltländern ein. Unter dem Titel «The Other End Of Sunset» (http://otherendofsunset.blogspot.com/) betreibt Merrill einen Blog. Technologie kommt darin nicht vor.




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